Es war vorgesehen, daß eine Aussprache nicht stattfinden soll. Damit würde die erste Beratung beendet sein. Ich nehme an, das Haus ist damit einverstanden, daß diese Vorlage ohne Aussprache an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik überwiesen wird. — Das Haus ist damit einverstanden. Damit ist der eingeschobene Punkt 1 erledigt.
Ich rufe auf Punkt 1 der gedruckten Tagesordnung:
Beratung der Interpellation der Fraktion der SPD betreffend Spätheimkehrer .
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Begründungszeit von 15 Minuten und eine Aussprachezeit von 60 Minuten vor.
Zur Begründung der Interpellation hat Herr Abgeordneter Pohle das Wort.
Pohle , Interpellant: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Viele Leute hielten heute große Reden, und wenn sie dann im Parlament sitzen, wären sie vollgefressen und würden die vergessen, die sie hineingewählt hätten. — So zu lesen in der Heimkehrerzeitung „Hinter Stacheldraht", Sondernummer Weihnachten 1950.
Einem Heimkehrer würde ich ohne Gewissens. bisse eine derartige Entgleisung verzeihen; denn ein Mann, der jahrelang die Segnungen russischer Kriegsgefangenschaft auskosten mußte, hat es schwer, sich von der Verbitterung, die diese Jahre in ihm angehäuft haben, wieder zu befreien. Er braucht dazu unser Verständnis und unsere Hilfe. Der diese Worte aussprach war jedoch kein Heimkehrer, sondern ein Mitglied dieses Hohen Hauses,
— der Bundestagsabgeordnete Alfred Loritz!
Als ich diese Sätze las, habe ich mich für Herrn Loritz geschämt.
Ich neige dazu, zu empfehlen,
daß Abgeordnete, die ein Übermaß an Gallenproduktion aufzuweisen haben, doch lieber einen Arzt aufsuchen, und diese Galligkeit nicht in einem Kreis von Menschen abreagieren sollten,
die körperlich und seelisch schwer zu leiden hatten und es sowieso schon schwer genug haben, aus dem durchwanderten Irrgarten der Vernunft nun in Freiheit Anschluß an das zivile Leben zu gewinnen.
Wenn Herr Abgeordneter Loritz dann auf dieser Kundgebung in München, die nach dem Bericht unter dem Protektorat des Herrn Bundesarbeitsministers Anton Storch stand,
weiter behauptete, daß bei Beratungen über das Heimkehrergesetz oft nur bis zu hundert Abgeordnete anwesend waren,
dann bitte ich um eine Erklärung dafür, wie es
möglich ist, daß in der 58. Sitzung des Bundestages in der zweiten Lesung dieses Gesetzes zu
einem Antrag auf namentliche Abstimmung 155 Ja-
Stimmen und 157-Nein-Stimmen abgegeben werden konnten. Nach Adam Riese waren also 312 Abgeordnete anwesend. Ich weiß nicht, wenn wir an den Eingängen zum Sitzungssaal Zeit-Stempeluhren aufstellen würden, ob Herr Abgeordneter Loritz auf seiner Kontrollkarte den Plenum-Sitzrekord aufzuweisen haben würde.
Ich habe diese persönlichen Feststellungen meiner Begründung zur Interpellation Nr. 1788 der SPD-
Fraktion vorausgeschickt, weil ich diese geistigen Vergiftungsversuche an Heimkehrern ablehne und sie für eine Schädigung des Ansehens dieses Hohen Hauses und eine Unterminierung des demokratischen Staatsgefüges halte.
Wenn es in diesem Hause einen Abgeordneten geben sollte, der am Heimkehrer-Schicksal desinteressiert sein sollte, dann gehört er wahrlich nicht in den Bundestag und sollte sich freiwillig schleunigst empfehlen.
Meine politischen Freunde wollen nun wahrhaftig auch mit dieser Interpellation keinen propagandistischen Wind machen; denn es steht auch für uns fest, daß in der zwölfjährigen Kostprobe des tausendjährigen Reiches sowie in den Nachkriegsmaßnahmen einzelner Siegernationen so viel körperliches, seelisches und materielles Unrecht angehäuft worden ist, wie von unserer Generation bei allen Anstrengungen allein nicht mehr gutgemacht werden kann.
Das Heimkehrergesetz ist wirklich nicht als ein Vollkommenheitsprodukt der Gesetzgebung zu bezeichnen; aber immerhin haben sich drei Ausschüsse emsig und intensiv um seine Verbesserung bemüht, und der Kritik aus Heimkehrerkreisen darf ich noch einmal die Feststellung entgegensetzen, daß der Bundestag mit diesem Heimkehrergesetz kein Wiedergutmachungsgesetz, sondern ein Gesetz über Hilfsmaßnahmen für Heimkehrer beschlossen hat. Dennoch bleibt festzustellen, daß die Durchführung des Gesetzes in einer ganzen Reihe von Fällen enttäuscht hat, nicht allein wegen seiner in Heimkehrerkreisen gerügten inhaltlichen Unzulänglichkeit, sondern mehr in der Unzulänglichkeit seiner unterschiedlichen Durchführung.
