Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Art. 131 des Grundgesetzes verpflichtet uns, die Rechtsverhältnisse von Personen einschließlich der Flüchtlinge und Vertriebenen, die am 8. Mai 1945 im öffentlichen Dienst standen, aus anderen als beamten- oder tarifrechtlichen Gründen ausgeschieden sind und bisher nicht oder nicht ihrer früheren Stellung entsprechend verwendet werden, durch Bundesgesetz zu regeln. Bei der Einbringung der Vorlage in diesem Hause hat der damalige Herr Innenminister Heinemann festgestellt, daß eigentlich niemand mit diesem Gesetz so recht glücklich sei und daß wohl niemand froh sei darüber, welche Fassung er dem Hause jetzt präsentieren könne. Sicher würden die Betroffenen die mangelnden Leistungen des Gesetzes beklagen, die Steuerzahler würden nicht sehr glücklich sein über die Last, die damit allgemein auf die öffentlichen Haushalte gelegt werde, und — nicht zu vergessen — schließlich würden die großen Massen der anderen Geschädigten des letzten Krieges in diesem Gesetz eine Bevorzugung gerade der Angehörigen des öffentlichen Dienstes erblicken. Es allen gleichermaßen recht machen — so war damals die Meinung des Herrn Innenministers — könne diese Vorlage nicht.
Ich glaube kein Wort zuviel zu sagen, wenn ich feststelle: Der Herr Innenminister hat damals auch vorausgesehen, wie es uns allen ums Herz ist, wenn wir dieses Gesetz endgültig verabschieden. Dieses Gefühl wird niemand von uns los, auch nicht heute in dieser Stunde. Wir haben sicher versucht, aus der Vorlage das Bestmögliche und Gerechtestmögliche zu machen. Aber so mancher mag von Neid erfüllt sein, wenn er in seiner eigenen bedrängten Lage nun auf die Begünstigten dieses Gesetzes blickt. Dem können wir nur entgegensetzen: Der Neid ist immer ein böses Gefühl und ist immer ein schlechter Ratgeber. Es kann nie die Parole sein, ein bestimmtes Gesetz, das einen Fortschritt darstellt und bestimmte Verbesserungen bringt, nun zu verschlechtern, sondern die Parole für die anderen Geschädigten muß doch sein, ihr eigenes Los und die für sie in Frage kommenden Gesetze auf das gleiche Niveau zu bringen, das wir dieser einen Gruppe zubilligen.
Wir haben hier eine ziemlich großzügige Regelung getroffen, das wollen wir gar nicht verschweigen, und wir wollen uns doch bei diesem Gesetz selber das Versprechen gegenseitig abgeben, daß wir mit dem gleichen Maß von Wohlwollen auch für die anderen in Not befindlichen Geschädigtengruppen eintreten werden; sonst gibt es hier eine gewisse Verbitterung und Schiefheiten.
Rechtsansprüche gegen den Bund — davon war in den Eingaben gerade der Geschädigtengruppen viel die Rede — standen allenfalls den früheren Reichsbediensteten und denen des Landes Preußen zu. Die anderen hatten durch das Grundgesetz nur einen Anspruch auf Regelung ihrer Rechtsverhältnisse. Wie diese zu regeln waren, steht überhaupt nicht im Grundgesetz. Nun hat dieses Gesetz in großzügiger Weise den gesamten öffentlichen Dienst einschließlich der früheren Wehrmacht als Einheit aufgefaßt. Es sorgt für den vertriebenen Gemeindebeamten, obwohl sein Dienstherr gar nicht mehr vorhanden ist. Das folgt aus der auch von uns ausgesprochenen Anerkennung des Berufsbeamtenturns. Der moderne Staat braucht fachlich gut geschulte Spezialisten, die mit ihrer Ausbildung kaum eine andere Verwendungsmöglichkeit haben. Wir wissen es. Die öffentliche Hand ist der alleinige Arbeitgeber dieses Personals. Schon aus diesem Tatbestand ergibt sich auch die besondere Stellung der Angehörigen des öffentlichen Dienstes.
