Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Insel Helgoland ist ein ganz kleines Fleckchen Erde,
ein Felseneiland an der Nordseeküste, so groß wie etwa zwei Bauernhöfe. Auf diesem Fleckchen Erde haben 2500 Menschen gelebt von Fischerei, von Seefahrt, von Hilfe für Schiffbrüchige, von Hilfe für Lotsen, von Fremdenverkehr und dergleichen mehr. Aber man wundert sich doch, was auf diesem kleinen Raum von 150 ha Größe eigentlich alles für die Kultur getan worden ist. Ich möchte in dem Reigen der Gespräche, die hier bisher geführt worden sind, auch einmal auf diese Werte aufmerksam machen, weil ich glaube, daß es notwendig ist, über den Wert der Insel Helgoland für die Kultur einiges zu sagen.
Es waren nämlich auf Helgoland eine biologische Anstalt für Fischerei, eine biologische Anstalt für Vogelkunde, wo jährlich etwa 6000 bis 9000 Zugvögel beringt wurden, eine Erdbebenstation, ein botanischer Versuchsgarten, ein Laboratorium für Universitätskunde, die Biologische Anstalt, das Nordseemuseum, eine Vielzahl von Laboratorien für bakteriologische und meeresbotanische Züchtungen. Allein im Jahre 1937 haben 66 500 Menschen die Insel besucht und nahmen 360 Gäste an wissenschaftlichen Arbeiten teil. Das Seebad wurde vor allen Dingen von Heufieberkranken aufgesucht, und junge Menschen, die über wenig Geldmittel verfügten, haben gern ihre Ferien dort verbracht.
Aber es darf auch nicht verschwiegen werden, daß die Insel Helgoland in zwei Kriegen als Stützpunkt gedient hat.
Ich glaube, das müßten wir auch mit aller Deutlichkeit erkennen, um zu wissen, welche Bedeutung diese Insel für den Krieg gehabt hat. 2 500 Menschen haben aber hier ihre Heimat infolge des Krieges verloren, eines Krieges — auch das sollten wir eindeutig feststellen —, den wir j a Hitler zu verdanken hatten und der so viele Millionen Menschen heimatlos gemacht hat. Er hat auch diese 2500 Helgoländer heimatlos gemacht, nur unter sehr viel unangenehmeren Umständen. Sie leben nämlich heute im Küstengebiet, 150 km von ihrer Heimatinsel entfernt. Als die gewählte Abgeordnete des Kreises Pinneberg habe ich in meinem Wahlkreis sehr häufig mit Helgoländern gesprochen, und in diese Gespräche hinein tönte das Herabrauschen der Bomben, ertönten die Detonationen, und das fünf Jahre nach Einstellung der Feindseligkeiten. Herr Kollege Schröter, das war bei meinen Kollegen etwas unangenehm vermerkt worden, daß
Sie erklärten, w i r hätten die Feindseligkeiten eingestellt.
Ich glaube, die Helgoländer begreifen, wenn die Bomben herunterrauschen, daß wir den Krieg verloren haben. Das sollten wir nicht allzusehr vergessen.
— Aber diese Menschen, Herr Kollege Hilbert, leben in Massenlagern, in einem Elend, von dem sich sehr viele Menschen gar keine Vorstellung machen.
Deshalb ist für uns die Rückgabe der Insel Helgoland an seine Bewohner vor allen Dingen ein menschliches Problem.
Wir wollen, daß diese Menschen wieder auf ihre Insel zurückkehren können. Sie gehen in einen Trümmerhaufen zurück, aber sie sind dazu bereit. Sie sind bereit, alle Opfer auf sich zu nehmen und den schwierigen Wiederaufbau zu vollbringen, und ich bin davon überzeugt, dieses Hohe Haus wird die Helgoländer bei diesem Wiederaufbau auch unterstützen.
Aber wir wollen doch nicht so tun, als ob in den vergangenen Jahren nicht von allen Seiten immer wieder versucht worden wäre, die Freigabe der Insel Helgoland zu erwirken. Beide Landräte des Kreises Pinneberg, sowohl der Landrat Damm wie auch der Landrat Schinkel haben immer und immer wieder darauf hingewiesen, wie notwendig es sei, daß diese Menschen zurückkehren. Delegationen des Schleswig-Holsteinischen Landtages haben in England versucht, Sympathie für die Rückgabe zu wecken.
