Rede von
Rudolf
Kohl
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Meine Damen und Herren! Es ist nicht verwunderlich, daß die Frau Kollegin Kalinke die Politik der Bundesregierung verteidigt. Frau Kollegin Kalinke ist zweifelsohne eine außerordentlich gute Kennerin der gesamten Sozialversicherungsprobleme, da sie darin groß geworden ist und darin arbeitet. Weil ich sie auf diesem Gebiete schätze, deshalb kann ich es nicht verstehen, daß sie sich zu einer Formulierung hinreißen läßt, die sinngemäß folgendermaßen lautet, daß die Bundesregierung ja eigentlich schon einige Anstrengungen gemacht habe, um den Verhältnissen auf dem Gebiete der gesamten Sozialversicherung gerecht zu werden.
Ich glaube, daß die Frage doch nicht so einfach ist und daß das, was die Bundesregierung auf diesem Gebiete getan hat, in seiner Wirkung tatsächlich nicht überzeugend oder gar überwältigend ist. Wenn Sie darauf anspielen, daß beispielsweise das Gesetz zur Änderung. des Gesetzes über die Arbeitslosenversicherung in der kommenden Woche hier im Bundestag vielleicht verabschiedet werden soll, dann muß ich sagen: man kann wirklich nicht behaupten, daß die Bundesregierung und in diesem Falle der Bundesarbeitsminister ein besonders starkes soziales Verständnis an den Tag gelegt hat; denn sonst wäre es eine Unmöglichkeit gewesen, den Erwerbslosen eine zehnprozentige Erhöhung der Arbeitslosenunterstützungssätze und der Arbeitslosenfürsorgesätze anzubieten. Deswegen bin ich außerordentlich skeptisch und mißtrauisch gegenüber dem, was der Herr Bundesarbeitsminister zuletzt erklärte, daß nämlich die Bundesregierung zur Zeit dabei sei, ein Wirtschafts- und Sozialprogramm auszuarbeiten, über das im Bundestag gesprochen werden muß. Ich hätte sehr gern gehört, daß der Herr Bundesarbeitsminister wenigstens in etwa die Grundzüge dieses Wirtschafts-und Sozialprogramms angedeutet hätte, damit man erfährt, auf welcher Grundlage und mit welcher Zielsetzung diese Dinge durchgeführt werden sollen. Aber es ist doch unbestritten, daß die entscheidenden Sozialpolitiker in Deutschland sich seit 1945 darüber Gedanken gemacht haben, wie man die Sozialversicherung auf eine gesunde Grundlage stellen könne. Bezeichnenderweise kristallisierte sich immer wieder ein Vorschlag heraus, zu dem bis jetzt in dieser Debatte noch nicht gesprochen worden ist, nämlich den Weg einer Umänderung organisatorischer Art zu wählen, die natürlich ganz zwangsläufig auch den sozialen Inhalt der Sozialversicherung entscheidend beeinflussen und ändern würde. Deswegen muß die Frage auch einmal von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet werden. Man sollte doch nicht vergessen, daß bereits vor über einem Jahre hier der Antrag meiner Fraktion angenommen wurde, die Bundesregierung zu ersuchen, dem Bundestag möglichst bald Vorschläge zur Reform der Sozialversicherung vorzulegen.
Sie werden mir zugeben, daß in den letzten 60 Jahren in der Sozialversicherung nichts geändert worden ist; Sie geben mir sicher auch zu, daß bei den einzelnen Novellen im alten Reichstag gerade zu dieser Frage monatelang diskutiert wurde, ohne daß irgendein entscheidendes Ergebnis dabei herausgekommen ist. Sie müssen mir zugeben, daß sowohl der alte Reichstag wie auch jetzt der Bundestag in der Frage der Mittelbewilligung für andere Zwecke, sagen wir einmal für Zwecke der Kriegsvorbereitungen oder der Rüstung, bereit gewesen sind, die notwendigen Mittel sofort zur Verfügung zu stellen. Es spricht doch Bände, wenn der Herr Bundesarbeitsminister hier erklären muß, daß er gegenwärtig bei dem Herrn Bundesfinanzminister darum ringt, die notwendigen Mittel zu erhalten, die in seinem Etat für die Sozialversicherung eingesetzt werden sollen, während derselbe Herr Bundesfinanzminister dem Herrn Innenminister
gegenüber sofort bereit war, im Wege der Vorwegbewilligung die notwendigen Millionen für die von ihm gewünschte Polizei zur Verfügung zu stellen. Die Frage soll man sehen und die Dinge auch von diesem Gesichtspunkt aus bewerten.
