Meine Damen und Herren! In § 1 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht ist festgelegt:
Der Sitz des Bundesverfassungsgerichts wird durch Gesetz bestimmt.
Die Verabschiedung dieses Gesetzes ist außerordentlich dringlich, und meine Fraktion hat Ihnen deshalb den Entwurf in der Drucksache Nr. 2108 vorgelegt. Die Bundesregierung hat zu dieser Frage in dem Vorschlag, der dem Bundestag in Drucksache Nr. 2045 — Sitz der Bundesbehörden — unterbreitet ist, bereits Stellung genommen. Sie hat in diesem Entwurf vorgeschlagen, daß der Sitz des Bundesverfassungsgerichts Karlsruhe sein solle.
Wir haben — und das muß ich bei dieser Gelegenheit hier zur Sprache bringen — im Haushaltsausschuß eine merkwürdige Einwirkung auf die Entscheidung in dieser Frage durch den Staatssekretär des Justizministeriums erlebt. Der Haushaltsausschuß hatte sich mit dem Haushalt des Bundesverfassungsgerichts zu befassen. Es ist allgemein üblich, daß Haushaltspläne in einer Form
vorgelegt werden, die den bestehenden gesetzlichen Bestimmungen gerecht wird. In diesem Falle hat sich der Herr Staatssekretär nicht damit begnügt, einen Haushaltsplan vorzulegen, der davon ausgegangen wäre, daß der Sitz des Bundesverfassungsgerichts noch offen war, sondern der Herr Staatssekretär fühlte sich bemüßigt, zwei Haushaltspläne vorzulegen und dem Haushaltsausschuß nachzuweisen, daß gewisse Einsparungen im Haushaltsplan vorgenommen werden könnten, wenn Karlsruhe als Sitz gewählt würde. Wir haben den Herrn Staatssekretär bei der Beratung im Haushaltsausschuß schon energisch darauf hingewiesen, daß es nicht seine Aufgabe sei, eine derartige Stellung einzunehmen. Wir glauben, daß es Aufgabe des Hohen Hauses ist, die Ministerien immer wieder mit Nachdruck daran zu erinnern, daß sie sich nicht in irgendeiner Form in Entscheidungen einzumischen haben, die lediglich diesem Hohen Hause vorbehalten sind.
Meine Damen und Herren! Wir bedauern, daß die Vorschläge, die dem Bundestag über den Sitz der Bundesbehörden in Drucksache Nr. 2045 unterbreitet wurden, nach unserer Auffassung den politischen Notwendigkeiten nicht genügend Rechnung trugen. Gewiß ist es für jede Stadt im Bundesgebiet außerordentlich wichtig, Sitz einer Bundesbehörde zu sein; denn das ist selbstverständlich mit entsprechenden wirtschaftlichen Vorteilen verbunden. Niemand von uns wird es deshalb einer Stadt im Bundesgebiet verargen, wenn sie sich um den Sitz einer Bundesbehörde bemüht.
Diese Voraussetzungen treffen natürlich auch auf Berlin zu. Wir haben wiederholt hier im Bundestag feststellen können, daß Berlin auch in früheren Jahren nur zu etwa 43 % aus seiner gewerblichen Wirtschaft und zu weit über 50 % aus den anderen Dienstleistungen gelebt hat, die sich aus der Tatsache ergaben, daß es Hauptstadt des Deutschen Reiches und Preußens war, Sitz der beiden großen Parlamente und damit Sitz der entsprechenden Ministerien und sonstigen Behörden. Wir werden die Notlage Berlins nicht allein dadurch überwinden können, daß wir versuchen, das Wirtschaftsleben Berlins so blühend wie möglich zu gestalten. Wir werden immer davon ausgehen müssen, daß die Notlage Berlins erst dann voll und ganz überwunden ist, wenn es seine frühere Funktion wieder übernommen hat. Aus diesem Grunde hat die Verlegung von Behörden nach Berlin selbstverständlich auch ein besonderes Gewicht. Aber, meine Damen und Herren, für Berlin ist der Sitz einer oberen Bundesbehörde von noch viel größerer Bedeutung. Wenn Berlin als Sitz einer oberen Bundesbehörde bestimmt wird, dann ist das eine starke politische Manifestation, eine Manifestation, für die Einheit Deutschlands und ein Bekenntnis zu Berlin als der endgültigen Hauptstadt Deutschlands. Eine solche Sprache wird in der Welt und wird vor allen Dingen in der östlichen Welt verstanden werden.
