Rede von
Dr.
Karl
Mommer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Warten Sie, Herr Renner! — Zunächst einmal irren Sie, wenn Sie glauben, daß die SPD dem Grundgedanken dieses Antrags feindlich gegenübersteht.
— Nein, Herr Renner, Menschlichkeit in der Behandlung von Gefangenen ist für einen Sozialdemokraten selbstverständlich, und zwar unabhängig davon, ob er selbst Gefangener ist oder ob ein
politischer Gegner unter sozialdemokratischer Herrschaft ein Gefangener ist. Das ist ja der große Unterschied zu Ihnen, daß Sie immer doppelte Moral haben. Wenn Sie selbst Gefangener sind, dann besinnen Sie sich auf Menschlichkeit, und wenn Ihre politischen Gegner zu Gefangenen gemacht werden, dann ist jedes Mittel, auch das barbarischste, recht, um den Gegner zu vernichten.
Es ist eine große Gemeinheit, meine Damen und Herren —
— warten Sie, ich werde Ihnen das schon erzählen — es ist eine große Gemeinheit im Dritten Reich gewesen, wenn man z. B. den politischen Gegner einsperrte, ihn gerade, mit Absicht, mit kriminellen Verbrechern jeder Art in eine Zelle steckte und wenn man ihn in jeder Beziehung schlechter behandelte als den gemeinen Verbrecher.
Wir Sozialdemokraten sind der Meinung, daß ein Kulturstaat sein gesamtes kulturelles Niveau gerade im Strafvollzug beweisen muß, und gerade auch im Strafvollzug an politischen Verbrechern. Aber wir wollen da gleich eine Ausnahme machen.
Sehen Sie, Sie sind ja mit mir einig darin: Wenn sich die SS-Leute aus dem KZ, die die Menschen in die Gaskammern steckten usw., Überzeugungstäter nennen, dann werden Sie mit mir einer Meinung sein, daß wir denen das nicht zubilligen wollen, was Sie in Ihrem Antrag beabsichtigen. Wo politische Überzeugung sich so auswirkt, daß man gleichzeitig Verbrechen gegen die Menschlichkeit begeht, da sind wir nicht gewillt, die Überzeugung als einen mildernden Umstand anzuerkennen.
Aber was wollen Sie eigentlich mit Ihrem Antrag? Ich habe mich erkundigt, wie es in unserer Bundesrepublik ist. Es gab im Sommer vorigen Jahres insgesamt etwa 27 500 Gefangene, Inhaftierte, in unserer Bundesrepublik, und, Herr Renner, Sie könnten nicht hundert darunter zusammenbringen, die politische Gefangene der KP wären. Ich muß Ihnen allerdings sagen, daß eigentlich welche nicht darunter sind, die hingehörten.
Es ist ein unerträglicher Zustand in der Bundesrepublik, daß Kommunisten hier Deutsche, die das Unglück haben, jenseits der Zonengrenze zu wohnen, ungestraft denunzieren können.
Wenn sie von jemand wissen, daß er drüben westliche Zeitungen liest, Radio hört, daß er Verbindung zu westlichen Politikern hat, dann können sie einen Brief nach drüben schreiben, und der Betreffende wird verhaftet und zu der gängigsten Strafe von 25 Jahren Arbeitslager verurteilt. Der Denunziant kann hier nicht zur Verantwortung gezogen werden. Herr Renner, ich kann Ihnen sagen, daß wir das Nötige tun werden, um da Abhilfe zu schaffen, und vielleicht wird sich alsdann die Zahl von höchstens hundert politischen Gefangenen, die es hier gibt in Ihrem Sinne, um einige erhöhen.
Nein, dazu sagen wir nicht pfui. Den Denunzianten
und denen, Herr Renner, die dazu mithelfen, Menschen zu verschleppen,
z. B. unseren Kollegen Kurt Müller hier, denen werden wir das Handwerk legen.