Ich gehe mit der von Frau Kollegin Kalinke in ihrem Antrag Drucksache Nr. 1948 aufgestellten Forderung einig, daß irgendwie die Frage der Kapitaldeckung der Sozialversicherung einmal geklärt werden muß. Ich bin aber nicht der Meinung, daß das nur eine rein fiskalische Angelegenheit ist, sondern ich bin vielmehr der Auffassung, daß gerade dieses Parlament und sein Ausschuß für Sozialpolitik alle Veranlassung haben, einmal zu untersuchen, ob nicht auf dem Wege bestimmter Reformen auch hier in der Sozialversicherung eine gewisse Gesundung erreicht werden und ob nicht auch hier etwas getan werden kann, über dessen Grundsätze beispielsweise die Gewerkschaften — sowohl die früheren christlichen als auch die freien Gewerkschaften — immer wieder diskutiert haben.
Ich glaube auch, daß der Antrag der CDU, der von einer Gesetzesvorlage spricht, doch nicht so leicht zu nehmen ist, wie es der Kollege Arndgen hier hingestellt hat. Gewiß, Kollege Arndgen, Sie haben recht, eine Milliarde DM ist notwendig, um allein die Zinsen als Rücklage für die Sozialversicherung wieder hereinzubekommen. Wenn Sie mir gestatten, verlese ich dazu einige Zahlen, Zahlen allerdings, die mir nur für den Bereich meines Landes zur Verfügung stehen. Sehen wir uns einmal die Krankenversicherung an. Allein bei der Krankenversicherung, d. h. den allgemeinen Ortskrankenkassen, stehen an unberücksichtigten Forderungen bisher noch zirka 11 Millionen DM aus; sie haben also den Anspruch auf 11 Millionen DM aufrechtzuerhalten. Wenn wir weiter sehen, daß allein die kleine Landesversicherungsanstalt Württemberg — und man soll dann einmal die Auswirkungen für das gesamte Bundesgebiet überlegen — vor 1933 ein Vermögen von über 54 Millionen Mark hatte und nach 1945 buchmäßig ein Vermögen von 332 Millionen Mark, daß aber davon allein 276 Millionen Mark in Reichsschatzanleihen angelegt waren, dann zeigt sich, daß der Sozialversicherung aber auch restlos alle Rücklagen abgehen, die sie zu ihrer Gesundung haben muß.
Hinzukommt, daß bei der vorbeugenden Heilfürsorge, die wir hierbei nicht vergessen dürfen, die Erholungsheime eine entscheidende Rolle spielen. Die Frage der Erholungsheime muß mit in diesen Plan einbezogen werden. Für diese Heime, die von der Sozialversicherung bisher unter den größten Opfern unterhalten worden sind, erhält sie vom Staat auch' nicht einen Pfennig Zuschuß, auch nicht von den Ländern.
Diese Fragen soll man sehen, und ich bin deshalb der Meinung, daß das Bundesarbeitsministerium endlich einmal die Lösung der Frage des, sagen wir, optimalen Lastenausgleichs in der Sozialversicherung auf der Bundesebene anstreben soll durch Reformvorschläge, über die wir hier in diesem Kreise eingehend diskutieren können. Ich bin der Auffassung, daß das Bundesarbeitsministerium und die gesamte Bundesregierung diese sozialen Probleme endlich einmal mit derselben Schnelligkeit lösen sollte, mit der die Bundesregierung bereit ist, die Probleme in Angriff zu nehmen, deren Lösung sich nicht im Interesse des deutschen Volkes, sondern zum Schaden des deutschen Volkes auswirkt.