Diese Interpellation kommt geschäftsordnungsmäßig verspätet zur Beratung, weil das Bundesarbeitsministerium erst noch auf den Eingang der Berichte verschiedener Länderregierungen zur Beantwortung dieser Interpellation warten mußte. Hier liegt meiner Ansicht nach schon ein grundsätzlicher Fehler vor. Das Bundesarbeitsministerium sollte sich nicht erst durch eine Interpellation gedrängt fühlen, von den Länderregierungen über die Arbeitslosigkeit bzw. die Unterbringung eines Personenkreises von nahezu einer Million Bericht anzufordern, sondern es sollte sich diesen Bericht sowieso monatlich erstatten lassen, damit die Bundesregierung rechtzeitig Abwehr- und Aufbaumaßnahmen treffen kann, wenn sie nach den Berichten der Länderregierungen bzw. der Landesarbeitsämter erkennen muß, daß in Heimkehrerkreisen die Arbeitslosigkeit in einem Maße grassiert, das nach der menschlichen Besonderheit und dem furchtbaren Erlebnis der Heimkehrer zu einer staatspolitischen Belastung führt, der man nicht allein mit der Resignation begegnen kann, als sei nun einmal die Arbeitslosigkeit eine unabwendbare Schicksalsfügung.
Das Gesetz ist am 19. Juni 1950 im Bundesgesetzblatt verkündet worden. Die Verordnung zur Durchführung des Gesetzes wurde am 15. Juli 1950 veröffentlicht. In der Verordnung wird in § 7 gesagt: Heimkehrer, die vor der Verkündung dieser Verordnung entlassen wurden, müssen den Antrag spätestens drei Monate nach der Verkündung usw. beim Arbeitsamt einreichen. Ich persönlich habe mich gefreut, daß das Ministerium meiner im Aus-
schuß gegebenen Anregung gefolgt ist, ein Merkblatt für Heimkehrer über Arbeitsvermittlung und Berufsfürsorge herauszugeben. Ich war nur über das Tempo etwas erschrocken, in dem das geschehen ist. Dem Heimkehrer wird in diesem Merkblatt gesagt, daß er, wenn er vor dem 15. Juli 1950 entlassen worden ist, den Antrag bis zum 15. Oktober 1950 stellen muß. Was fängt der arme Heimkehrer aber mit dieser an und für sich richtigen Belehrung an, wenn sie erst drei Tage vor dem Schlußtermin bei seinem zuständigen Arbeitsamt am Sitz des Landesarbeitsamtes eingeht?
Ein Glückspilz unter den Heimkehrern, wenn 'er noch rechtzeitig dieses Merkblatt erhalten hat! In der Zwischenzeit hat jedoch jedes Arbeitsamt bzw. Landesarbeitsamt seine Sonderauskünfte erteilt, teils irrig, teils richtig; und es war beschämend für die Sachbearbeiter, welche den Heimkehrer beraten hatten, nun nach Eingang des Merkblattes zu erklären: Wir waren zu großzügig, weil es ja so von allen Fraktionen des Bundestages gewünscht worden war; doch nach den neuesten Anweisungen müssen wir kleinlicher sein. Dadurch, daß das Bundesarbeitsministerium den Länderregierungen nicht rechtzeitig und nicht klar genug seinen Standpunkt zur Auslegung strittiger Punkte in dem Gesetz bzw. in der Durchführungsverordnung mitteilte, ist ein unerträgliches Durcheinander in der Auslegung des Gesetzes in den Ländern entstanden. Vielleicht nimmt einmal der Herr Bundesarbeitsminister die Fachzeitschrift für Theorie und Praxis' der Arbeitsverwaltung „Das Arbeitsamt", Heft 12, vom 15. Dezember 1950 zur Hand. Es heißt dort u. a.:
Es ist sehr unpopulär, einem Heimkehrerehepaar mit Kind klarzumachen, daß ein Unterhaltsbedarf mit 130 DM festgesetzt wurde und
daß für den Verdienst der Ehefrau nur ein
Freibetrag von 20 DM belassen wird. Die
Praxis hat gezeigt, daß bei Zugrundelegung
dieser Sätze gerade verantwortungsbewußte
Heimkehrer auf eine Förderung überhaupt
verzichten mußten und die Chance, die
das Gesetz ihnen bieten wollte, überhaupt
nicht akzeptieren konnten.
