Meine Damen und Herren! Wir haben bereits bei der ersten Lesung dieser von den Gewerkschaften in der Regierungsvorlage akzeptierten Bestimmungen über das sogenannte Mitbestimmungsrecht darauf hingewiesen, daß die Frage der Mitbestimmung unter den gegenwärtigen politischen Verhältnissen in Westdeutschland einer den Interessen der Arbeiterschaft Rechnung tragenden Regelung und Entscheidung nicht zugeführt werden kann. Wenn die
Frage der Mitbestimmung steht — und ich glaube, daß gerade in § 4, soweit es sich also um die Zusammensetzung des Aufsichtsrats handelt, eine solche Regelung wenigstens in dem jetzt gegebenen Rahmen erzielt werden sollte —, dann setzt das voraus, daß auch der Aufsichtsrat so zusammengesetzt wird, daß er den Erfordernissen der Arbeiterschaft Rechnung trägt. Das um so mehr, als die allgemeine Situation und die allgemeine Entwicklung bedingen, daß die Arbeiterschaft in die Entscheidung über die Wirtschaftspolitik weitestgehend eingeschaltet wird, sie weitestgehend mitbestimmen muß, vor allen Dingen im Hinblick auf die Tatsache, daß heute in Westdeutschland die Fragen der Remilitarisierung, die Belastung des arbeitenden Volkes auf Grund der Adenauerschen und Erhardschen Wirtschaftspolitik ein solches Ausmaß angenommen haben, daß es notwendig ist, die Mitbestimmung in einem solchen Umfang zu regeln, daß die von der Regierung und den hinter ihr stehenden Kapitalistengruppen beabsichtigten Remilitarisierungspläne unter allen Umständen unterbunden werden.
— Der Zwischenrufer scheint einer von den Ignoranten zu sein, die noch nicht wissen, daß in der Deutschen Demokratischen Republik von oben bis unten und umgekehrt das Mitbestimmungsrecht für die Gewerkschaften restlos realisiert ist.
— Ich weiß nicht, wer von der sozialdemokratischen Fraktion den Zwischenruf gemacht hat, aber die Tatsachen sprechen ihre eigene Sprache!
— Jawohl, sie sprechen ihre eigene Sprache! Es ist so, daß in allen entscheidenden Instanzen der Wirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik die Arbeiterschaft und die Gewerkschaften die entscheidende Mitbestimmung haben.
Dem Zwischenrufer von der sozialdemokratischen Fraktion möchte ich sagen: vielleicht liest er einmal das Protokoll der ersten Beratung dieser Vorlage durch; ich denke, da wird er auf Seite 4436 des Protokolls der Bundestagssitzung vom 14. Februar 1951 die Ausführungen des Kollegen Imig finden. Kollege Imig führte dort, also am 14. Februar, wörtlich folgendes aus:
Ich will auch nicht untersuchen, ob nicht mindestens der letzte Krieg hätte verhütet werden können, wenn das Problem, das heute zur Debatte steht,
— also die Frage der sogenannten Mitbestimmung —
nach 1918 verwirklicht worden wäre.
Ich glaube, es ist kein sehr angenehmes Zeugnis gerade für die Politik der rechten Gewerkschaftsführung, daß die uralten Forderungen der Gewerkschaften, die bereits auf dem Nürnberger Gewerkschaftskongreß des Jahres 1920 aufgestellt worden sind und in denen damals verlangt wurde, daß das Mitbestimmungsrecht in der gesamten Wirtschaft von unten bis oben und umgekehrt verwirklicht werden sollte, auch nach 1918 nicht realisiert worden sind, mit dem Ergebnis, das wir alle ja kennen.
Es ist bedauerlich, daß die Gewerkschaftsführung weder die Konzeption um die Jahrhundertwende begriffen hatte, als der deutsche Kapitalismus in den Imperialismus umschlug, noch 1914, noch 1918, und daß durch die Haltung der Gewerkschaftsführung eine Entwicklung bis 1932/33 möglich gewesen ist auf Grund der Ablehnung der gemeinsamen Aktion gegen die damals drohende und dann Wirklichkeit gewordene faschistische Diktatur.
