Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Fraktion hat im November 1949 die Reform der Sozialversicherungsgesetzgebung gefordert. Dabei haben wir drei Ziele herausgestellt: die Erhöhung der Rentenleistungen, die Verbesserung der Krankenkassenleistungen, auch der Leistungen für die Krankenkassenärzte und die Einsparung an Verwaltungskosten und -ausgaben. Dieser unser damaliger Antrag, der erste, der sich mit dem Problem der Reform der Sozialversicherung beschäftigte und hier eingebracht worden ist, hatte dann das Schicksal, daß er im Ausschuß und später im Bundestag beerdigt wurde. Im Sommer 1950, genauer gesagt: am 29. Juli, hat dann die SPD das Problem der Sozialversicherung, der Notwendigkeit der Rentenerhöhung, aufgegriffen mit dem Ergebnis, daß dieser Antrag der Bundesregierung und dem zuständigen Ministerium als Material überwiesen worden ist. Also mindestens seit Juli 1950 liegt ein konkreter Auftrag an das Bundesarbeitsministerium vor, nachdem man unsern Antrag vom November 1949 abgewürgt hatte, das Problem der Sozialversicherungsgesetzgebung anzupacken und zu lösen.
Dann hat am 22. Februar dieses Jahres, nachdem sich die Regierung nicht geregt hat, die Fraktion der CDU/CSU den berühmten und berüchtigten Antrag eingebracht, in dem eine Erhöhung der Rentenbezüge um 25% gefordert wird. Am 22. Februar! Und heute haben wir April! Dieser Antrag wurde, verbunden mit einer Interpellation der SPD, meines Wissens am 1. März dieses Jahres behandelt. Der Ausgang war der: Der Regierung wurde ein Beschluß des Bundestages zugeleitet, der lautete, daß eine 25%ige Rentenerhöhung durchgeführt werden solle. Aber was hat sich bei dieser Geschichte herausgestellt? — Ich greife das an dieser Stelle auf, damit es mir ja nicht entgeht. — Was erlebten wir damals bei der Beratung? Damals hat die Sprecherin der SPD, Frau Kollegin Korspeter, mit Recht heftige Angriffe gegen das saumselige Arbeiten des Arbeitsministeriums vorgebracht. Die CDU reagierte mit der Feststellung — immer laut Protokoll nachzulesen —, daß ja die Sozialdemokratie in den Ländern für die Politik der Länder auf diesem Gebiet verantwortlich sei und bisher die Länder allein auf diesem Gebiet zuständig wären. Heute erleben wir im Zusammenhang mit der Kriegsopferversorgung noch eine neue Variante dieses Spiels um die angebliche Verantwortlichkeit. Heute erleben wir, daß Sozialdemokraten und CDU für die wirklich jammervolle Art der Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes die Landesbehörden verantwortlich machen.
Nun, das stimmt doch nicht. Man wußte doch ganz genau, welche Möglichkeiten dieses Bundesversorgungsgesetz den Landesbehörden gab. Wir haben ja bei der ersten Lesung dieses Gesetzes genau und klar auf diese Möglichkeiten hingewiesen. Wir haben damals die Frage gestellt: Ist eine Umanerkennung beabsichtigt, wird also in jedem Rentenfall auf Grund des neuen Gesetzes ein neuer Rentenbescheid erteilt? — „Jawohl!", hat man uns gesagt. Das haben wir mit der Feststellung quittiert, daß dann zwingend dieses neue Gesetz zu einer Rentenquetsche werden müsse. Der Erfolg ist da! Im Lande Nordrhein-Westfalen lagen im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes 200 000 alte, unerledigte Rentenanträge vor. Statt nun diese alten Rentenanträge vorzunehmen und zu erledigen, hat man sich in Überstundenarbeit auf dieses neue Gesetz gestürzt mit dem Ergebnis, das hier zu recht heftigst beklagt worden ist. Aber man wußte das doch, und die Behörden haben doch nur das ausgenutzt, wozu ihnen dieses Gesetz eine Möglichkeit gab, nämlich Geld einzusparen, die Kriegsopfer in ihrer Gesamtheit soundso viel schlechter zu stellen, als das vordem der Fall war.
Wir haben ja schon vor Monaten auf dieses Riesenantragsformular hingewiesen, das nach dem hier bereits einmal von Herrn Kollegen Bazille zitierten Artikel in 70 verschiedenen Vordrucken und Fragebogen, die bis zu 65 Fragen enthalten, ausgefüllt werden muß. Auch das ist nicht eine kommunistische Hetze, wenn ich es hier feststelle. Dieser Fragebogen war nun meines Wissens im Bundesarbeitsministerium schon im November oder Dezember vorigen Jahres fertig. Er war also schon fertig, bevor noch das Gesetz überhaupt in Bearbeitung genommen wurde.
