Rede von
Dr.
Eugen
Gerstenmaier
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses Hohe Haus und die Bundesregierung haben sich, seitdem sie nach Errichtung der Bundesrepublik Deutschland die Verantwortung für das Geschick der Nation übernommen haben, in fortgesetzten Bemühungen dafür eingesetzt, daß die deutschen Kriegsgefangenen und darüber hinaus andere gewaltsam festgehaltene Deutsche im Ausland in ihre Heimat zurückgeführt werden. Es liegen Ihnen heute ein Antrag des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten und ein Initiativgesetzentwurf vor. Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, zur Begründung dieser beiden Ihnen vorliegenden Anträge auf folgendes hinzuweisen:
Die Regierungen Großbritanniens, der Vereinigten Staaten und Frankreichs haben am 14. Juli 1950 eine Protestnote an die Regierung der Sowjetunion gerichtet. Die Regierungen der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Australiens haben darüber hinaus über ihre Delegationen bei den Vereinten Nationen den Antrag eingebracht, erstens darauf hinzuwirken, daß die noch immer festgehaltenen deutschen und japanischen Kriegsgefangenen beschleunigt in ihre Heimat entlassen werden, und zweitens eine internationale Kommission zu bestellen, die in den bisherigen Gewahrsamsländern Kontrollen bzw. Nachforschungen über die erfolgte Entlassung dieser Gefangenen anstellen soll. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat auf diese Anträge hin am 14. Dezember 1950 beschlossen, erstens:
alle Regierungen, unter deren Kontrolle sich noch Kriegsgefangene befinden, aufzufordern, gemäß den anerkannten Maßstäben des internationalen Verhaltens und den internationalen Abkommen und Abmachungen vorzugehen, die es zur Forderung erheben, daß bei Einstellung der aktiven Feindseligkeiten alle Gefangenen in kürzester Frist uneingeschränkt die Möglichkeit zur Rückkehr in die Heimat erhalten sollten. Zu diesem Zweck müssen bis zum 30. April 1951 veröffentlicht und dem Generalsekretär der Vereinten Nationen übermittelt werden:
a) die Namen der noch zurückgehaltenen' Kriegsgefangenen, die Gründe für ihre fortgesetzte Haft und die Orte, an denen sie in Haft gehalten werden;
b) die Namen der Kriegsgefangenen, die unter ihrer Kontrolle gestorben sind, sowie Zeitpunkt und Ursache des Todes und in jedem Falle Art und Ort des Begräbnisses.
Die Entschließung der Generalversammlung der Vereinten Nationen fordert weiter die Bestellung eines ad-hoc-Ausschusses, der die Kriegsgefangenen
frage — ich zitiere — „rein menschlich und zu allen betroffenen Regierungen annehmbaren Bedingungen regeln" soll. Schließlich hat die Generalversammlung festgestellt, daß dieser ad-hoc-Ausschuß nach dem 30. April 1951 zusammentreten soll, um die eingegangenen Auskünfte der betroffenen Regierungen „zu prüfen und zu werten". Falls diese Antworten unzureichend seien, solle die Generalversammlung folgendes tun. Sie ersucht dann den Ausschuß, die betreffenden Regierungen oder Behörden um lückenlose Auskünfte über diese Kriegsgefangenen zu bitten; sie ersucht den Ausschuß, „allen Regierungen und Behörden, die dies wünschen, bei den Vorbereitungen und Erleichterungen für die Heimkehr dieser Kriegsgefangenen behilflich zu sein"; sie ermächtigt diesen Ausschuß, „die guten Dienste jeder sachlich befähigten und unparteiischen Persönlichkeit oder Organisation in Anspruch zu nehmen, welche seiner Auffassung nach die Rückkehr solcher Gefangenen in die Heimat fördern oder über ihren Verbleib Auskunft erteilen könnte"; sie ersucht schließlich alle in Frage kommenden Regierungen und Behörden dringend „um volle Zusammenarbeit mit dem Ausschuß, um Erteilung aller erforderlichen Auskünfte und das Recht der Einreise in die betreffenden Länder und Gebiete, in denen sich diese Kriegsgefangenen in Haft befinden"; und sie ersucht den Generalsekretär, „dem Ausschuß das für die erfolgreiche Durchführung seiner Aufgaben erforderliche Personal usw. zur Verfügung zu stellen."