Wer sorgt aber für den heimatvertriebenen Arbeiter oder Angestellten, der doch gleichfalls seinen Arbeitsplatz verloren hat? Für den öffentlichen Dienst haben wir mit diesem Gesetz ein Stück Lastenausgleich, auf das die andern alle warten, vorweggenommen, und zwar ein erhebliches Stück. Das wollen wir einmal offen aussprechen. Dieses Gesetz kostet uns 750 Millionen DM, während das gesamte Lastenausgleichaufkommen — einmal vorausgesetzt, die Vorlage geht so durch, wie wir sie jetzt haben — auch nur 13/4 Milliarden DM im Jahre beträgt. Es handelt sich also schon um ein erhebliches Maß an Wohlwollen, das wir diesem betroffenen und geschädigten Personenkreis entgegenbringen. Wollen wir nun hoffen, daß beim endgültigen Lastenausgleich auch die geschädigten anderen Arbeitnehmer vernünftig behandelt .werden, aber vor allem, daß wir durch eine konsequente Politik der Vollbeschäftigung denen, die heute zu einigen Hunderttausend gerade in den Kreisen der Heimatvertriebenen an der Arbeitslosigkeit beteiligt sind, endlich Arbeitsplätze beschaffen können. Denn der Hauptton dieses Gesetzes liegt ja nicht allein auf der materiellen Versorgung Unbeschäftigter, sondern gerade auf der Unterbringung. Darauf haben wir ja besonderen Wert gelegt. Die Unterbringungsvorschriften für den öffentlichen Dienst entsprechen dem, was wir ohne Zwang durch die Politik der Vollbeschäftigung auch für die anderen heute noch arbeitslosen Vertriebenen erreichen können.
Ein anderes Kapitel ist das der Berufssoldaten. Der Berufssoldat ist vom Gesetz als gleichberechtigter Staatsdiener anerkannt. Wir wünschen keine Benachteiligung, aber auch keine Bevorzugung der Berufssoldaten gegenüber den übrigen Angehörigen des öffentlichen Dienstes. Immerhin bestand doch Deutschlands kämpfende Truppe aus den meisten Söhnen seines Volkes und nicht nur aus denen, die sich einst den Soldatenberuf als Lebensberuf erwählt hatten. Ein Beispiel: Denken wir doch einmal an den Jahrgang 1915! 1936 wurde der junge Mann zum Arbeitsdienst eingezogen. 1937 fing er seine zweijährige Heeresdienstpflicht an abzudienen. Dann kam der Krieg, die Kriegsgefangenschaft und die Heimkehr aus Rußland, etwa im Jahre 1950. Das bedeutet, daß der Mann jetzt ohne Ausbildung für irgendeinen Beruf im Alter von 35 Jahren 14 bis 15 Jahre seines Lebens praktisch im Heeresdienst verbracht hat. Wer billigt 'diesem Mann irgendwelche Rechtsansprüche auf Versorgung oder Unterbringungsansprüche im öffentlichen Dienst in dem gleichen Maße zu, wie dieses Gesetz sie dem Berufssoldaten zubilligt?
Das Heimkehrergesetz war eine erste Hilfe. Reicht die Hilfe in diesem Sinne aus? Ich wage das zu bezweifeln. Denken wir andererseits auch an die Krüppel, Witwen und Waisen des letzten Krieges! Das Versorgungsgesetz hat die Leistungen für sie verbessert; aber wir alle wissen doch, daß die Leistungen darin durch die Preiswelle der letzten Monate eigentlich längst überholt sind.
Schon im Jahre 1945 haben wir klar ausgesprochen, daß das ganze deutsche Volk den Krieg
verloren hat und nicht nur jene Masse von armen Teufeln in der Kriegsgefangenschaft, in den Reihen der Heimatvertriebenen, sondern auch der im Bombenhagel des Krieges Heim, Familie und Gesundheit opfernden tapferen Frauen. Hier muß ein Ausgleich des Schicksals, das den einen blind getroffen und den andèren verschont hat, Aufgabe unserer gesetzgeberischen Arbeiten sein.
Der Versorgung der Angehörigen des öffentlichen Dienstes muß nun, soll keine unnötige Verbitterung im Volke hervorgerufen werden, die Verbesserung der Leistungen für die anderen Kriegsopfer und für die Heimkehrer folgen.
Wir wissen, welches Problem die Forderung des Heimkehrerverbandes auf Entschädigung der für für uns alle in Rußland geleisteten Reparationsarbeit aufwirft. Dem Grunde nach kann niemand von uns diesen Anspruch bestreiten. Wir müssen ernsthaft, vielleicht im Zusammenhang mit den Beratungen über den Lastenausgleich, einmal darüber nachdenken, wie wir zu einer einigermaßen gerechten, aber auch durchführbaren Lösung dieser Frage kommen.
