Rede von
Dr.
Karl
Mommer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte den Antrag Umdruck Nr. 85 kurz begründen. Mein Kollege Ritzel hat eben schon gesagt, woher die Idee stammt. Eine Reihe von -uns sind in Washington gewesen und haben dort die Einrichtungen des Kongresses studiert.
— Herr Renner, sehen Sie, wir nehmen da einiges her. Wissen Sie, was Sie dahernehmen würden? Sie würden das Filibustern aus dem Senat nehmen, das Halten von Obstruktionsreden! Wir nehmen da etwas anderes heraus, und das ist zum Beispiel dieser Dokumentationsdienst.
Unter dem Druck der wachsenden Arbeitslast, die auch dort infolge der allgemeinen Entwicklung des modernen Staates auf dem Parlament ruht, hat sich der Kongreß drüben Stäbe geschaffen, die den Abgeordneten dabei helfen, ihre Arbeit schneller und besser zu erledigen. Der Grund für die Schaffung dieser Stäbe liegt also darin, daß der Staat immer mächtiger geworden ist, daß insbesondere die Exekutive in den vergangenen Jahrzehnten ein völlig überproportionales Wachstum gehabt hat und daß die Legislative in dieser Entwicklung immer zu kurz gekommen ist Das Resultat dieser Entwicklung war dort dasselbe, wie wir es sehr häufig hier im Bundestag feststellen können. Wenn das Parlament nicht die Mittel hat, die ihm zufallenden Aufgaben zu erledigen, wenn es dem Parlament an Arbeitsinstrumenten fehlt, dann macht es Anträge dieser Art: „Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird beauftragt . . .", und damit ist man die Sache los. Man schiebt es ab an die Exekutive.
Auch in Amerika hat es diese Situation gegeben. Man ist dort der Entwicklung dadurch entgegengetreten, daß man für sich selbst die Stäbe angestellt hat, die man braucht, um die gesetzgeberische Arbeit sack- und fachgemäß erledigen zu können. Man hat also die Überlegung angestellt, daß es eigentlich von einem Parlament sehr töricht sei, immer der Gegenseite, der Exekutive, alle Referenten zu bewilligen, die sie anfordert und die sie für die Erledigung der Arbeit braucht, sich selbst aber niemals solche Referentenstäbe zu bewilligen. Man hat also eigene Stäbe aufgebaut. Der wichtigste ist dieser Dokumentationsdienst, der drüben Legislative Reference Service heißt. Dieser Dienst trägt dazu bei, daß die Arbeit schneller und besser gemacht wird. Seine Einrichtung würde auch bei uns dazu führen, daß das Niveau der Arbeit des Bundestags gehoben wird. — Herr Renner, da ist vielleicht noch eine Chance für Sie! Zum Beispiel Ihr Jugendgesetz von vor einigen Wochen, — na, also s o brauchte das nicht auszusehen, wenn man Ihnen ein klein wenig dabei helfen würde.
Wenn man die Qualität der Arbeit der gesetzgebenden Körperschaften verbessert, dann tut man damit das beste, was man tun kann, um das Ansehen des Parlaments zu stärken.
Die Aufgaben, die der Dienst haben soll, finden Sie in dem Umdruck Nr. 86 kurz skizziert; der Antrag erhebt also keinen Anspruch darauf, erschöpfend zu sein. Ich kann es mir ersparen, das im einzelnen hier zu wiederholen.
Die Frage der Organisation dieses Dienstes ist bewußt aus dem Antrag herausgelassen. Es wird
Dr. Mommer)
nur die Funktion. festgelegt, die er haben soll, und es wird auch das Niveau angedeutet,. das man ihm geben soll. Meine Damen und Herren, es ist uns nicht damit gedient, daß wir zusätzlich noch eine Stelle nach TOA III beim Archiv oder bei der Bibliothek schaffen. Wir brauchen etwas, das auf demselben Niveau steht wie das, was alle Ministerien besitzen. Das allerdings ist an diesem Antrag wesentlich.
Im übrigen möchte ich darauf hinweisen, daß es im Antrag auch nur Sollbestimmungen gibt. Niemand wird auf einen konkreten Plan oder auf eine konkrete Stellenbesetzung festgelegt. Es ist richtig, den letzten Satz des Antrags zu streichen, weil er zu Schwierigkeiten Anlaß geben könnte. Die Einstellung des Personals muß durch den Präsidenten erfolgen. Die Existenz des Dienstes aber und sein Gedeihen wird davon abhängen, ob das ganze Haus in die absolute Integrität und Objektivität dieses Dienstes Vertrauen haben kann. Deshalb wird der Präsident bei der Auswahl des Personals besonders sorgfältig zu Werke gehen müssen, und er wird auch zumindest für die Besetzung der leitenden ellen und der Einstellung der Fachkräfte mit den politischen Gruppen dieses Hauses Fühlung nehmen müssen.
