Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verstehe nicht, warum der Herr Vorredner sich so ereifert und angesichts der so mäßig besetzten Tribüne und auch des Hauses einen solchen Stimmaufwand für angemessen hält, der doch nachher im Protokoll nicht besonders vermerkt wird.
Nun zur Sache: Ich weiß, Herr Kollege Renner ist ein sehr guter — und deswegen auch von mir geschätzter — Sozialpolitiker. Das haben wir im Ausschuß gemerkt. Aber ich glaube, daß er eine Ausnahme in der Organisation seiner ideellen Richtung ist. Wenn er nämlich keine Ausnahme wäre, dann müßten die von ihm hier vertretenen Grundsätze auch dort Richtschnur sein, wo seine Freunde die Gesetzgebungsmaschinerie allein in der Hand haben.
Da stellen wir plötzlich mit Erschrecken fest, daß z. B. in der Sowjetzone ein hundertprozentig Beschädigter nur 50 Ostmark bekommt, d. h. den Kaufwert von 8 DM-West.
Sehen Sie, meine Damen und Herren, hier glaube ich doch, daß Herr Renner nicht als der Sprecher seiner Kommunistischen Partei zu betrachten ist, sondern als ein Ausnahme-Sozialpolitiker seiner Partei.
Dieser Haushalt des Herrn Bundesarbeitsministers gibt Gelegenheit zu einer generellen Debatte über sozialpolitische Probleme, und das ist sehr gut und sehr richtig. Ich möchte hier speziell auf die Kriegsopferversorgungsfragen eingehen. Ich gebe Herrn Kollegen Bazille recht, daß leider das Vertrauen, das wir durch das Bundesversorgungsgesetz in den Kreisen der Kriegsopfer gewonnen hatten, infolge der schleppenden Ausführung des Gesetzes und durch eine Verfälschung und Umdeutung des Willens des Gesetzgebers durch eine Bürokratie mehr und mehr im Schwinden ist. Der Herr Bundesarbeitsminister hat hier selbst erklärt, daß hierfür nach dem Grundgesetz in erster Linie die Länder verantwortlich seien. Wenn ich hier z. B. feststelle, daß einzelne Länder gegen die Empfehlung des Bundestages, zunächst die Rentenumstellung der achtzigprozentig und mehr Beschädigten, der Witwen mit drei und mehr Kindern, der Waisen vorzunehmen, umgekehrt verfahren sind, dann muß ich sagen: Hier liegt ein erheblicher Verstoß gegen Moralgrundsätze, aber auch gegen politische und sozialpolitische Grundsätze vor, wie sie der Gesetzgeber anläßlich der zweiten und dritten Lesung hier zum Ausdruck gebracht hat.
Herr Kollege Bazille, wir müssen aus dieser Kritik die Konsequenzen ziehen. Wenn wir sehen, daß es in der bisherigen Form nicht geht, dann müssen wir neue Wege suchen.
Diesen neuen Weg erlaubt sich die FDP-Fraktion Ihnen hier aufzuzeigen. Wir legen Ihnen ein Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vor, und zwar des Inhalts, daß die Bundesverwaltung auch für die Kriegsopferversorgung eingerichtet wird. Das Gesetz hat folgenden Wortlaut:
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949.
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
§ 1
Artikel 87 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 erhält folgende Fassung:
In bundeseigener Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau werden geführt der Auswärtige Dienst, die Bundesfinanzverwaltung, die Bundesverwaltung des Kriegsopferwesens, die Bundeseisenbahnen, die Bundespost und nach Maßgabe des Artikels 89 die Verwaltung der Bundeswasserstraßen und der Schiffahrt.
§ 2
Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in Kraft.
Meine Damen und Herren! Damit würde eine erhebliche Verbesserung eintreten. Ich will Ihnen schlagwortartig nur kurz sagen, was diese Grundgesetzänderung zur Folge hätte:
Erstens eine zentrale Regelung in allen Versorgungsangelegenheiten. Zweitens die Möglichkeit,
Weisungen und nicht nur Empfehlungen zu geben,
und zwar an die Versorgungsdienststellen unmittelbar, um die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes in dem vom Bundestag und seinem Kriegsopferausschuß gewollten Sinne zu gewährleisten. Zur Zeit können an die Länder leider nur Empfehlungen gegeben werden, und Sie haben ja den Ausführungen des Bundesarbeitsministers entnommen, wie selbst das Verwaltungsabkommen nicht zustande gekommen ist, das mit den Arbeitsministern der Länder geplant war. Drittens die Möglichkeit, die Bundesaufsicht nicht nur auf die Gesetzmäßigkeit, sondern auch auf die Zweckmäßigkeit der Verwaltungsakte der unteren Dienststellen auszudehnen. Sehen Sie, Herr Renner, hier könnte sich z. B. in dem Fall der 86jährigen Witwe in Köln im Rahmen einer Überprüfung auch der Zweckmäßigkeit das Bundesarbeitsministerium einschalten. Jetzt kann es das nicht.