Die Auseinandersetzungen in der zweiten Lesung über den Abs. 2 des § 15 haben zusammen mit anderen Bestimmungen des Gesetzes das Problem der Belastung der Gemeinden aufgeworfen. Selbstverständlich müssen die Gemeinden die Last tragen, soweit es sich um ihr früheres Personal handelt und sie selbst Dienstherr sind. Weniger selbstverständlich ist es, daß die Gemeinden einfach deshalb, weil sie öffentliche Körperschaften sind, für alle Angehörigen des öffentlichen Dienstes gewissermaßen als Gesamtschuldner mitzusorgen haben. Es gibt gute Gründe dafür. Wir haben keinen anderen Weg gesehen, um diesen Personenkreis überhaupt unterzubringen. Aber es gibt auch gewichtige Einwände. Weder das alte Beamtenrecht noch der Art. 131 des Grundgesetzes legen den Gemeinden diese Pflicht unmittelbar auf. Das tun wir jetzt im eigenen, freien Entschluß und müssen wissen, was wir damit tun. Nehmen wir den Soldaten als Beispiel. Nach landläufiger Vorstellung ist der Soldat zum Schutze von Heim und Herd und Weib und Kind ausgezogen. Er hat also nicht nur die Staatsverwaltung und die Gemeindeorganisation geschützt, sondern alle deutschen Bürger mit ihrer Habe.
Warum trifft die Last der Unterbringung des Soldatenstandes nun nur den öffentlichen Dienst? Der Soldatenberuf allein ist noch keine ausreichende Vorbildung für eine qualifizierte Beamtentätigkeit. Es muß immer noch eine zusätzliche Ausbildung dazukommen. Statt der Beamtenausbildung kann -der Soldat auch etwas anderes lernen. Warum wird bei der Unterbringung nicht in gleichem Maße an die Wirtschaft herangegangen, die doch auch durch den Einsatz des Soldaten mit geschützt worden ist?
Das Gesetz bringt eine fühlbare Hilfe für viele Zehntausende von Familien, und es erfüllt ein Versprechen, das wir im Grundgesetz gegeben haben. So manches ernsthafte Bedenken spricht gegen die Lösungen, wie sie gerade jetzt hier erarbeitet wurden. So mancher berechtigte Wunsch der Betroffenen bleibt auch unerfüllt. Einige bittere Erfahrungen der Vergangenheit veranlassen uns, im Anschluß an die denkwürdigen Ausführungen, die Herr Professor Schmid in der vorigen
Sitzung hier gemacht hat, daß wir die klare Forderung aussprechen, daß der demokratische Staat nicht nur seine Fürsorgepflicht den aktiven und den früheren Angehörigen des öffentlichen Dienstes gegenüber erfüllt, sondern daß er dann, wenn es nottut, auch jedermann gegenüber seine Autorität zu wahren weiß.
In der ersten Lesung hat der Kollege Menzel vier Bedingungen für die Zustimmung der Sozialdemokratischen Partei zu diesem Gesetz formuliert: Erstens der Verzicht auf die damals vorgesehene dreiprozentige Gehaltskürzung, zweitens die Gleichstellung der vertriebenen Beamten, Angestellten und Arbeiter mit den einheimischen, drittens die Einbeziehung Berlins und viertens die Bevorzugung der Kriegsgefangenen und der Spätheimkehrer.
Die ersten drei Bedingungen sind erfüllt worden. Zur vierten Bedingung legen wir Ihnen jetzt den für uns entscheidenden Antrag vor. Nehmen wir das Gesetz als einen Beitrag zur Bekämpfung sozialer Not, so hat es seinen guten Sinn. Nehmen wir es als Versprechen, anderen, noch dringenderen Notständen nun auch mit der gebotenen Energie zu Leibe zu gehen, so ist der Wert dieses Gesetzes für uns noch größer. Deshalb werden meine Freunde trotz vieler Bedenken und Einwände, die ich Ihnen im einzelnen vorgetragen habe, aber in der Hoffnung, daß Sie, meine Damen und Herren, den- von meinem Kollegen Matzner noch zu begründenden, für. uns außerordentlich wichtigen Anträgen beitreten und das Gesetz nicht etwa nach der anderen Seite hin verschlechtern werden, diesem Gesetz in der Schlußabstimmung zustimmen.