Rede von
Walter
Fisch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Meine Damen und Herren! Die kommunistische Fraktion ist der Auffassung, daß einige grundsätzliche Feststellungen Ausgangspunkt der Entscheidung über die Frage der Regelung im Südwesten Deutschlands sein müssen: Erstens die Feststellung, daß die gegenwärtige Lage im Südwesten Deutschlands auf willkürliche Maßnahmen der Besatzungsmacht zurückzuführen ist, die aus machtpolitischen und militärischen Erwägungen getroffen worden sind,
Maßnahmen, die ohne Befragung der deutschen Bevölkerung wider jede Vernunft, wider alle wirtschaftlichen Interessen und wider jede gesunde und in der Bevölkerung verwurzelte Tradition getroffen worden sind. Die zweite Feststellung ist, daß eine Neuregelung dieser Verhältnisse, die ungesund sind, zweifellos erforderlich ist. Eine solche Neuregelung muß aber dem Willen der Bevölkerung entsprechen. Die dritte Feststellung ist: es darf keine Neuregelung geben, die den Wünschen der Bevölkerung ebenso widerspricht,
die ebenso fremd und künstlich ist wie die gegenwärtige, durch die Besatzungsmächte veranlaßte.
Meine Fraktion ist der Meinung, daß die von der neuen Koalition der FDP und der SPD mit Gewalt versuchte Lösung des Südweststaatproblems ebenso eine fremde und künstliche Lösung der .verworrenen Verhältnisse darstellen würde wie die gegenwärtige.
In den uns vorliegenden Entwurf des Neugliederungsgesetzes hat die Mehrheit des Ausschusses einen Trick eingebaut, mit dem man nichts anderes bezweckt, als das Ergebnis einer kommenden Volksabstimmung vorwegzunehmen. Die Einteilung der Abstimmungsbezirke und die Feststellung des endgültigen Abstimmungsresultates, wie sie die Vorlage vorsieht, bedeuten zweifellos die Majorisierung eines Teiles der Bevölkerung. Dieser, der badische Teil der Bevölkerung, hat darum nicht weniger Anspruch, daß seine demokratisch erhobenen und vertretenen Wünsche beachtet werden, weil Baden über weniger Einwohner verfügt als Württemberg.
Wir sind daher der Meinung, man soll die wirklichen Beweggründe dieser Vorlage doch etwas klarer formulieren, damit jeder weiß, was gemeint ist.
— Herr Mayer, Sie sind so klug, daß Sie nach mir noch eine ganz lange Rede halten können.
Ich meine, man hat vergessen, zu sagen, warum man diesen sonderbaren Trick in den §§ 3 und 10 eingebaut hat und was man unter Mißachtung demokratischer Grundsätze unter allen Umständen erreichen und erzwingen möchte. Der Herr Abg. Schmid war der Meinung, daß die Gegenvorschläge der Minderheit des Ausschusses ein Votum für den Rückschritt, für die „Restauration" seien. Er hat den Versuch gemacht, eine Parallele zwischen dem Eingriff von Besatzungsmächten im Jahre 1945 und „ähnlichen" Eingriffen einer anderen Besatzungsmacht im Jahre 1803 zu ziehen. Mir scheint, daß der Abgeordnete Schmid dabei zwei wesentliche Punkte übersehen hat. Erstens einmal: man kann die Entwicklung von 150 Jahren nicht einfach ungeschehen machen. In diesen 150 Jahren, seitdem die beiden Länder Württemberg und Baden in der Form von 1945 bestehen, ist eine entscheidende politische und wirtschaftliche Entwicklung vor sich gegangen. Die Industrialisierung des Landes, die ganze wirtschaftliche Struktur dieses Gebietes, die wir heute vor uns haben, ist der Entwicklung in diesen 150 Jahren zu verdanken. Eine solche Entwicklung einfach ungeschehen zu machen, würde heißen, einen natürlich gewachsenen Zustand vergewaltigen.
