Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben es hier mit einem der vielen Anträge der kommunistischen Fraktion zu tun, in denen versucht wird, durch die menschliche Sprache nicht das auszudrücken, was man meint, sondern das Gegenteil, und damit politische Taschenspielerei zu betreiben. Es hat meines Erachtens keinen Sinn, über einen solchen Antrag zu diskutieren.
Ich habe mich auch nicht zum Wort gemeldet, um mit dem Herrn Antragsteller zu diskutieren, sondern aus einem anderen Grunde. Wir sind es den Zehntausenden politischer Gefangener in der Sowjetzone schuldig, die in den Zuchthäusern in Waldheim, in Brandenburg, in Bautzen, in Torgau oder in anderen Zuchthäusern sitzen und dort unter unwürdigsten Verhältnissen vegetieren, dem Hunger preisgegeben sind und zu vielen Tausenden an Tbc und anderen Krankheiten dahinsiechen, wir sind es den Scharen deutscher politischer Gefangener schuldig, die in den Arbeitslagern der Sowjetzone 15, 20 oder 25 Jahre Zwangsarbeit abbüßen,
daß wir im Deutschen Bundestag in aller Öffentlichkeit über ihr Schicksal sprechen, Verwahrung einlegen und Anklage erheben
gegen die Machthaber der Sowjetzone, die diesen Terror ausüben und sich in der Vernichtung Andersdenkender täglich gegen Recht und Gerechtigkeit vergehen und die primitivsten Gebote der Menschlichkeit mit Füßen treten.
Es ist für uns zwar nichts Neues, zu hören, daß es in der Sowjetzone politische oder religiöse Überzeugungstäter nicht gebe. Nach dem dortigen Sprachgebrauch heißen solche Leute nämlich Saboteure, Schieber, Staatsfeinde, Wucherer, Agenten, Naziverbrecher, Neofaschisten und was es sonst noch für Bezeichnungen für ein und denselben Tatbestand gibt,
nämlich zur Kennzeichnung von Menschen, deren einziges Verbrechen ist, daß sie keine Kommunisten sind und die vermeintlich oder wirklich drüben dem Herschaftsanspruch der KP entgegentreten, ihr deswegen unbequem sind und darum durch ihren allmächtigen Staatssicherheitsdienst, der keinem Minister und keiner parlamentarischen Kontrolle untersteht, beseitigt werden.
Meine Damen und Herren, für den, der dem SSD verfallen ist, gibt es keinen Rechtsschutz. Verhaftungen erfolgen grundsätzlich ohne richterlichen Haftbefehl, die zuständigen Organe werden von den Verhaftungen nicht einmal benachrichtigt, Anfragen nach dem Verbleib bleiben unbeantwortet, selbst wenn solche Anfragen von Staatsanwaltschaften ausgehen. In der sogenannten Untersuchungshaft wird dann die beliebte Zermürbungs-
taktik angewandt, wochenlange Einsperrung, ohne daß der Grund der Verhaftung mitgeteilt wird, keine Möglichkeit, die Angehörigen zu benachrichtigen oder Verteidiger zu bestellen. Politische Verbrecher sind drüben eben schlimmer als Schwerverbrecher, sie sind Staatsverbrecher. Wenn dann die „vernehmungsfähig" Gemachten nicht gleich das gewünschte Geständnis ablegen, gibt es mannigfache Prozeduren, körperliche Mißhandlungen, Lichtbestrahlungen, Einweisung in Wasserzellen, bis sie „geständnisreif" sind.
Bei diesen Unglücklichen ist dann in der Regel, wenn nicht die Todesstrafe, so zumindest eine Strafe von 20 oder 25 Jahren Arbeitslager das Ergebnis. Erst vom Zuchthaus aus können sie — nach Monaten oder oft erst nach Jahren — ihre Angehörigen, für die sie verschwunden waren, zum ersten Male benachrichtigen; unzählige bleiben überhaupt verschwunden.
Der Strafvollzug für politische Gefangene, Herr Kollege Renner, ist besonders hart, anders als bei Kriminellen. Abgesehen davon, daß Kriminelle, zumal wenn es sich um Eigentumsvergehen handelt, überhaupt sehr milde bestraft werden und häufig durch Begnadigungen freigesetzt werden, um in den überfüllten Strafanstalten Platz zu schaffen, verbüßen die Kriminellen kürzere Freiheitsstrafen im allgemeinen im Arbeitsbewährungseinsatz, d. h. sie arbeiten an der Arbeitsstelle in völliger Freiheit, erhalten Zusatzkarten und ordnungsmäßige Bezahlung, leben also unter denselben Arbeitsbedingungen wie der normale Arbeiter in der Sowjetzone, der ja auch ständig der Dienstverpflichtung ausgesetzt ist. Der politische Strafgefangene dagegen verbüßt strenge Haft, erhält keine Stärkungsmittel und sonstige Unterstützung. Soweit es sich um Angehörige der Intelligenzschicht handelt. dürfen sie — um sie seelisch zu zermürben — in den Zuchthäusern nicht einmal körperliche Arbeit verrichten; lediglich das Aufknoten von Bindfäden, das Stricheziehen zur Herstellung von Formularbüchern usw. ist ihnen erlaubt.
Meine Damen und Herren, so sieht die „Ehrenhaft" politischer Gefangener in den Gefängnissen des Kommunismus in der deutschen Sowjetzone aus. Es wäre gegenüber diesen unglücklichen Opfern kommunistischen Terrors nicht zu verantworten, wenn wir einen Antrag, wie er hier gestellt ist, sachlich behandeln würden. Ich beantrage daher namens der Fraktion der Christlich-Demokratischen und der Christlich-Sozialen Union Übergang zur Tagesordnung.