Wir haben es deshalb, wie ich eben schon anführte, besonders bedauert, daß in der Drucksache Nr. 2045 diesen Gesichtspunkten nicht genügend Rechnung getragen ist. Inzwischen hat ja die Bundesregierung eine gewisse Revision dieses Beschlusses vorgenommen. Das Bundesaufsichtsamt für Versicherungs- und Bausparwesen war zunächst für Hamburg vorgesehen. Jetzt hat die Bundesregierung in einem zweiten Beschluß festgelegt, daß Berlin Sitz dieses Bundesaufsichtsamtes werden soll. Der Herr Minister Kaiser hat bei einer Gelegenheit zum Ausdruck gebracht, die Bundesregierung habe erwartet, sie werde für diesen zweiten Beschluß erheblichen Dank ernten. Statt dessen müsse er zu seinem Bedauern feststellen, daß man noch eine gewisse Kritik an diesen zwei Beschlüssen der Bundesregierung übe. Meine Damen und Herren, was war aber vorgegangen? Die Bundesregierung hatte zunächst in der Drucksache Nr. 2045 für das Bundesaufsichtsamt Hamburg bestimmt. Es bedurfte erst der sehr energischen Sprache aller Fraktionen im Berliner Landtag, um diesen Beschluß zu ändern. Darüber hinaus bedurfte es auch der hämischen Glossen in den Zeitungen der Sowjetzone, um die Bundesregierung zu veranlassen, sich nun einmal zu überlegen, ob dieser erste Beschluß haltbar war. Durch diese Tatsachen hat die Bundesregierung ihrem zweiten Beschluß viel von seiner ursprünglichen politischen Wirksamkeit genommen. Wäre in der Drucksache Nr. 2045 damals gleich Berlin als Sitz des Bundesaufsichtsamts festgelegt worden, so wäre das politisch viel wirksamer gewesen, als es jetzt nach den Vorgängen tatsächlich der Fall sein konnte.
Meine Damen und Herren! Nun hat der Bundestag erneut Gelegenheit, Berlin in jeder Beziehung einen wertvollen Dienst zu leisten: einmal durch die Vermehrung der Zahl der Bundesbehörden in Berlin und zweitens auch durch eine entsprechende politische Manifestation. Wenn wir Berlin als Sitz des Bundesverfassungsgerichts bestimmen, so hat das seine besondere Bedeutung. Aufgabe dieses Gerichtes ist es nämlich, die Freiheit und die demokratische Entwicklung in der Bundesrepublik zu sichern. Diese Werte sind in Berlin und für Berlin von besonderer Bedeutung. Die Berliner Bevölkerung hat in der Vergangenheit in harten und opfervollen Auseinandersetzungen dafür gesorgt, daß diese Worte in Berlin nicht leerer Schall und Rauch geworden sind. Wir glauben deshalb, daß es von besonderer Bedeutung ist, wenn gerade dieses Gericht, das über die Freiheit und die Entwicklung der Demokratie in Deutschland wachen soll, seinen Sitz in Berlin bekommt. Gerade die Berliner werden einen solchen Beschluß des Bundestages ganz besonders begrüßen.
Wir bitten Sie deshalb, unserem Antrage, den wir Ihnen in der Drucksache Nr. 2108 vorgelegt haben, Ihre Zustimmung zu geben. Wenn der Bundestag diesem Gesetz zustimmt, ist das gleichzeitig ein Bekenntnis zur Freiheit und zur Einheit Deutschlands. Es ist zugleich aber auch ein Dank an die Berliner für den harten, schweren Kampf, den sie für diese Werte bisher geführt haben und auch in Zukunft noch führen werden. Es ist ein Bekenntnis für die Freiheit, die Demokratie und die Menschlichkeit gegen die Unfreiheit, die Diktatur und die Unmenschlichkeit.