Zweitens: Es sollte einem Manne, der sich rühmt, die Geschichte gut zu kennen, nicht schwer fallen, den Unterschied zwischen den Maßnahmen des Jahres 1803 und des Jahres 1945 herauszufinden. Wenn Herr Carlo Schmid kein Neo-Sozialist wäre,
dann könnte man von ihm erwarten, daß er die Geschichte Deutschlands auch mit der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung und mit der Geschichte der fortschrittlichen Bewegungen auf deutschem Boden in Verbindung bringt. Wenn er also kein Neo-Sozialist wäre, dann würde er sich daran erinnern, daß die Regelung von 1803 nicht Regelungen irgendeiner „Besatzungsmacht" waren, etwa gleichzusetzen- den Regelungen der imperialistischen Besatzungsmacht der Vereinigten Staaten von 1945. Die Regelungen des Jahres 1803 verdanken ihre Existenz immerhin dem fortschrittlichen Wind der Französischen Revolution. Was damals im Südwesten Deutschlands geschah, war ja nicht bloß eine simple Neuziehung von Ländergrenzen, sondern das war — Herr Carlo Schmid, als Jurist sollten Sie das wissen — gleichzeitig auch die Einführung des Code civil, das war die Einführung einer demokratischen Bodenreform, die es in anderen Teilen Deutschlands nicht gegeben hat. Immerhin sollte man sich daran erinnern, daß auf dem Boden dieser mit Hilfe der französischen Revolution zustande gekommenen Neuregelung auch die Kämpfer des Jahres 1849 gewachsen sind,
die Kämpfer von Rastatt, Waghäusel und an der Murg, jene, die damals für ein einheitliches demokratisches Deutschland gefochten und gelitten haben, jene, die auf dem Boden der fortschrittlichen Errungenschaften des Südwestens Deutschlands auch Vorkämpfer für das Kommunistische Manifest gewesen sind.
Meine Damen und Herren! Diese Unterschiede sollte man nicht außer acht lassen. Darum ist es ein historischer Treppenwitz, die Entscheidung des Jahres 1803 mit derjenigen von 1945 einfach formal gleichzusetzen.
Um diese seine Krückenthese etwas glaubhafter zu machen, erklärt Herr Kollege Schmid, das, was er wünscht, nämlich die Erzwingung der südweststaatlichen Regelung, liege „im Lebensinteresse des Ganzen", es sei „eine Sache der Vernunft". Sie haben die Frage an unsere Fraktion gerichtet, wem denn die Sache nütze. Ich gebe Ihnen diese Frage zurück, Herr Kollege Schmid, und frage Sie: Wer war denn der Vater des Gedankens des Südweststaates? Waren es denn nicht die amerikanischen Gouverneure, waren es nicht die Interventionen des Generals Clay und des Militärgouverneurs von Württemberg-Baden, die sich immer wieder für eine südweststaatliche Regelung eingesetzt haben? Ich denke also, bei der Klärung dieser Frage wird auch entschieden, wem dieser ganze Südweststaatrummel zunutze ist. Wir erinnern uns doch, daß es vor einiger Zeit, als es noch keine so vollkommene militärpolitische Zusammenarbeit im Rahmen des Atlantikpaktes gab, auch eine Diskussion darüber gab, ob man nicht das ganze Land Baden unter der Aufsicht französischer Besatzungsbehörden und auf der anderen Seite das ganze Land Württemberg unter amerikanischer Oberhoheit zusammenschließen solle. Wir erinnern uns doch, daß sich auch damals eine amerikanische Intervention mit der ganzen Kraft ihrer Ellen-
bogen bemerkbar machte. Warum? Weil die amerikanische Besatzungsmacht ihre Überlegungen des Jahres 1945 unter allen Umständen beachtet wissen wollte, weil sie den Mannheimer Hafen, die strategisch so wichtige Autobahn Frankfurt—Stuttgart—München unter ihrem militärischen und politischen Kommando behalten wollte und diese wichtigen Objekte nicht, auch nicht zum Teil, an die Oberhoheit einer französischen Besatzungsbehörde abgeben wollte. Darum der Widerstand der amerikanischen Gouverneure gegen die Versuche, im Südwesten schon vor zwei Jahren eine halbwegs vernünftige Lösung herbeizuführen.
