Meine Damen und Herren! Ich darf Sie bitten, den wegen dienstlicher Inanspruchnahme gestellten Urlaubsanträgen zuzustimmen. Ich möchte mich, da ich erst in diesem Augenblick von einer Dienstreise zurückgekehrt bin, zunächst informieren, ob ärztliche Atteste bei den Abgeordneten vorliegen, die krankheitshalber Urlaub erbitten. Ich werde Ihnen in kurzer Zeit vorschlagen, welche Entscheidung zu fällen ist.
Ich stelle fest, daß Herr Abgeordneter Dr. Wellhausen, der sich ursprünglich für heute entschuldigt hatte, anwesend ist.
Entsprechend der Übung des Hauses werden die übrigen amtlichen Mitteilungen ohne Verlesung ins stenographische Protokoll aufgenommen:
Der Deutsche Bundesrat hat unter dem 16. März 1951 mitgeteilt, daß er in seiner Sitzung am gleichen Tage den nachstehenden Gesetzen zugestimmt habe bzw. einen Antrag gemäß Art. '77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht stelle:
Gesetz über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet;
Gesetz über eine Finanzhilfe für das Land Schleswig-Holstein;
Gesetz zur weiteren Verlängerung der Geltungsdauer des Preisgesetzes;
Gesetz über das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Verlängerung der Prioritätsfristen auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes;
Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über den
Ablauf der durch Kriegs- oder Nachkriegsvorschriften gehemmten Fristen; Gesetz zur Änderung und Ergänzung des
Wertpapierbereinigungsgesetzes;
Zweites Gesetz über die Übernahme von Sicherheitsleistungen und Gewährleistungen im Ausfuhrgeschäft;
Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung;
Gesetz über die Bemessung und Höhe der
Arbeitslosenfürsorgeunterstützung;
Gesetz über den Verkehr mit Vieh und
Fleisch;
Gesetz zur Umsiedlung von Heimatvertriebenen aus den Ländern Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein;
Gesetz zur Verlängerung des Wirtschaftsstrafgesetzes.
Gegen das Gesetz über die Errichtung einer Bundesstelle für den Warenverkehr der gewerblichen Wirtschaft werde er einen Einspruch gemäß Art. 77 Abs. 3 des Grundgesetzes nicht einlegen.
Den Verordnungen über die Verlängerung der Geltungsdauer der Verordnung über die Preise für Roheisen, Walzwerkserzeugnisse und Schmiedestücke, über die Verlängerung der Geltungsdauer der Verordnung zur Änderung von Preisen für Steinkohle, Steinkohlenkoks und Steinkohlenbriketts aus den Revieren Ruhr und Aachen und zur Ergänzung und Änderung der Verordnung über Getreidepreise für die Monate Oktober 1950 bis Juni 1951 habe er mit Änderungen zugestimmt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 27. März 1951 die Anfrage Nr. 117 der Abgeordneten Karpf und Genossen betreffend steuerliche Behandlung der Heimarbeiter und Hausgewerbetreibenden in der Aschaffenburger Bekleidungsindustrie — Drucksache Nr. 1355 — beantwortet. Die Antwort . wird als Drucksache Nr. 2098 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Arbeit hat am 8. März 1951 zur Anfrage Nr. 151 der Abgeordneten Dr. Wuermeling, Junglas und Genossen betreffend Beseitigung der Doppelgleisigkeit in der Verwaltung der Steinbruchs-Berufsgenossenschaft — Drucksachen Nr. 1755, 1835 — im Nachgang zu seiner Antwort vom 25. Januar 1951 berichtet. Das Schreiben ist als Drucksache Nr. 2084 abgedruckt.
Der Herr Bundesminister für Arbeit hat am 7. März 1951 die Anfrage Nr. 164 der Fraktion der SPD betreffend Anordnung über betriebliche Erziehungsmaßnahmen bei Jugendlichen vom 22. Oktober 1943 — Drucksache Nr. 1964 — beantwortet. Die Antwort ist als Drucksache Nr. 2073 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 15. März 1951 die Anfrage Nr. 166 der Fraktion der Bayernpartei betreffend Abgeltung von Besatzungsschäden im Verhältnis 10 zu 1 — Drucksache Nr. 1994 — beantwortet. Die Antwort ist als Drucksache Nr. 2083 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister der Justiz hat unter dem 20. März 1951 die Anfrage Nr. 167 der Fraktion der SPD betreffend Auslieferung von Deutschen an eine Besatzungsmacht — Drucksache Nr. 2001 — beantwortet. Die Antwort ist als Drucksache Nr. 2097 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 29. März 1951 die Anfrage Nr. 168 der Fraktion der SPD betreffend Vierte Verordnung zur Ausführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses — Drucksache Nr. 2002 — beantwortet. Die Antwort ist als Drucksache Nr. 2103 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 31. März 1951 die Anfrage Nr. 172 der Fraktion der FDP betreffend Preußische Gemäldesammlungen — Drucksache Nr. 2049 — beantwortet. Die Antwort ist als Drucksache Nr. 2104 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 27. März 1951 über die Ausführung des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 22. Februar 1951 betreffend Stundung der Soforthilfeabgabe berichtet. Sein Schreiben ist als Drucksache Nr. 2102 vervielfältigt.
