Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich zunächst einige kurze Bemerkungen
gegen die Ausführungen des Herrn Bundesjustizministers mache. Um was handelt es sich denn bei der Drucksache Nr. 1732? Es handelt sich darum, daß der Abgeordnete unter kein schlechteres Recht gestellt werden soll als das, das für jeden anderen Staatsbürger gilt. Um was handelt es sich konkret? Wenn dem Abgeordneten ein Delikt vorgeworfen wird, das bei einem anderen Staatsbürger auf Grund des Straffreiheitsgesetzes ohne weiteres zur Einstellung des Verfahrens führen würde, so kann die Einstellung des Verfahrens, also die Amnestie, bei einem Abgeordneten nicht angeordnet werden, weil dem die Bestimmungen über den Schutz der Immunität entgegenstehen. Wir haben uns in dem Ausschuß mit dieser Frage eingehend beschäftigt, und ich darf Ihnen sagen, wir haben uns die Arbeit nicht leicht gemacht. Wenn wir nicht zu der Auffassung des Herrn Bundesjustizministers gekommen sind, so nicht etwa deshalb nicht, weil wir die Gründe, die den Herrn Bundesjustizminister zu seiner schriftlich geäußerten Auffassung bewogen haben mißachtet hätten. Nein, wir sind — und ich glaube, es sind keine schlechteren Juristen in dem Ausschuß vertreten, als in dem Bundesjustizministerium vorhanden sind —
einstimmig, Herr Minister, zu der Überzeugung
gekommen, daß der in der Drucksache Nr. 1732
vorgeschlagene Weg der richtige, der vernünftige, der praktische Weg ist, der den zweckmäßigen Ausweg ermöglicht. Ich darf aber in diesem Zusammenhang, Herr Minister, auch feststellen, daß die Entscheidung über diesen Punkt, der den Ausschuß in mehreren Sitzungen beschäftigt hat, in der Sitzung, in der die Entscheidung des Ausschusses gefallen ist, ausgerechnet in Abwesenheit eines Vertreters des Bundesjustizministeriums gefällt werden mußte.
Wenn das Bundesjustizministerium so großen Wert darauf legt, sogar hier das Plenum mit seiner Meinung zu behelligen, wäre es für das Bundesjustizministerium zweckmäßig gewesen, zunächst einmal im Ausschuß bis zum Schluß seinen Standpunkt zu vertreten.
Zu den Bemerkungen des Herrn Kollegen Dr. von Brentano, der den Wunsch geäußert hat, daß von der bisherigen Praxis abgegangen werden soll, darf ich sagen, daß Herr von Brentano, obwohl er offensichtlich gerade das entscheidende Protokoll vom 16. Oktober durchgelesen hat, sich doch die Begründung relativ leicht gemacht hat.
Wenn Herr von Brentano die ganzen Protokolle, die auch in Unterausschußsitzungen in heißem Bemühn um die Klärung des Problems der Immunität zustande gekommen sind, auf ihren inneren Gehalt würdigen würde
— sehr freundlich! —, dann würde er doch nach meiner Meinung zwangsläufig zu einer anderen Auffassung kommen müssen, etwa zu der Auffassung, Herr von Brentano, die ein Herr, der Ihnen nicht fernsteht, nämlich der Herr Justizminister Dr. Süsterhenn, in dem „Rheinischen Merkur" vom 25. November 1950 geäußert hat. Ich darf Ihnen vielleicht zwei, drei gravierende Sätze aus diesem Artikel des Herrn Justizministers von RheinlandPfalz in Erinnerung rufen. Da heißt es einmal:
Die Ablehnung der Aufhebung der Immunität sollte grundsätzlich auf die Fälle beschränkt werden, in denen es sich um Delikte handelt, die einen politischen Charakter tragen.
Darf ich gleich daran anschließend einen Hinweis auf Ihre Bemerkung anfügen, daß Beleidigungen politischen Charakters nach Auffassung des Ausschusses nicht zur Aufhebung der Immunität führen sollten, nach Ihrer Auffassung aber in jedem Falle zur Aufhebung der Immunität führen sollten. Wir haben dieses Prinzip, daß Beleidigungen politischen Charakters nicht zur Aufhebung der Immunität führen sollten, hier im Plenum dieses Hauses bei konkreten Fällen besprochen und in der Praxis dabei die Billigung des Hauses gefunden. Wenn Sie sich nun einmal vor Augen halten, wie sehr die Flut der Beleidigungen politischen Charakters angestiegen ist, Herr Kollege von Brentano, dann werden Sie zugeben, daß daraus eine nicht absehbare Flut von Anträgen emporsteigen kann.
— Auch Kommunisten haben sich des Schutzes des Ausschusses und der gleichen Liebe zu erfreuen wie die anderen Mitglieder des Hauses.
Wenn Sie diese Dinge in der Praxis genau verfolgen, dann werden Sie finden, daß auf die Dauer
in unseren Zeitläuften eine solche Fülle von Im-
munitätsaufhebungen fällig wird - ich brauche nur an den bayrischen Wahlkampf zu erinnern, und ich brauche nur an die Zusammenhänge zu erinnern, die mit dem „Spiegel"-Ausschuß verbunden sind, über die wir demnächst noch zu befinden haben werden.
— Auch der Herr Justizminister ist eifrig bemüht, uns zu beschäftigen. Er findet eine ganze Reihe von Fällen. Wir werden heute noch Gelegenheit haben, darauf zu sprechen zu kommen. Er sucht und findet, wie Goethe in dem schönen Gedicht sagt: „Er ging im Walde so für sich hin" und siehe da, er fand wieder einen neuen Fall, in dem er die Möglichkeit sah, sich beleidigt zu fühlen.
Es handelt sich wahrhaftig nicht darum, ein Ausnahmerecht oder, wie Sie meinten, Herr Kollege von Brentano, die Abgeordneten in bezug auf die Immunitätswahrung zu einer Kaste zu machen, die ein anderes Recht habe. Nein, es handelt sich darum, dem zu genügen, was wir seinerzeit auch mit Billigung des Hohen Hauses festgestellt haben. In diesem Protokoll vom 16. Oktober heißt es ausdrücklich:
Die Immuniät ist ein Recht des Parlaments, das zu schützen ist. