Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Angelegenheit der Immunität des Abgeordneten Hedler liegt dem Bundestag ein neues Ersuchen des Oberstaatsanwalts in Kiel vom 25. Oktober 1950 vor, das über den Justizminister von Schleswig-Holstein und den Bundesjustizminister an den Präsidenten des Deutschen Bundestages weitergeleitet wurde. Es handelt sich um die weitere Durchführung des Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Hedler wegen Beleidigung, übler Nachrede und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener.
Das Hohe Haus hat sich in der Sitzung vom 16. Dezember 1949 mit der Angelegenheit beschäftigt und beschlossen, wegen der aus der Einfelder Rede vom 26. November 1949 bekannt gewordenen Äußerungen des Abgeordneten Hedler dessen Immunität aufzuheben. Das freisprechende Urteil des Landgerichts Kiel vom 15. Februar 1950 war dann Gegenstand einer heftigen Debatte hier im Bundestag. Ich hoffe, daß wir heute diesen Punkt der Tagesordnung ganz leidenschaftslos erledigen, allein schon deswegen, um die politische Bedeutung der in Betracht kommenden Person nicht unnötigerweise zu unterstreichen.
Das Landgericht Kiel hatte mit Urteil vom 15. Februar 1950 nach Abtrennung eines Verfahrensteils den Abgeordneten Hedler in einem Falle wegen erwiesener Unschuld, in vier Punkten mangels Beweises freigesprochen. Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein hat am 12. Juli 1950 für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger Dr. Schumacher, Altmaier, Boller, Bincer, Dr. Goerdeler und Meier wird das angefochtene Urteil mit den tatsächlichen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionen, an das Landgericht Kiel zurückverwiesen.
In der sehr umfangreichen Begründung des Urteils des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 12. Juli 1950 wird u. a. gesagt:
Den Revisionen ist ferner darin zu folgen, daß die Strafkammer ihre Aufklärungspflicht auch insoweit verletzt hat, als sie den Inhalt der Westenseer Rede des Angeklagten nicht näher aufgeklärt hat.
Abgehoben wird damit auf die noch bekannt gewordene Rede des Abgeordneten Hedler in Westensee, die im wesentlichen den gleichen Tatbestand enthält wie die Rede in Einfeld, für die der Bundestag die Aufhebung der Immunität bereits beschlossen hat.
Im Hinblick auf die gleichen Gedankengänge der beiden Reden und die erforderliche Beweiserhebung kam es zu dem neuen Antrag des Oberstaatsanwaltes in Kiel vom 25. Oktober 1950. In dem Antrag des Oberstaatsanwalts wird im wesentlichen ausgeführt — ich muß das vortragen, um den Tatbestand als solchen dem Hohen Hause bekanntzumachen —:
Nachdem die Immunität des Bundestagsabgeordneten Wolfgang Hedler am 25. Dezember 1949 in der 25. Sitzung des Deutschen Bundestages wegen angeblicher beleidigender Äußerungen des Abgeordneten in seiner Einfelder Rede vom 26. November 1949 über Widerstandskämpfer, Juden und führende politische Persönlichkeiten aufgehoben worden war, hat die Staatsanwaltschaft in Kiel am 4. Januar 1950 gegen Hedler bei der Strafkammer des Landgerichts Kiel in Neumünster Anklage
wegen Beleidigung, übler Nachrede und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener erhoben. Die Strafkammer hat den Angeklagten am 15. Februar 1950 nach Abtrennung eines Verfahrensteiles, der die Beleidigung des Bundestagsabgeordneten Waldemar von Knoeringen zum Gegenstand hat, in allen übrigen Punkten der Anklage freigesprochen, und zwar in einem Falle wegen erwiesener Unschuld, im übrigen mangels Beweises. Auf die von der Staatsanwaltschaft und den Nebenklägern gegen dieses Urteil eingelegte Revision hat das Oberlandesgericht in Schleswig am 12. Juli 1950 das freisprechende Urteil mit den tatsächlichen Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht in Kiel zurückverwiesen.
Im Verlaufe der Hauptverhandlung vor der Strafkammer hatte sich herausgestellt, daß der Angeklagte am 29. Juli 1949 in Westensee eine weitere politische Rede gehalten hat, die nach der Bekundung eines Zeugen beleidigende Äußerungen des Angeklagten über die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 enthält, die im wesentlichen den angeblichen Äußerungen der Einfelder Rede entsprechen.