Man muß also sagen, um einer amerikanischen Erfindung willen möchte der Kollege Schmid „die demokratische Technik" verächtlich machen, wie er es hier getan hat. Er möchte sich für den Südweststaat einsetzen, damit die militärischen Erwägungen der amerikanischen Besatzungsmacht unter allen Umständen Vorrang genießen. Daß er hierbei ausgerechnet die Unterstützung des Herrn Euler und des Herrn Freudenberg findet, das sollte uns nicht wundern.
In der letzten Zeit hat es einige Veränderungen gegeben, die es verständlich machen, warum unsere amerikanischen Sicherheitshüter an einer schnellen Herbeiführung des Südweststaates interessiert sind. Seit dem 1. April gehen auf Grund der Beschlüsse der Brüsseler Konferenz bekanntlich einige militärische Verschiebungen im Westen Deutschlands vor sich. Entsprechend der amerikanischen Herrenmenschenauffassung werden die Franzosen in die vordere Frontlinie verschoben, etwa in die Gegend des Bayerischen Waldes, in die Gegend der Werra usw., während sich die amerikanischen Herrenmenschen die rückwärtigen Gebiete als Residenz vorbehalten. Sie beziehen deswegen jetzt einige Gebiete von Rheinland-Pfalz, die offiziell immer noch als französische Besatzungszone gelten. Sie möchten den Schwarzwald und das ganze Südwestgebiet ebenfalls als Zone der militärischen Bereitstellungen, als Zone der unterirdischen Flugplätze, als Zone der unterirdischen Panzerstationen parat halten. Darum sind sie daran interessiert, daß es einen einwandfrei und lückenlos amerikanisch gelenkten Südweststaat gibt.
Das, meine verehrten Kollegen, ist der wirkliche Grund für die Eile und für die Methode der Vergewaltigung elementarer demokratischer Rechte der Selbstbestimmung, die hier angewandt werden, um die amerikanische Lösung zu beschleunigen. Meine Fraktion hat bereits erklärt 'und wiederholt es hier: sie wird sich jedem Versuch widersetzen, auf offene oder versteckte Art die amerikanische Vorlage eines Südweststaates mit deutscher Rechtsprechung und Gesetzgebung zu legalisieren. Meine Fraktion ist dafür, daß die alten Länder Württemberg und Baden, so wie es der politischen und wirtschaftlichen Vernunft und den Traditionen entspricht, in einem geeinten Deutschland wieder hergestellt werden. Meine Fraktion wird gegen den vorliegenden Entwurf des Neugliederungsgesetzes stimmen, weil sie gegen die Vergewaltigung einer Minderheit ist,
die durch die Abstimmungstechnik der §§ 3 und 10 vorgenommen werden soll. Weil meine Fraktion will, daß die Meinung des Volkes an erster Stelle entscheidend ist,
wird sie für die Ziffer 1 des Abänderungsantrages auf Umdruck Nr. 154 stimmen. Das bedeutet nicht, daß wir der politischen Tendenz zustimmen, die auch dieser Vorlage zugrunde liegt, der Tendenz nämlich, heute schon die Lösung gewisser Fragen vorwegzunehmen, die erst einem geeinten und unabhängigen Deutschland zusteht.
Wir sind dafür, daß jede künstliche und vom amerikanischen Imperialismus gelenkte und gewünschte Lösung unterbleibt. Wir werden aber einer solchen Zwischenbefragung des Volkes nicht entgegenstehen, wenn die demokratischen Grundsätze gewahrt sind. Wir sagen aber: Die endgültige Entscheidung über das Schicksal der deutschen Länder, über ihre Verfassungen, über die Abgrenzung ihres Bereichs kann erst dann geschehen, wenn ganz Deutschland seine Freiheit und Unabhängigkeit zurückgewonnen hat, wenn alle Besatzungsmächte deutschen Boden verlassen haben.