Meine Damen und Herren! Ich rufe Punkt 1 der
Tagesordnung auf:
Beratung der Interpellation der Abgeordneten Frau Wessel und Fraktion des Zentrums, Dr. Seelos und Fraktion der Bayernpartei, Tichi, Schuster und Genossen betreffend Wiederherstellung der deutschen Rechte an dem Konzern der Vereinigte Glanzstoff-Fabriken AG. .
Der Ältestenrat hat eine Begründungszeit von 10 Minuten vorgesehen.
Zur Begründung der Interpellation hat Herr Abgeordneter Dr. Bertram das Wort.
Dr. Bertram , Interpellant: Meine Damen und Herren! Der Gegenstand der Interpellation wird das Außenministerium zum erstenmal in Funktion setzen. Ich muß etwas weiter ausholen, um Ihnen den Gegenstand näherzubringen.
Als 1929 die Gesellschaft — zunächst Enka, später Aku – gegründet wurde, hat man diesen Vertragsweg gewählt, weil im internationalen Recht die Möglichkeit zu einer Fusion nicht gegeben war. Man hat wirtschaftlich zwar eine Fusion gewollt, hat sie aber formaljuristisch nicht schaffen können. Man hat aber in den Vertragsbestimmungen und in den Begleitverträgen den Gedanken der Parität zwischen den holländischen und den deutschen Vermögensinteressen ausdrücklich bejaht. Wirtschaftlich gesehen war der deutsche Vermögensanteil wesentlich größer als der holländische. Bei einem deutschen Vermögenswert Ende 1928 von rund 200 Millionen Mark und einem holländischen Vermögen von rund 40 Millionen Mark, umgerechnet, hätte es nahegelegen, das holländische Vermögen in eine deutsche Gesellschaft einzubringen. Man hat aber eine holländische Rechtsform gewählt. Die Gründe hierfür zu untersuchen, würde im einzelnen zu weit führen; offenbar aber ist es geschehen, um eine deutsche Kontrolle über das deutsche Vermögen, das in dieser holländischen Schale untergebracht wurde, zu erschweren.
Die Vertragsgrundlage für dieses ganze Vertragswerk ist aber mit Zustimmung der holländischen Regierung dahin gefunden worden, daß der wirtschaftliche deutsche Einfluß gewahrt wurde. Es sind neue Aku-Aktien an die deutschen Aktionäre ausgegeben worden. Die holländische Regierung hat 1929 zugestimmt. Die Tatsache, daß es sich hierbei formal im wesentlichen um eine holländische Gesellschaft, wirtschaftlich aber um deutsch-holländisches Gemeinschaftseigentum handelt, ergibt sich ganz klar und deutlich aus
Ziffer 8 des Begleitvertrages. Nach Ziffer 7 des Begleitvertrages ist ein Arbeitsausschuß gebildet worden, in dem neben zwei Holländern fünf deutsche Herren tätig waren. Dieser Arbeitsausschuß hat folgende Funktion — und das ist der entscheidende Punkt —:
In bezug auf den Arbeitsausschuß ist zwischen den beiden Gesellschaften vereinbart, daß diesem Ausschuß gemäß den in den Statuten der Unie vorgesehenen Ermächtigungen die Führung der laufenden Geschäfte des Gesamtunternehmens und insbesondere die Ausübung der durch die Statuten dem Aufsichtsrat vorbehaltenen Rechte bezüglich der Verwaltung der Beteiligungen und der mit den Beteiligungen verbundenen Rechte zusteht.
Damit war also festgestellt, daß der Arbeitsausschuß, in dem eine deutsche Mehrheit bestand, bei der Aku die Verfügung und die Rechte des Aufsichtsrats über das Glanzstoff-Aktienpaket hatte, das in die Aku eingebracht worden war.
Man kann aus diesem Vertrag nur die Schlußfolgerung ziehen, daß es sich tatsächlich um ein internationales Treuhandverhältnis, in die Form der Einbringung von deutschen Vermögenswerten in eine holländische juristische Person gekleidet, handelt. Die Aku-Aktien, die also jetzt den früheren Glanzstoff-Aktionären im Austausch gegeben wurden, stellten deshalb materiell kein holländisches Vermögen dar, sondern eigentlich nichts anderes als das ursprüngliche deutsche Glanzstoff-Vermögen, das nur eine andere juristische Form bekommen hatte.