Wir wollen auch über die Debatte, die im englischen Unterhaus stattgefunden hat, nicht schweigen. Auch dabei ist eine Menge Verständnis zutage getreten, allerdings auch eine sehr unmißverständliche Haltung erkennbar geworden. Herr Kollege Schröter wies bereits auf die Rede des konservativen Abgeordneten hin. Ich darf daran erinnern, daß auf diese Rede der Abgeordnete Paget
von der Labour Party — ich bitte mir zu gestatten,
daß ich das zitiere — folgendes erwidert hat:
Mr. Lindsay's Rede zeigt eine Überzeugung auf, die die Verteidigung Westeuropas völlig unmöglich machen wird. Bleibt diese Einstellung wilden Hasses, der Verachtung für deutsche Interessen bestehen, so kann ich dazu nur bemerken, daß dieses Gedankengut nicht dazu geeignet ist, Westeuropa verteidigungsbereit zu machen. Diese Einstellung macht jede Möglichkeit einer freien Mitarbeit an der Verteidigung Europas unmöglich. Wir können nicht erwarten, mit den Deutschen unter anderen Bedingungen zusammenzuarbeiten als denen der Gleichberechtigung. Diese Gleichberechtigung drückt sich nicht allein in rein praktischen Erwägungen aus, sie drückt sich aus in den Gefühlen und in der Achtung für die Gefühle anderer Menschen. Vermutlich wird durch die Bombardierung Helgolands zur Zeit nicht viel Eigentum zerstört, sie beeinträchtigt aber die Möglichkeit des guten Willens und sollte aus diesem Grunde eingestellt werden.
So Mr. Paget am 28. Juli 1950 vor dem britischen
Unterhaus, und ich glaube, wir alle schließen uns
dieser Auffassung an. Wir sind der Meinung, die Alliierten sollten endlich einmal freiwillig etwas tun, um den guten Willen zu dokumentieren, statt es sich abtrotzen zu lassen.
Nach unserer Auffassung ist es aber auch politisch unverständlich, daß man auf diese Weise nationalistischen Bestrebungen Tür und Tor öffnet.
Wir möchten deshalb auch auf diese Gefahr hinweisen, die besonders in den mit Heimatvertriebenen überfüllten Grenzgebieten gegeben ist.
Ich erinnere mich noch sehr deutlich daran, daß nach dem Zusammenbruch 1945 ein damals 17 jähriger junger Mensch mir sagte: Ihr Älteren wißt ja, daß man in einer Demokratie leben kann, wir wissen es noch nicht! Ich glaube, wir haben den jungen Menschen noch_ nicht gezeigt, daß es sich lohnt, in dieser Demokratie zu leben, und Maßnahmen wie die der fortgesetzten Bombardierung Helgolands sind sicher nicht geeignet, bei der deutschen Jugend Verständnis für die Demokratie zu wecken.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, bekanntlich deckt man einen Brunnen zu, wenn das Kind hineingefallen ist. Im Raum von Helgoland sind im Juni vorigen Jahres 16 junge Menschen mit dem Segelschiff Ormen Friske ums Leben gekommen. Daraufhin haben sich zahlreiche seefahrende Leute zusammengetan und haben gebeten, man möge endlich wieder Helgolands Not- und Schutzhafen für Fahrzeuge aller Nationen freigeben, man möge die Funkstelle auf der Insel wieder errichten, eine einwandfreie Beleuchtung durch den Leuchtturm erfolgen lassen, die Nebelstation wieder einrichten und auch die Wetterwarte für den allgemeinen See- und Wetterdienst auf Helgoland wiederherstellen. Nichts ist geschehen, und wir fragen uns: Wieviel Unglück muß erst noch geschehen, damit die bessere Einsicht über die sogenannten militärischen Notwendigkeiten siegt?
Ich bin auch der Meinung, daß es uns nicht ansteht, in einem solchen Augenblick Warnungen und Drohungen auszusprechen,
und ich glaube, daß wir das vor allen Dingen im Interesse der Helgoländer nicht tun sollten;
denn die Helgoländer sind sehr nüchterne oder real denkende Menschen, die auch immer wieder vor Einzelaktionen gewarnt haben. Ich weiß, daß junge Menschen den Wunsch haben, ihnen zu helfen, und das ist anerkennenswert. Aber manchmal war die Begleitmusik doch nicht so ganz, wie wir sie wünschen,
und wir möchten hoffen, daß sich das nicht wiederholt.
Ich darf namens der SPD, die schon auf ihrem vorjährigen Parteitag in Hamburg die Hilfe für Helgoland in einer einstimmigen Entschließung zugesichert hat, erklären, daß wir dem Antrag zustimmen werden. Möge die Intervention bei den Oberkommissaren Erfolg haben. Die Alliierten könnten hier einmal unter Beweis stellen, daß es ihnen mit dem Kampf gegen die Unmenschlichkeit
so ernst ist, daß sie gegenüber den Helgoländern menschlich handeln.