Was hier gebrandmarkt werden muß, meine Damen und Herren, das ist die bodenlose Heuchelei dieses Antrags,
das ist die doppelte Moral, die immer ein verschiedenes Maß hat, je nachdem, ob man an der Macht ist oder ob man die Macht bekämpft.
Wir haben nur einen Maßstab, Herr Renner, gleichviel, wo wir sind, ob in der Opposition oder in der Regierung. In jedem Falle verlangen wir Menschlichkeit. Sie bringen diesen Antrag hier ein. Können Sie die Drucksache aus der Volkskammer vorweisen, in der Ihre Freunde aus der SED das da beantragen? Das unterlassen sie höchst bezeichnenderweise.
Reden wir doch mal kurz darüber, wie das drüben geht.
— Da werden sie geköpft; überall die doppelte Moral!
Die Kommunisten haben gelegentlich auch humanitäre Anwandlungen. Im Strafvollzug haben sie z. B. 1945 drüben versucht, zunächst eine menschliche Methode anzuwenden. Aber, sehen Sie, Menschlichkeit ist nun einmal mit der Diktatur völlig unverträglich. Sie werden hier immer sagen, alles, was wir über die Wasserzellen sagen, über die Zahl der Gefangenen und über ihre Behandlung, sei gelogen. Ja, Herr Renner, wie kann es denn anders sein, wenn man nur über ein paar Prozent der Bevölkerung verfügt und seine politische Herrschaft begründen und aufrechterhalten will? Dann kann man nur mit Terror, mit KZ regieren, dann braucht man 25 Jahre Strafe für ein Flugblatt. Sonst ist doch die politische Herrschaft dieser kleinen Minderheit nicht möglich.
Wenn Ihnen dieser deduktive Beweis nicht genügt, dann kann ich Ihnen an dieser Stelle vielleicht etwas ankündigen. Wir werden Ihnen auch einen Beweis aus den Tatsachen liefern. Die Sozialdemokratische Partei hat die Absicht, demnächst hier einen Antrag auf Einsetzung eines Enqueteausschusses einzubringen. Dieser Enqueteausschuß soll die Aufgabe haben, zu untersuchen, wie es in Deutschland ist, und zwar hüben und drüben, mit' folgenden Verhältnissen: Was wird politisch bestraft? Wie wird der politische Häftling bei der Polizei und bei der Justiz behandelt, also wie sind die Untersuchungsmethoden? Und dann: Wie ist das Strafmaß für politische Straftaten, und wie ist der Strafvollzug? Herr Renner, da werden wir uns bemühen, mit den besten Mitteln, die es für solche Untersuchungsausschüsse geben kann, die Wahrheit zu finden, die Wahrheit hier in der Bundesrepublik und die Wahrheit drüben, da, wo Sie an der Macht sind. Und ich hoffe, daß Sie uns dabei helfen werden, die Wahrheit zu finden.
Vielleicht, Herr Renner, können wir dann einmal einen Lokaltermin in Bautzen oder in Halle machen, wo es diese Wasserzelle gibt. Meine Damen und Herren, um ein Beispiel zu zitieren: in der Wasserzelle sitzt ein Häftling, der nicht geständig ist. Da wird kaltes Wasser eingelassen, und dieses kalte Wasser steigt binnen 24 Stunden bis zum Munde. Alle sechs Stunden wird er einmal herausgeholt und gefragt, ob er jetzt aussagen will.
Machen wir Lokaltermin! Wir werden das untersuchen, und wir werden Ihnen beweisen, daß der Terror, der drüben bei Ihnen herrscht, den noch bei weitem übertrifft, den wir im Dritten Reich gekannt haben.
Da wird Ihnen Hören und Sehen vergehen, wenn wir da einmal hineinleuchten.
Meine Damen und Herren! Ich will keine weiteren Ausführungen dazu machen. In diesem Enqueteausschuß werden wir dem Problem einmal gründauf den Leib rücken.
Inzwischen bitte ich, den Antrag dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu überweisen. So haben Sie auch ein wenig Zeit, Herr Renner, das Vergessene nachzuholen und den gleich-lautenden Antrag in Ihrer Volkskammer einzubringen.