Durch Verordnung der holländischen Regierung von 1944 sind diese Aku-Aktien zu Unrecht den deutschen Aktionären enteignet worden da es sich im Kern um innerdeutsches Vermögen handelte. Damit wurde innerdeutsches Vermögen, nämlich der gesamte Glanzstoffkonzern, der gesamte Glanzstoffbesitz unter holländische Kontrolle gestellt und auch substantiell holländisches Staatsvermögen. Durch diese Verordnung von 1944 — und das ist der entscheidende Punkt — wurde deutsches, in Holland nur liegendes Treuhandvermögen Deutschland enteignet und zu holländischem Staatsvermögen gemacht. 1947 hat die holländische Regierung den von mir so genannten Treuhandvertrag, in dem der Arbeitsausschuß gebildet worden war und in dem die Rechte des Arbeitsausschusses statuiert worden waren, für nichtig erklärt.
Der Schaden für die deutsche Volkswirtschaft ist sehr groß. Es sind wenigstens 100 Millionen Gulden nach dem derzeitigen Börsenwert, die der deutschen Volkswirtschaft entgangen sind. Dieses Vermögen verzinst sich im Durchschnitt der letzten Jahre mit 7 bis 71/2 °/o. Diese Zinsen sind wieder nach Holland geflossen, statt daß sie in Deutschland geblieben wären. Das Glanzstoffunternehmen in Deutschland arbeitet also, obwohl es selbst. formell noch als deutsches Unternehmen dasteht, praktisch nur für Holland, ohne daß Holland je. mals eine Gegenleistung für diese Glanzstoffaktien gegeben hätte.
Die holländische Regierung stützt sich nun auf das Kontrollratsgesetz Nr. 5. Dieses Gesetz greift überhaupt nicht ein; denn Art. 2 des Kontrollratsgesetzes Nr. 5 bestimmt ausdrücklich, daß nur außerhalb Deutschlands befindliches Vermögen beschlagnahmt wird. Die Aku-Aktien sowohl wie das wirtschaftlich dahinter stehende Glanzstoffvermögen — die Fabriken, die Grundstücke und die sonstigen Werte — waren aber niemals ausländisches Vermögen, sondern sind immer nur innerdeutsches Vermögen gewesen, so daß das Kontrollratsgesetz Nr. 5 überhaupt nicht eingreift. Holland hat die deutschen Stücke für nichtig erklärt. Das ist auch ein Verstoß gegen das internationale Privatrecht, weil diese Stücke sich nicht in Holland befanden, sondern immer in Deutschland gewesen sind. Holland hat also damit gegen die Haager Landkriegsordnung verstoßen, die verbietet, daß fremdes Privateigentum im fremden Land beschlagnahmt wird. Das Militärregierungsgesetz Nr. 53 mag zwar eingreifen; aber dieses Gesetz Nr. 53 hindert die deutsche Verwaltung und die deutsche Regierung nicht, einzugreifen und eine Wiederunterstellung unter deutsche Verwaltung sicherzustellen. Dadurch wird insbesondere auch nicht verhindert, daß die deutsche Regierung die eventuell jetzt nicht mehr zeitgemäßen Treuhandverträge auflöst und das deutsche Glanzstoffvermögen auch formell wieder in deutsche Hand zurückführt.
Meine Damen und Herren, dieser Punkt hat Parallelen bei dem Traktatrecht; aber gerade bei dem Traktatrecht sind die Dinge, von deutscher Seite aus gesehen, sogar noch ungünstiger, weil ja die Grundstücke, die von Holland ergriffen worden sind, in Holland liegen. Hier handelt es sich aber um wirtschaftlich immer in Deutschland gebliebene Vermögensstücke, die die holländische Regierung zu Unrecht mit Beschlag belegt hat.
Meine Damen und Herren! Die Schumanplanverhandlungen sind so weit abgeschlossen und haben die Möglichkeit ergeben, daß im größeren europäischen Rahmen tatsächlich auf einem gewissen industriellen Sektor eine Vereinigung herbeigeführt wird: Diese Glanzstoff-Fusion, die damals aus Mangel an einem internationalen europäischen Recht diesen eigenartigen Weg gefunden hat: Einbringung der Glanzstoffaktien in die Aku und dafür Begebung von Aku-Aktien nach Deutschland, ist — so kann man sagen — eine Art Vorstufe oder eine Art Parallelerscheinung zu einer internationalen europäischen Industrievereinigung. Wenn man sich jedoch klarmacht, daß sich hier eine Regierung wie die holländische nicht scheut, unter Verletzung des internationalen Privatrechts, wenn sie gerade einmal die politische Übermacht zu haben glaubt, den Partner an diesem Vertrage zu enteignen und damit die von ihr selbst 1929 gegebene Zustimmungserklärung für null und nichtig zu bezeichnen, dann muß das natürlich für das Vertrauen in- alle intereuropäischen wirtschaftlichen Abmachungen eine beträchtliche Rückwirkung haben.
Ich bin deshalb der Ansicht, daß die deutsche Bundesregierung alles tun sollte, um alsbald entweder die wahrhaftige Durchführung der ursprünglichen Verträge von 1929 sicherzustellen oder aber eine Auflösung der Entflechtung durch Aufteilung des ursprünglich holländischen Vermögensanteils und des ursprünglich deutschen Vermögensanteils in zwei wieder selbständige Vermögen herbeizuführen.