— Jawohl, § 4! — Kollege Imig hat in dem Punkt vollkommen recht gehabt, als er erklärte: Nach 1945 haben die Arbeiter den Aufbau begonnen, haben mühselig wieder zusammengeflickt. Und was ist das Ergebnis? Sie haben die Früchte dieser ihrer eigenen Arbeit nicht erhalten, sie haben vielmehr feststellen müssen, daß in der Entwicklung von damals bis heute die Reaktion in Westdeutschland wieder eindeutig triumphiert,
und dafür ist die Politik der rechten Gewerkschaftsführung entscheidend verantwortlich.
Ich glaube, wenn in der Frage einer gewissen — ich sage ausdrücklich: gewissen — Realisierung eines natürlicherweise unter den gegebenen Verhältnissen nicht voll durchzuführenden Mitbestimmungsrechtes die Forderung von der Arbeiterschaft erhoben wird, wie sie in diesem Gesetz in der Vorlage der Gewerkschaften verwirklicht werden soll, dann müssen wir uns auch mit den Vertretern der FDP auseinandersetzen. Bei der ersten Lesung hat der Abgeordnete Dr. Becker von den sogenannten Freien Demokraten zum Ausdruck gebracht, daß er gegen diese Vorlage sei, weil sie eine teilweise Enteignung bedeute. Ich wundere mich über die Dreistigkeit, mit der der Abgeordnete Dr. Becker von der FDP diese Behauptung aufgestellt hat.
Es ist doch zweifellos nicht zu bestreiten, daß, wenn er von einer Enteignung der Aktionäre gesprochen hat, die Frage aufzuwerfen ist: Welches Recht haben denn eigentlich diese sogenannten Aktionäre, und mit welchem Recht stellen sie hier Forderungen hinsichtlich der Zusammensetzung des Aufsichtsrates usw., wenn doch einwandfrei erwiesen ist, daß — entgegen der Behauptung des Abgeordneten Dr. Becker — das entscheidende Kapital in der Wirtschaft nicht der Aktionär ist, sondern die Arbeitskraft, daß infolgedessen die Arbeitskraft, d. h. die Arbeiterschaft den Anspruch darauf hat, auch in den Aufsichtsräten entscheidend vertreten zu sein? Denn das Geld, das die Aktionäre in den Händen haben, ist das Geld, das von den Arbeitern, den Technikern und Ingenieuren erarbeitet worden ist, das man ihnen aber stiehlt. Diesen Diebstahl kleidet man in eine rechtliche Form und behauptet dann, einen Rechtsanspruch zu haben.
Vielleicht kann ich das an einem Beispiel, das ich schon einmal erwähnt habe, erläutern. Als die Bilanz der Opelwerke-A.G. in Rüsselsheim veröffentlicht wurde, da wurde zwar formal ein Reingewinn von etwas über 30 Millionen DM ausgewiesen; Tatsache ist aber — das ergibt sich, wenn man die Bilanz etwas näher überprüft —, daß der Reingewinn mindestens 160 Millionen DM beträgt.
Dabei sind den Aktionären der Opelwerke-A.G., deren Aktienkapital 80 Millionen DM beträgt — aus den Erträgnissen, d. h. aus der Arbeit der Belegschaft der Opelwerke, der Arbeiter, Ingenieure
und Techniker —, die Aktien nicht im Verhältnis 10 : 1 umgestellt worden, wie es bei der Währungsreform für die Masse des Volkes üblich war, sondern für 1000-Reichsmark-Aktien sind 1000-D-
Mark-Aktien gegeben worden, d. h. allein den Aktionären wurden aus dem erarbeiteten Verdienst der Belegschaft 72 Millionen DM Überprofit zugeschanzt. Das sind die Gelder, die aus der Belegschaft herausgearbeitet worden sind. Und dann behaupten die Herren von der FDP, einen Anspruch darauf zu haben, daß für die Aktionäre die Mehrheit im Aufsichtsrat gesichert werden soll.