— Ja, das beweist, daß Sie in der Beziehung gut
gearbeitet haben, daß Sie diese Formulare voraus-
ahnend erdacht haben, deren Beantwortung einem
normalen Sterblichen außerordentlich große
Schwierigkeiten macht. Da fehlt nämlich fast nichts mehr außer etwa der Angabe über die Halsweite; sonst ist da alles drin: Vermögen, eigenes Einkommen, Einkomen der Frau, Einkommen der Kinder, Einkommen aus Renten. Warum das alles? Sie wußten doch, daß diese Einkommen alle auf die Renten angerechnet werden. Wir haben Sie doch vor diesen Auswirkungen gewarnt! Sie wußten doch, was kam, daß z. B. - ich zitiere da das Organ „Reichsbund" —, die Bestimmungen über die Elternrente dazu führen müßten, daß mindestens 400/o aller bisherigen Empfänger von Elternrente keine Renten mehr oder nur noch Teilrenten erhalten würden. In dem zitierten Artikel des Herrn Kollegen Bazille heißt es an einer Stelle:
Was soll man aber weiter dazu sagen, wenn
man als Auftakt der Umanerkennung einer
86jährigen Kriegermutter, die im letzten Krieg
4 Söhne verloren hat, die Rente entzieht?
Der Fall ist meines Wissens in Köln passiert. Die Frau hatte, soviel wir informiert sind, ganze sechs Mark mehr an Einkommen, als sie haben durfte, um in den Genuß der Kriegerelternrente zu kommen.
So liegen doch die Dinge. Und wenn dieses Gesetz, das „Gesetz des guten Willens", das man ja bei der Verabschiedung nicht genug mit Vorschußlorbeeren belegen konnte,
zu einer Katastrophe für die Kriegsopfer wurde, dann kommen Sie mir heute ja nicht mit der Feststellung, daß die Landesbehörden daran schuld seien. Die Landesbehörden könnte man, da man sie ja in der Frage der geldlichen Bezuschussung in der Hand hat, schon zwingen, wenn man wollte, eine — angeblich gewollte — saubere und gute Durchführung dieses Gesetzes vorzunehmen.
Ich darf bei der Gelegenheit aber noch auf eines hinweisen. Im November 1949 haben wir Kommunisten den Antrag gestellt, die Rentenbezüge von damals um 60 % zu erhöhen. Wir haben im Dezember 1949 den Antrag gestellt, eine dreizehnte Monatsrente zu bewilligen. Wir haben im Februar vorigen Jahres den Antrag gestellt, ein Überbrükkungsgesetz zu schaffen. Alle Anträge wurden abgelehnt. Wir wußten ganz genau, wie lange die Kriegsopfer warten müßten, bis das neue Gesetz durchgeführt wird. Drei oder vier Jahre werden wahrscheinlich noch darüber vergehen, bis der letzte auf Grund dieses neuen Rentengesetzes seinen Umanerkennungsbescheid oder seinen Erstbescheid in der Hand hat. Wir waren als einzige Organisation für das Prinzip der ungeteilten Rente. Wir haben uns bei der endgültigen Verabschiedung des Gesetzes als einzige Fraktion gegen die Anrechnung des Einkommens aus Arbeit und sonstigen Einkommens — Einkommen aus Vermögen und aus Rentenbezügen der Invaliden- und Angestelltenversicherung — gewendet. So liegen die Dinge. Also kommen Sie doch heute nicht mit der Klage, die bösen Landesbehörden seien dafür verantwortlich, daß es draußen diesen — berechtigten — Sturm der Empörung gibt, der die Leitung dieser Organisation — des VdK — zu diesem Artikel gezwungen hat: „Der Zug führt in den Abgrund!" Die Einleitung hat Herr Kollege Bazille ja vorgelesen.
Ich möchte an dieser Stelle nur feststellen: Wir haben weder Illusionen gehabt bei der Verabschiedung des Gesetzes, noch haben wir draußen bei den
Kriegsopfern Illusionen erzeugt. Aber darf ich daran erinnern: als wir uns bei der Endabstimmung der Stimme enthalten haben, wie hat man uns da draußen in der Öffentlichkeit für diese angebliche Ablehnung des Gesetzes durch den Dreck gezogen!
Wir wußten, was los ist, was das Gesetz bedeutet; wir wußten z. B., daß es in der ganzen französisch besetzten Zone eine generelle Verschlechterung der Rentenbezüge bringt. Nun will ich einmal den Versuch machen, diese unsere Feststellungen durch Protesterklärungen zu erhärten, die Ihnen ja genau so wie mir aus dem Lande zugehen — vielleicht bekommen Sie noch einige mehr, weil Sie ja die für dieses Gesetz Verantwortlichen sind.