In dem mit der Anlage beigefügten Revisionsurteil, auf dessen Inhalt ich im übrigen bitte Bezug nehmen zu dürfen, wird die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils in erster Linie damit begründet, daß die Strafkammer unter Verletzung ihrer Aufklärungspflicht den angeblichen Äußerungen des Angeklagten in der Westenseer Rede nicht genügend Beachtung geschenkt habe. Das Oberlandesgericht hat dabei die Frage offengelassen, ob die angeblichen Äußerungen Hedlers in der Westenseer Rede strafrechtlich eine selbständige Handlung bilden oder mit den angeblichen Erklärungen in der Einfelder Rede — soweit diese etwa den gleichen Inhalt haben — im Fortsetzungszusammenhange stehen.
Was den Inhalt der am 29. Juli 1949 in Westensee gehaltenen Rede Hedlers angeht, so hat der Zeuge Dr. Willi Schmidt aus Neumünster, der der Versammlung beiwohnte, während der Rede wesentliche Teile ihres Inhalts stenographisch aufgezeichnet. In der Übertragung der stenographischen Niederschrift, die schon den Gegenstand der Beweisaufnahme in dem erstinstanzlichen Verfahren gebildet hat, heißt es u. a.
— nun kommt das Zitat über die Ausführungen der Rede Hedlers —:
„Wenn Sie alles miterlebt haben von 1918 bis 1933, so sahen sie ein völliges Versagen der demokratischen Parteien. Eins muß man dabei anerkennen, daß der Nationalsozialismus Unerhörtes für unser Volk getan hat. Es haben Lumpen und Deserteure versagt und nicht deutsche Männer. Lesen Sie Gisevius, lesen Sie Schlabrendorf, was sie vom 20. Juli schreiben. Der Deutsche hat am wenigsten Nationalstolz, alle anderen Völker haben mehr. Die KZ's sollen beweisen, was Nazis waren? — Sind Flausen! Wir haben das Recht, die Menschen, die den Staat unterminieren, sicherzustellen! Kaiser Wilhelm II. war der größte Friedensfürst, den die Welt gesehen hat. Der Krieg ist auch für Hitler zu früh gekommen. Wenn er noch 5 bis 7 Jahre Zeit gehabt hätte,
hätte kein Staat uns angreifen können. Zusammengebrochen ist Deutschland nicht durch die Männer, die an der Front ihre Pflicht getan haben, sondern weil Deutschland von anderen Männern unterminiert wurde. Die Bücher von Gisevius usw. beweisen es."
Der Zeuge Dr. Schmidt hat in der Hauptverhandlung vor der Strafkammer in Neumünster bekundet, daß seine Niederschrift eine im wesentlichen wortgetreue Wiedergabe inhaltlich zusammenhängender Teile der Rede Hedlers sei und daß insbesondere hinsichtlich der Äußerungen Hedlers über die Widerstandskämpfer des 20. Juli ein Irrtum ausgeschlossen sei. Diese Angaben hat der Zeuge bei einer erneuten eingehenden Vernehmung durch den Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft wiederholt. Verschiedene andere Teilnehmer an der Versammlung in Westensee haben als Zeugen im ,Ermittlungsverfahren die Angaben des Zeugen Dr. Schmidt hinsichtlich der die Widerstandskämpfer des 20. Juli betreffenden Äußerungen Hedlers in vollem Umfang bestätigt. Es besteht hiernach der dringende Verdacht, daß Hedler sich auch in seiner Westenseer Rede der Beleidigung und üblen Nachrede zum Nachteil der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 und der Verunglimpfung des Andenkens verstorbener Angehöriger dieser
Widerstandsgruppe schuldig gemacht hat.
Da mit der Möglichkeit gerechnet werden muß, daß die Strafkammer die Äußerungen Hedlers in seiner Westenseer Rede als eine selbständige Handlung ansieht, beabsichtige ich, gegen Hedler vorsorglich Nachtragsanklage wegen dieser beleidigenden Äußerungen zu erheben. Voraussetzung für die Strafverfolgung Hedlers wegen seiner angeblichen Äußerungen in Westensee ist, daß seine Immunität .als Bundestagsabgeordneter auch insoweit aufgehoben wird. Ich beantrage daher die Aufhebung der Immunität Hedlers auch für seine angeblichen Äußerungen in der Westenseer Rede.
Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität war einstimmig der Auffassung, daß dem Ersuchen des Oberstaatsanwalts in Kiel entsprochen
werden solle und stellt daher folgenden Antrag: Der Bundestag wolle beschließen, die durch Beschluß des Bundestages vom 16. Dezember 1949 aufgehobene Immunität des Abgeordneten Hedler auch zur Durchführung des Verfahrens gemäß Ersuchen des Oberstaatsanwalts in Kiel vom 20. Oktober 1950 aufzuheben.
Ich bitte die verehrten Abgeordneten, den Text in der vorliegenden Drucksache Nr. 1733 redaktionell nach dem von mir eben vorgetragenen Wortlaut zu berichtigen.
Ich stelle weiterhin den Antrag, dem Antrage des Ausschusses zuzustimmen.