Meine Damen und Herren! Auch meine Freunde begrüßen die endlich vollendete Vorlage dieses Gesetzentwurfs. Er hat zum Ziele, die Angelegenheiten der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitsvermittlung wieder zum Gegenstand einer einheitlichen Gesetzgebung des Bundes zu machen. Wir halten dies für um so notwendiger, weil es sich ja um eine Aufgabe handelt, die für außerordentlich viele Menschen von schicksalhafter Wirkung ist, für Menschen, die entweder vom Schicksal der Arbeitslosigkeit betroffen werden oder vor die Notwendigkeit gestellt sind, für ihr Leben andere Existenzgrundlagen zu finden. Und, meine Damen und Herren, beim Auffinden neuer Existenzgrundlagen sind Ländergrenzen doch etwas sehr Sekundäres. Wenn wir eine Wirtschaft entwickeln wollen, in der die Menschen nach ihrer Leistungsfähigkeit die immer bessere Möglichkeit bekommen sollen, nach Anlage und Neigung zu wirken, dann sind Ländergrenzen etwas Störendes.
Wir begrüßen die Vereinheitlichung gerade auf diesem Gebiete, weil sie ein Mittel ist, auch auf dem Gebiete der Arbeitsvermittlung, der Arbeitsplatzsuche und des Arbeitsplatzwechsels, die wirkliche Freizügigkeit des deutschen Menschen, die durch mancherlei Dinge gestört ist und die auch insbesondere durch die ländermäßige Aufgliederung der gesamten Arbeitsvermittlung innerhalb des Bundesgebietes künstlich gestört ist, wiederherzustellen.
Das ist ein Beweggrund, der nach meiner Meinung wesentlich beachtet werden muß.
Eine weitere Erwägung kommt noch hinzu. Dies Gesetz — das hat der Herr Arbeitsminister ja hier eben dargelegt — beschränkt sich im wesentlichen darauf, zunächst einmal die Gesetzgebung aus der Zeit vor 1933, das alte AVAVG, wieder zu rekonstruieren. Ich glaube, daß man sich damit nicht begnügen kann. Die Rekonstruktionsabsicht ist zweifellos richtig. Wenn man aber schon diese zentralen Instanzen wiederherstellt und die Möglichkeit einer einheitlichen Gesetzgebung auf diesem Gebiete schafft — der Herr Arbeitsminister hat eben selbst gesagt, die Beratungen über eine Erneuerung des AVAVG setzten geradezu voraus, daß wir eine einheitliche bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts wiederherstellen —, so muß man sich, von diesen Überlegungen ausgehend, auf der andern Seite natürlich auch darüber klar sein, daß man sich nicht darauf beschränken kann, Einrichtungen wiederherzustellen, die gewesen sind, sondern man muß dabei auch überlegen, ob nicht diese oder jene Regelung einer Nachprüfung bedarf. Ich glaube, meine Damen und Herren, da werden wir z. B. bald wieder vor die Frage gestellt sein, ob es denn überhaupt eine Möglichkeit gibt, die Frage der
Vorsorge für Arbeitslose mit der bisherigen Fiktion der Versicherung überhaupt anzupacken. Trifft sie zu? — Ja, sie mag zutreffen gegenüber dem Vorgang struktureller Arbeitslosigkeit. Diese strukturelle Arbeitslosigkeit entsteht durch Wandlungen der technischen und wirtschaftlichen Grundlagen, durch Verschiebung der Standortverhältnisse, durch die Veränderung der Verwendbarkeit von Menschen in fortschreitenden oder rückläufigen Entwicklungen der Wirtschaft, die sich aus jedem wirtschaftlichen Fortschritt ergeben. Wir sind, glaube ich, alle einheitlich überzeugt, daß wir in dieser Hinsicht eine Humanisierung des Fortschritts zu betreiben haben, d. h. man muß Auffangstellungen machen und Auffangmöglichkeiten für diejenigen vorsehen, die das Unglück haben, an einer Stelle zu wirken, die durch neue wirtschaftliche Tatbestände, durch gewandelte Formen und Zwecke der Werktätigkeit ausgehöhlt oder zerstört wird.