Meine Damen und Herren, das Problem Nr. 1 beim Heimkehrer ist das Problem der Arbeit bzw. der Umschulung oder Berufsausbildung mit dem Ziel, einen Arbeitsplatz ausfüllen zu können. Deshalb fragen wir in den ersten vier Punkten der Interpellation, wieviel noch arbeitslos sind, weil die Arbeit der Heilfaktor für den Heimkehrer ist, den er am allerwenigsten entbehren kann.
Der Punkt 5 der Interpellation ersucht die Bundesregierung um Auskunft über die Erfahrungen,
die gesammelt werden konnten, über Schwierigkeiten, die bei der Inanspruchnahme des alten Arbeitsplatzes sehr zahlreich in Erscheinung getreten
sind. Wenn eine der Bundesregierung unterstellte
Behörde einem Heimkehrer, der sich zum Dienstantritt meldet, erklärt, ihn zwar einstellen zu
wollen, aber einige Gehaltsgruppen tiefer, als er
vor seiner Einberufung eingestuft war, und dann
dem Heimkehrer auf seine Weigerung ganz kaltschnäuzig erklärt: Gut, dann die alte Gruppe, aber
sofortige Kündigung, — dann, meine Damen und
Herren, kennzeichne ich dieses Verhalten einer Verwaltungsstelle nur nicht mit dem einzig richtigen
Wort, um den Herrn Präsidenten dieses Hohen
Hauses nicht in die Verlegenheit zu setzen, mir
meinen ersten Parlamentsordnungsruf zu erteilen.
Es liegt mir fern, den zuständigen Herrn Bundesminister mit der Verantwortung für diesen Vorfall, der nicht vereinzelt dasteht, zu belasten. Er gibt mir jedoch den Mut, die Herren der Bundesregierung aufzufordern, einen frischen Heimkehrerwind auch durch die Amtsstuben der ihnen untergeordneten Verwaltungen durch einen „Großzügigkeitserlaß in Heimkehrerfragen" wehen zu lassen, der ja an und für sich nur ein Rechtserlaß wäre.
Der Appell, von dem in Punkt 6 der Interpellation die Rede ist, verlangt von der Bundesregierung die Aufrüttelung des Gewissens der Öffentlichkeit, der Unterbringung von Heimkehrern mehr Verständnis und mehr Bereitwilligkeit entgegenzubringen.
Wenn von dem Herrn Bundesarbeitsminister die Frage 7 über die bisher beantragten und bewilligten Ausbildungsbeihilfen beantwortet worden ist, so wird er nach Kenntnis der Sachlage sicherlich dem Hohen Hause auch einen wertvollen positiven Beitrag zur Frage 8 vorlegen können, was in der Fortführung der Ausbildungs- bzw. Beruf sumschulungsaktion seitens der Bundesregierung geplant wird. Dabei hoffe ich, daß niemand, weder auf der Regierungsbank noch in den Reihen der Regierungsparteien, vor dem so oft mißbrauchten Worte „Planung" erschrickt.
Mit der Schlußfrage Nr. 9 wünschen wir von dieser Stelle aus eine klare Antwort von der Bundesregierung zu erhalten, damit man in der Öffentlichkeit weiß, was hier wahrhaftig los ist, was Spreu und Weizen ist oder ob die ganze Angelegenheit nur aus der Spreu einer Pressenotiz besteht, die dann aber sehr viel Unheil im Bundesgebiet angerichtet hat und nur zur weiteren Verwirrung und zur Gründung von Interessengemeinschaften geführt hat.
Meine Damen und Herren! Von der positiv zukunftsträchtigen Beantwortung dieser Interpellation durch die Bundesregierung wird es abhängen, welche Schritte meine Fraktion in diesem Hohen Hause in der Heimkehrerfrage unterlassen kann bzw. welche Maßnahmen sie ergreifen muß, um das Anliegen der Heimkehrer wegen des Arbeitsplatzes nachhaltiger zum Tragen zu bringen. Wir sind uns dabei bewußt, eine große Mehrheit in diesem Hause für alle möglichen durchführbaren und finanziell tragbaren positiven Ergänzungsmaßnahmen zum Heimkehrergesetz zu finden, da es in diesem Parlament sehr viele Mitglieder gibt, die wahrheitsgemäß gestehen müssen: das Kriegsgefangenenschicksal hätte auch uns treffen können, und als Heimkehrer möchten wir dann auch die Gewißheit haben, daß der Bundestag alle Möglichkeiten ausschöpft, um uns Hilfestellung beim Erwerb eines Arbeitsplatzes oder in der Erreichung eines Berufszieles zu geben. Und jeder Erfolg des Bundestags in der Erreichung dieser Ziele ist eine Hoffnung für den Heimkehrer, daß auch für den letzten unter ihnen alle parlamentarischen und alle Verwaltungsstellen, welche die Beschlüsse der gesetzgebenden Körperschaft durchzuführen haben, bestrebt sind, ihm das finstere Schweigen des Verzweifelten zu nehmen und sich als Mensch unter-Menschen zu fühlen.