Von einigen Kollegen aus allen Fraktionen dieses Hauses, die sich speziell für diese Frage interessieren und die den Dienst in Washington kennengelernt haben, ist ein mehr ins einzelne gehender Vorschlag ausgearbeitet worden, der auch einen Entwurf für einen Stellenplan enthält. Dieser Vorschlag ist eine private Arbeit. Durch Annahme des vorliegenden Antrages wird das Präsidium in keiner Weise an jenen sehr viel konkreteren Vorschlag gebunden.
Ich muß ein Wort zu den Kosten sagen, die dieser Dienst verursachen kann. Jener erwähnte konkretere Vorschlag, der 15 Sachverständige für die Hauptwissensgebiete vorsah, würde eine Mehrausgabe von etwa 300 000 DM verursachen. Das ist gewiß keine ganz kleine Summe, aber es ist zu bemerken, daß im nächsten Jahre dieser Plan gar nicht ausfüllbar ist, erstens, weil wir keinen Platz haben, um einen solchen Dienst unterzubringen — er kann sich erst entwickeln, wenn der geplante Neubau Wirklichkeit geworden ist —, zweimals, weil die Personalfragen sehr schwierig sein werden; es wird besser sein, mit Geduld die richtigen Leute für die entscheidenden Stellen auszusuchen. Weiterhin werden auch wir Abgeordnete erst lernen müssen, uns dieses Dienstes zu bedienen. Ich habe hier eine Kurve, die die Benutzung des Dienstes in Amerika zeigt. Sie sehen es vielleicht von Ihrem Platz aus, wie diese Kurve erst sehr flach verläuft und wie sie dann steil nach oben geht. Im Jahr 1925 gab es 924 Anfragen, im Jahr 1947 23 000: Erst nach und nach sind die Abgeordneten des Repräsentantenhauses und des Senats dahintergekommen, welch ungeheuer wertvolles Werkzeug sie mit diesem Dokumentationsdienst in Händen haben.
Wichtig ist hier, daß wir sofort anfangen, und daß wir vor allem systematisch anfangen. Deshalb darf ich Ihnen einen Zusatzantrag der Fraktion der SPD verlesen:
Der Bundestag wolle beschließen:
Der Präsident des Bundestages wird beauftragt, in dem Nachtrag zum Haushaltsplan 1951 des Deutschen Bundestages die hierfür
— für den Dokumentationsdienst —
notwendigen Mittel anzufordern.
Sie sehen, auch in diesem Antrag steht nichts über die Höhe der Kosten und über die Organisation des Dienstes, nichts über die personellen Fragen usw. Es wird niemand in irgendeiner Weise festgenagelt. Wenn die Fraktionen dieses Hauses in irgendeiner Frage fair miteinander arbeiten müssen, dann in dieser Frage. Ich J in überzeugt, daß es möglich ist, in einem demokratischen Parlament die nötige Objektivität für diese Dinge aufzubringen.
Es ist ein verbreiteter Irrtum, zu glauben, daß es sich hierbei um eine Frage handele, die so zwischen Opposition und Regierung spiele. Der Dienst hat nichts mit Opposition und Regierung zu tun, er hat etwas zu tun mit dem Verhältnis von Legislative zur Exekutive. Die Leistungsfähigkeit des, Bundestages und das relative Gewicht der Legislative gegenüber der Exekutive sind hier im Spiele. Es geht um die Rolle, um die Bedeutung, die dieses Haus im Gesamtstaatsgebäude unserer Republik haben soll. Andere Momente — wie auch Sparsamkeit, Herr Kollege Brese — mögen sehr beachtlich sein, aber es scheint mir viel wichtiger zu sein, dieses Haus, dieses Kernstück der Demokratie zu stärken. Es hat das deutsche Volk eine furchtbare Katastrophe, auch unendlich viel Leid und Geld gekostet, daß diese Institution einmal zugrunde gegangen ist. Das sollte nicht wieder geschehen. Mitglieder aller Fraktionen haben sich für diese Idee ausgesprochen, und ich glaube, es sollte uns möglich sein, wenn wir morgen zur Abstimmung kommen, einstimmig diesem Antrag unsere Zustimmung zu geben, wenn es doch um eine Reform geht, die — ich glaube, wie keine andere — die Arbeit des Hauses besonders in ihrer Qualität fördern, die ihr Niveau heben und die dem Haus das geben wird, was es durchaus nicht im Übermaß besitzt, nämlich Selbstvertrauen und das Bewußtsein, daß es in der Lage ist, auch die Rolle zu spielen, die ihm für den Wiederaufstieg unseres Volkes zukommt.