Aber das ist nur die eine Seite der Sache; das mögen Versicherungswagnisse sein, die man versicherungstechnisch erfassen kann. Ich möchte bezweifeln, daß man auch mit einer auf bestimmte Zeiträume der Leistungsgewährung begrenzten Versicherung in der Lage ist, dem Wagnis der konjunkturellen Arbeitslosigkeit nachzugehen, selbst wenn man anerkennt, daß da stellenweise Möglichkeiten des Ausgleichs bestehen. Ich glaube, in allen Ländern der Welt und auf allen Seiten dieses Hauses wird zumindest anerkannt, daß man da Milderung und Vorbeugung durch wirtschaftliche ,Interventionsmaßnahmen durchzuführen hat. Selbst wenn man das alles gelten läßt, bleibt ein unübersehbarer Rest deswegen, weil die meisten Notstände, die sich aus konjunkturellen Veränderungen ergeben, durch politische Motive ausgelöst werden. Die Wandlungen der politischen Kräfteverhältnisse, die Spannungen zwischen den Völkern, die Strukturveränderungen aus verschiedenartiger geistiger Haltung der Menschen durch unaufhörlich veränderte Vorstellungen von dem, was gut oder böse ist in der Politik oder im gesellschaftlichen Geschehen, das bewirkt Wagnisse, die nicht voraus zu schätzen sind. Gerade die Arbeitslosigkeit und die Störungen der Wirtschaft sind in den letzten Jahrzehnten nicht so sehr aus der Wirtschaft selbst, sondern vorwiegend durch politische Einflüsse auf das wirtschaftliche Geschehen hervorgerufen worden. Solche Wagnisse mit Versicherungseinrichtungen abfangen zu wollen, scheint mir sehr fragwürdig zu sein.
Soweit man es aber tun zu können glaubt, muß man aus solcher Absicht die Folgerung ziehen und zumindest den Grundsatz anerkennen: diejenigen, die an der Aufbringung der Mittel beteiligt sind, können verlangen, daß diese von ihnen aufgebrachten Mittel nicht zweckentfremdet verwendet werden. Das ist nicht nur im Nazistaat, sondern sehr weitgehend auch nach 1945 geschehen. Ich will nicht von den Länderhaushalten sprechen, die zum Teil mit Mitteln der Arbeitslosenversicherung zum Ausgleich gebracht wurden; eine zumindest unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit sehr fragwürdige Angelegenheit, wenn man Beiträge, die nur von bestimmten Schichten aufgebracht werden, dazu verwendet, allgemeinen öffentlichen Aufgaben zu dienen.
Es ist auch sehr fragwürdig, wenn man die Mittel
vielfach unter dem Vorwand der produktiven Arbeitslosenfürsorge so verwendet, daß die an der
Aufbringung dieser Beiträge Beteiligten nur zum geringsten Teil Nutznießer der Verteilung dieser Mittel gewesen sind. Diese Vorgänge sind zu beenden, und an sie sind ernste Überlegungen anzuknüpfen.
Eine zweite Folgerung ergibt sich daraus, daß man die Selbstverwaltung auf diesem Gebiete zu einem echten Ausdruck, zu einer erheblichen Unabhängigkeit und Eigenverantwortung bringt. Ich muß sagen, ich bin durchaus nicht frei von Bedenken gegenüber der Vermischung von staatlicher Administration und den Selbstverwaltungsorganen, wie sie in dem Gesetzentwurf vorgesehen sind. Ich bin eher geneigt — zumindest für den Bereich des Bundes und auch der Länder —, die Selbstverwaltung der Beteiligten, allerdings zum Unterschied von Herrn Kollegen Richter nach den Grundsätzen der Parität der bei der Aufbringung Beteiligten, nämlich der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, aufzubauen. Ich sehe durchaus nicht ein, daß aus der Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen den Ländern und dem Bund, zwischen den Administrationen auf der Länder- oder Bundesebene mit den Organen der Arbeitsvermittlung und der Arbeitslosenversicherung unbedingt gefolgert werden müßte, es müßte da so etwas wie eine Drittelung in der Zusammensetzung der Selbstverwaltungsträger bestehen. Bei deren Zusammensetzung wird überdies daran gedacht werden müssen, daß wir das wiederholen, was man bei der Selbstverwaltungsgesetzgebung für die übrigen Zweige der Sozialversicherung getan hat: eine echte Selbstverwaltung auch dadurch zu verwirklichen, daß man zu diesen Organen kein Benennungsrecht von Organisationen zuläßt, sondern eine echte Wahl durch die Beteiligten betreibt. Auch das scheint notwendig zu sein, um die Verwaltung zu verlebendigen und vor einer personellen Erstarrung zu bewahren.
Die kurze Redezeit erlaubt mir leider nur, diese Bemerkungen zu machen.