Rede von
Dr.
Hermann
Etzel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwei lebensvolle, geschichtlich gewordene Staatskörper der deutschen Staatenwelt sind durch einen Federstrich der Besatzungsmacht im Jahre 1945 zerschnitten, man könnte auch sagen: durch einen Schwerthieb zerteilt worden. Auf einer solchen Grundlage, die durch einen Gewaltakt einer fremden, außerdeutschen Macht entstanden ist, kann nach unserer Auffassung eine große staatliche Neuschöpfung im deutschen Lebensraum nicht versucht werden.
Es ist in diesem Hohen Hause vor kurzem einmal gefordert worden, daß kein Deutscher das Recht und die Unwürde haben dürfe, sich auf eine Entscheidung, eine Maßnahme, eine Vorschrift oder sine sonstige Willensäußerung der Besatzungsmacht oder des Besatzungsrechts zu berufen, Nun, die Teilstücke, die als Abstimmungsbezirke im Sinne des § 3 vorgesehen sind, sind gerade die Trümmer, die der Hammer der Besatzungsmacht geschaffen hat.
Ich will mit den Vätern des Grundgesetzes nicht rechten, daß sie es unterlassen haben, die Bundesgesetze nach Art. 29 und 118 zu Zustimmungsgesetzen zu erklären, für die Beschlußfassungen im Bundestag und gegebenenfalls im Bundesrat sowie für die Abstimmungen im gesamten Volksbefragungsgebiet qualifizierte Mehrheiten vorzuschreiben. Ich will auch keine Anklage deswegen erheben, daß überhaupt in das Grundgesetz, bei dessen Zustandekommen doch sehr starke Einflüsse der Besatzungsmächte mitgewirkt haben und dessen Existenz nur eine vorläufige, nicht eine endgültige Entscheidung bedeuten sollte, die Frage einer gebietlichen Neugliederung hineingetragen wurde. Aber unbegreiflich ist es, daß es geschehen konnte.
Wir sind der Meinung, daß der Beruf unserer Zeit zu solchen umwälzenden Neuordnungen zu verneinen ist. Der vorliegende Gesetzentwurf ist der Versuch eines voreiligen Vorgriffs zwischen Tür und Angel einer großen geschichtlichen Gesamtentwicklung, deren heftiger Fahrwind uns alle anweht. Noch ist Deutschland nicht. Noch sind es nur geteilte Deutschländer. Beruf und Aufgabe einer gebietlichen Neuordnung, die geschichtliche Bedeutung im deutschen Lebensraum hat, können nur Gesamt- nicht Teildeutschland zustehen, auch wenn dieses Teildeutschland die Bundesrepublik ist. Die Gesetzesvorlage ist ein bezeichnender und aufschlußreicher Anwendungsfall zentralistischer Grundauffassungen, die nicht erkennen oder zugeben wollen, daß die Länder nicht einfach Provinzen und Objekte, sondern Träger des Bundes sind, der aus ihnen zustande gekommen ist.
Der vorliegende Gesetzentwurf wird von uns abgelehnt, weil er, mag es sich um die Bildung der Abstimmungsbezirke nach § 3, um die Regelung des Abstimmungsrechtes nach § 6 oder um die Auswertung der Abstimmungsergebnisse nach § 10 handeln, ganz offensichtlich darauf angelegt und dazu bestimmt ist, das von seinen Initiatoren gewollte Abstimmungs- und Neugliederungsergebnis zu erzielen.