Rede von
Dr.
Gerhard
Schröder
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir nicht in den Ausschüssen und in dem daraus gebildeten verkleinerten Arbeitskreis alle der Auffassung gewesen wären, daß es notwendig ist, mit allen Kräften den Versuch zu machen, für dieses Gesetz eine breite Mehrheit hier im Hause zu finden, dann hätten wir uns die Bemühungen von Wochen, von Abend-und Nachtsitzungen sparen können; denn dann hätten wir es wesentlich billiger und einfacher haben können. Aber da wir in den Ausschüssen von diesem Willen beseelt gewesen sind, glaube ich, daß es auch jetzt noch nicht zu spät ist, diesen Versuch zu machen.
Inzwischen sind Ihnen von allen Fraktionen mit Ausnahme der Deutschen Partei, wenn ich meinen Vorredner Kuhlemann richtig verstanden habe, Abänderungsanträge vorgelegt worden, und es gehört in der Tat schon ein gewisses Spezialistentum dazu, die Nuancen der einzelnen Anträge mit voller Deutlichkeit zu übersehen. Dadurch wird
» auf der einen Seite ganz klargestellt, daß hier tatsächlich der springende Punkt und die Crux des Gesetzes liegt; aber auf der anderen Seite wird dadurch doch nur die Notwendigkeit unterstrichen, gerade in diesem Punkt zu einer befriedigenden Regelung zu kommen.
Meine Damen und Herren, es ist leider in dieser Debatte zu wenig hervorgehoben worden, daß das Grundprinzip, nämlich die paritätische Besetzung der Aufsichtsräte, im Grunde überhaupt nicht mehr diskutiert worden ist.
Ich wundere mich eigentlich darüber, daß das so wenig diskutiert worden ist; denn wir wollen uns doch darüber klar sein, daß wir mit diesem Gesetz am Beginn eines außerordentlich bedeutungsvollen Abschnitts unserer Wirtschafts- und Sozialgeschichte stehen, und wenn man sich schon in diesem Punkte der Parität sozusagen durch allgemeinen Konsens so weitgehend geeinigt hat, dann sollte es in der Tat keine unüberwindlichen Schwierigkeiten bereiten, für die Parität eine Form zu finden, die allen Gruppen in diesem Hause erträglich erscheinen mag.
Wir werden in wenigen Wochen vor einer neuen Debatte stehen, nämlich vor der Debatte über das allgemeine Mitbestimmungsrecht. Ich würde es für sehr viel glücklicher gehalten haben — ich gestehe das ganz offen —, wenn wir die Möglichkeit gehabt hätten, die monatelangen Beratungen, in denen wir uns mit dem allgemeinen Mitbestimmungsgesetz beschäftigt haben, nicht zu unterbrechen, sondern fortzusetzen und zu Ende zu führen, bevor wir in diese spezielle Lage gebracht wurden, ein Sondergesetz für Kohle und Eisen vordringlich, zum Teil überstürzt — denn das sehen
Sie der Regierungsvorlage doch an — zu behandein. Ich glaube, wir würden eine wesentlich bessere Atmosphäre gehabt haben, wenn wir auf der Basis eines allgemeinen Mitbestimmungsrechts dann die Besonderheiten hätten berücksichtigen können, die nach der Überzeugung der meisten von uns für Kohle und Eisen angezeigt erscheinen mögen. Aber, meine Damen und Herren, gerade weil wir in absehbarer Zeit das allgemeine Mitbestimmungsrecht werden diskutieren müssen, deshalb sollten wir uns heute auch schon über die tragenden Prinzipien klar werden, die die richtige Legitimation für die Vertreter der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat abgeben. Ich glaube, daß, wenn man sich diese Frage einmal ohne Voreingenommenheit überlegt, man sicher zu dem Ergebnis kommen kann, nach meiner Überzeugung sogar zu dem Ergebnis kommen muß, daß es nicht richtig ist, die Vertreter der Arbeitnehmer über eine Hauptversammlung zu schleusen, die dabei, wie schon einmal gesagt worden ist, die Rolle des Nickinstituts oder des Notars, oder wie immer Sie es nennen wollen, zu übernehmen hat. Es scheint mir wesentlich besser und auch notwendig, die Legitimation der Arbeitnehmer für den Aufsichtsrat in einer überzeugenden Weise vorzunehmen, und wenn Sie darüber nachdenken, welches denn nun ein Gremium sein kann, und zwar vom Betrieb her gesehen ein Gremium sein kann, das in der Lage ist, eine überzeugende Legitimation für die Arbeitnehmer herzugeben, dann werden Sie auf nichts anderes kommen als darauf, daß neben der Hauptversammlung eine Vollversammlung der Belegschaft zu stehen hätte.