Viertens die Möglichkeit, die Vorprüfung durch Bundesorgane schon in der Mittelinstanz durchführen zu lassen. Fünftens Beschleunigung des Verwaltungsganges durch Ausschaltung der Länderministerien. Sechstens erhebliche Verbilligung durch Beseitigung der Länderministerialinstanzen. Siebentens weitere Verbilligung der Verwaltung durch Zusammenlegung von kleineren Landesversorgungsämtern. Achtens weitere Möglichkeit der Verbilligung durch Zusammenfassung von Landessozialgerichten. Neuntens Schaffung eines einheitlichen Beamtenkörpers, der nach Grundsätzen ausgebildet ist, die die Gewähr für eine sachgemäße Erledigung der Aufgabe bieten. Zehntens: Schwierigkeiten mit den Länderfinanzministern über die Aufbringung der Verwaltungsausgaben in den Bundeshaushalten und in den Länderhaushalten fallen weg. Und elftens: Schwierigkeiten und die Auseinandersetzung mit den Ländern über die Bewirtschaftung früheren Reichsvermögens kommen in Wegfall.
Meine Damen und Herren! Man soll hier von diesem Platz nicht nur Kritik üben; man soll auch konstruktive Verbesserungsvorschläge machen, und wir glauben, mit diesem Gesetzentwurf Ihnen einen solchen konstruktiven Verbesserungsvorschlag gemacht zu haben. Im übrigen wird er ja nach den Erfahrungen der 20monatigen Tätigkeit nur der Anfang sein zu einer allgemeinen Revision des Grundrechtskatalogs der Kompetenzen dahingehend, nunmehr aus den Erfahrungen der Vergangenheit zu lernen und den Föderalismus dort abzubauen, wo er sich in der Praxis selbst stranguliert hat.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch an den Herrn Bundesarbeitsminister, über dessen gute Arbeit wie über die gute Arbeit des Ministeriums hier gar keine Meinungsverschiedenheiten herrschen dürften, einen Appell richten. Wir haben im Kriegsopferausschuß bewußt alle Verhandlungen stenographisch festgehalten, und es war das Verdienst des leider zu früh verstorbenen Vorsitzenden, des Kollegen Leddin, daß hier mit aller Peinlichkeit der Wille des Gesetzgebers für eine spätere Interpretation festgehalten wurde. Wir haben das Gefühl, daß in den Verwaltungsvorschriften, den Ausführungsbestimmungen jenem Willen des Gesetzgebers nicht immer Rechnung getragen ist und es hier zu mancher Umdeutung und Verfälschung kommen könnte. Wir bitten daher den Herrn Bundesarbeitsminister, die stenographischen Protokolle des Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenausschusses
immer wieder zur Interpretation der einschlägigen Bestimmungen heranzuziehen.
Das gleiche gilt für das Heimkehrergesetz. Gerade die Novelle, die in Arbeit ist, muß das wieder gutmachen, was leider in Ausführung des Heimkehrergesetzes durch die Länder verfälscht wurde.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit einer Feststellung schließen. Ich weiß, daß die Verbände, die an dem Gesetz mitgearbeitet haben — VdK, Reichsbund, Bund der Hirnverletzten —, die Entwicklung draußen jetzt mit erheblichem Miß- trauen verfolgen und demonstrieren, und das mit Recht. Aber diese Demonstrationen richten sich oft an den falschen Adressaten, nämlich an den Bund, während sie sich an die Länder richten sollten, die für diese Mißstände doch in erster Linie verantwortlich sind, wenn Herr Renner das auch bestreitet, der an sich sonst ein so guter Kenner des Grundgesetzes und vor allem des Verwaltungsaufbaus der Bundesrepublik ist.
Hier muß also eine gewisse Aufklärung einsetzen, und ich wäre vor allen Dingen den politischen Kräften, die in den Ländern die Verantwortung tragen, dankbar, wenn sie sich von ihnen nahestehenden Kollegen hier im Bundestag belehren ließen, daß man nicht auf der Länderverwaltung beharre, sondern den Schritt zur Bundesverwaltung im Kriegsopferwesen tut, so wie wir es Ihnen vorgeschlagen haben.