Aber die FDP als Vertreterin insbesondere der Herren der Industrie hat — und das ergab sich aus den Beratungen des Ausschusses — ihre Unterstützung durch die Vertreter der ausländischen Kapitalisten gefunden. Nicht nur der französische Hohe Kommissar hat in Wahrnehmung der Interessen der französischen Kapitalisten Einspruch gegen eine Regelung erhoben, die sich insbesondere bezüglich des elften Aufsichtsratsmitgliedes ergibt, sondern das gleiche taten auch die Benelux-Staaten und schließlich gestern einige Vertreter der amerikanischen Wirtschaft.
Meine Damen und Herren, es ist doch nicht ganz uninteressant, einmal das Zusammenspiel der westdeutschen Unternehmerschaft mit den ausländischen Kapitalisten aufzuzeigen, gerade wo es sich darum handelt, daß, wenn auch noch so geringfügige Konzessionen gemacht werden sollen, die ganze Meute der deutschen und ausländischen Kapitalisten aufschreit. Wir haben ja — und einige Kollegen von anderen Fraktionen wissen das — z. B. bei der Entwicklung des hessischen Betriebsrätegesetzes die Erfahrung machen können, daß die Partei des Herrn Euler alles getan hat, um eine Verabschiedung und ein Wirksamwerden des hessischen Betriebsrätegesetzes zu verhindern. Ich erinnere daran — und Kollegen anderer Fraktionen werden das bestätigen können —, daß ich 1946, als im Länderrat in Stuttgart die Frage des Betriebsrätegesetzes und des Mitbestimmungsrechts zur Debatte stand, um eine Demokratisierung der Wirtschaft zu erreichen, die Forderung auf Realisierung erhoben habe. Da war es der amerikanische General McSherry, der, ich möchte beinahe sagen, wutschnaubend erklärte: Mitbestimmung gibt es nicht! Was Demokratie ist, darüber bestimmen wir, die Herren Amerikaner!
Das geht auch aus der Pressekonferenz der Herren
Haynes und Michler hervor, die gestern stattgefunden hat. Durch diese Pressekonferenz dürfte wohl
jedem, der sehen will, klar geworden sein, wer in
Wirklichkeit bestimmt. Denn diese Herren erklärten, daß dieses Gesetz nicht mit den amerikanischen
Interessen vereinbar sei. Sie wiesen darauf hin,
daß in Deutschland unzulängliches Verständnis für
amerikanische Unternehmerfreiheit bestände.
Meine Damen und Herren, das ist also die Demokratie und die Freiheit, die die Herren Amerikaner verstehen und die sie hier in Westdeutschland praktizieren. Für sie kommt es darauf an, alle Wege freizumachen und freizuhalten, damit sie ihren Job in Westdeutschland unterbringen und entsprechende Profite aus der deutschen Bevölkerung, der deutschen Arbeiterklasse, herausholen können.
Aus den von mir erwähnten Gründen muß in § 4 durch die Realisierung der genannten Forderungen eine Regelung erfolgen, daß das entscheidende Kapital in der Wirtschaft, die Arbeitskraft, entsprechend im Aufsichtsrat vertreten ist. Deswegen haben wir in dem Umdruck Nr. 106 für § 4 eine Fassung gefordert, nach der der Aufsichtsrat aus elf Mitgliedern besteht. Er soll sich aus fünf Vertretern der Anteilseigner und sechs Vertretern der Betriebsbelegschaft zusammensetzen. Das ist eine Forderung, die in der Linie der Realisierung des Mitbestimmungsrechts liegen würde. Ich glaube, daß es Aufgabe der Arbeiterschaft in den Betrieben und Aufgabe der Gewerkschaften wäre, diese grundsätzliche Forderung durchzusetzen. Wir wissen allerdings, daß in diesem Parlament die Entscheidung über die Realisierung des Mitbestimmungsrechts nicht möglich sein wird. Ich komme später noch auf einige Fragen zurück, die sich auf die Betriebe draußen selbst beziehen. Gerade zur Verhinderung der Remilitarisierung und zur Verhinderung einer weiteren Massenbelastung des arbeitenden Volkes ist es notwendig, daß das Mitbestimmungsrecht auf betrieblicher Ebene realisiert wird.