Meine Damen und Herren, ich weiß, daß sich dagegen sehr viele Gründe formaler und technischer Art, daß sich dagegen politische Bedenken usw. o usw. geltend machen lassen. Aber dieses Prinzip als solches sollte man in der Tat ernsthafter durchdenken, als das bisher in manchen Kreisen geschehen zu sein scheint, und ich glaube, daß wir dafür auch sehr solide Anknüpfungspunkte in der Vergangenheit des deutschen Rechtslebens haben. Vielleicht haben einige von Ihnen Gelegenheit genommen, in diesen Wochen des Kampfes um die Ordnung der Mitbestimmung bei Kohle und Eisen noch einmal einen Blick in das alte Betriebsrätegesetz von 1920 und in die Durchführungsbestimmungen dazu zu werfen, die 1922 erlassen worden sind. Sie werden zu Ihrer großen Überraschung finden, daß man damals den von mir für richtig gehaltenen Grundsatz bereits gesetzlich fundamentiert hat, nämlich den, daß die Vertreter der Arbeitnehmer über den Betriebsrat unmittelbar in den Aufsichtsrat gelangen. Man hat sogar — und ich bitte Sie, diese Wahlordnung einmal nachzulesen — dafür gesorgt, daß ein Minderheitenschutz geschaffen wurde, also gerade das, worum wir uns doch heute auf allen Rechtsgebieten so ganz besonders bemühen. Ich habe den Eindruck, daß, wenn man das schon vor 30 Jahren in dieser klaren und deutlichen Weise gesetzlich festgelegt und in der Nationalversammlung als Fortschritt gefeiert hat, wir dann heute sehr gut daran täten, uns doch nicht zu weit von den Prinzipien zu entfernen, die eine tatsächlich solide Fundamentierung der Legitimation für die Teilnahme der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat geben können.
Unter diesen Gesichtspunkten, meine Damen und Herren, sollten Sie sich vielleicht doch noch einmal die Mühe machen, die Beschlüsse anzusehen, die die Ausschüsse für Arbeit und Wirtschaftspolitik in ihren gemeinsamen Sitzungen gefaßt haben.
Dort hat man den Versuch gemacht, wirklich allen Seiten das zu geben, was man ihnen geben muß. Es ist keineswegs so, wie Herr Imig sagte, daß „man so tut, als ob man wollte und in Wirklichkeit nicht will". Das Gegenteil ergibt sich meiner Auffassung nach bereits aus der bloßen Lektüre der Vorschläge, die die Ausschüsse gemacht haben. Hier wird in einem sehr gut ausgewogenen Zusammenspiel gesetzlich — übrigens zum erstenmal gesetzlich — eine gegenseitige Konsultation von Betriebsrat und Gewerkschaft festgelegt, also durchaus ein Prinzip, für das sich doch sicherlich sehr weite Kreise in diesem Hause sollten einsetzen können.
Wenn man dann sagt, die Bedeutung der Gewerkschaften in ihrer Spitze sei hier aber nicht genügend hervorgehoben, so glaube ich, daß das ein Fehlschluß ist. Sie können ganz sicher sein, daß, wenn diese Vorschläge — wie die Ausschüsse es Ihnen empfohlen haben — von den Gewerkschaften zu machen sind und die Belegschaft die Möglichkeit hat, daraus zwei Vertreter zu wählen, dabei ohne Zweifel, auch ohne daß wir eine gesetziche Begriffsbestimmung der zuständigen Spitzenorganisation geben, die im Betrieb stärkste Gewerkschaft sich dann auf Grund ihrer natürlichen demokratischen Stärke wird durchsetzen können. Ich glaube, daß dieses Prinzip all den andern Prinzipien, die hier vorgeschlagen werden, durchaus überlegen ist. Sie sollten sich gerade im Hinblick auf die kommende Regelung des allgemeinen Mitbestimmungsrechts doch überlegen, ob man hier nicht noch einmal ernsthaft den Versuch unternehmen sollte, zu jener Mehrheit zu kommen, die wir für dieses umwälzendste Gesetz seit 1945 in diesem Hause im Interesse der deutschen Gesamtheit unbedingt brauchen.