Meine Damen und Herren, dieser Beschluß der Generalversammlung der Vereinten Nationen bildet den Hintergrund, auf dem die vorliegenden Anträge verstanden werden möchten. Diese Anträge fordern den größten erreichbaren deutschen Beitrag für die positive Lösung der dem ad-hocAusschuß der Vereinten Nationen zur friedlichen Lösung der Kriegsgefangenenfrage gestellten Aufgabe. Dazu ist nach der Überzeugung des Ausschusses folgendes unerläßlich: erstens die straffe Zusammenfassung aller mit Kriegsgefangenenfragen befaßten Dienststellen und Behörden des Bundes. Deshalb ist hier der Vorschlag gemacht worden, die Rechtsabteilung der Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten mit allen Vollmachten und Mitteln auszustatten, die erforderlich sind, um eine wirksame Zusammenarbeit und einen maximalen Erfolg zu garantieren. Zweitens soll eine Gesamtaufstellung in vier umfassenden Kategorien angefertigt werden. Die vier Kategorien sind hier niedergelegt. Sie umfassen die Kriegsgefangenen und die verurteilten Kriegsgefangenen; sie umfassen die festgehaltenen und die verurteilten Zivilpersonen; sie umfassen die verschleppten Zivilpersonen; sie umfassen schließlich die Wehrmachtvermißten und vermißten Zivilpersonen. Wir sind der Meinung, daß diese Kategorien im wesentlichen die Kreise umfassen, denen unsere Fürsorge und unsere Bemühungen sowohl von deutscher wie von internationaler Seite gelten müssen.
Schließlich möchte der Ausschuß alles tun und die Zustimmung dieses Hauses dafür erbitten, daß die rasche und erschöpfende Zusammenarbeit mit den freien Organisationen, mit den Behörden und Privatpersonen, die von deutscher Seite zu der Lösung des Problems irgendeinen Beitrag zu leisten vermögen, erfolgt und daß sie wirkungsvoll erfolgt. Deshalb hat sich der Ausschuß entschlossen, Ihnen nicht nur den von der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands unter der Drucksache Nr. 1823 eingebrachten Antrag in der Fassung des Ausschusses — Drucksache Nr. 1931 — zur Annahme zu empfehlen, sondern er hat nach sorgsamer Beratung auch dem Wunsch Ausdruck gegeben, daß dem Hohen Hause ein Initiativgesetzentwurf vorgelegt werden soll, der alles enthält, was heute noch von deutscher Seite geschehen kann, um mit einem Gesetz diese Aufgabe, soweit sie in deutscher Hand ist, zu fördern.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich sagen, daß dieser Initiativgesetzentwurf nicht irgendeinem Mißtrauen' oder einem Vorbehalt gegenüber der höchst verdienstvollen seitherigen Arbeit der freien Organisationen entsprungen ist, daß dieser Gesetzentwurf auch nicht der Meinung entsprungen ist, daß die Mitarbeit des deutschen Volkes an dieser Aufgabe unzureichend wäre. Dieser Gesetzentwurf ist Ihnen heute vielmehr als eine Willensäußerung der Nation vorgelegt. Wir möchten, daß in dieser Frage jede willkürliche Hemmung, worin sie auch immer bestehen könnte, ausgeschaltet wird und daß unter Ausschaltung jeder willkürlichen Hemmung mit einem hohen Maß von Energie und Zusammenarbeit die Kriegsgefangenen- und die Verschlepptenfrage einer endgültigen Lösung zugeführt wird.
Meine Damen und Herren, in unserer Hand liegt bei dieser definitiven Lösung vielleicht nicht viel. Aber alles, was in unserer Hand ist, das Wenige, was wir zu tun vermögen, soll und muß geschehen, und es muß mit Dringlichkeit geschehen. Ich glaube, wir alle stimmen darin überein, daß es sich hier nicht um Sachen sondern um Menschen handelt, die, wo sie auch immer sein mögen, der Solidarität, ja der Liebe der Nation innesein sollen.
Deshalb, meine Damen und Herren, empfiehlt Ihnen der Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten erstens die Annahme des Ihnen vorliegenden Antrages der Fraktion der SPD. Drucksache Nr. 1823, in der Gestalt des Ausschußbeschlusses Drucksache Nr. 1931 und zweitens die unverzügliche Verabschiedung des Ihnen vorliegenden Gesetzentwurfs Drucksache Nr. 1932.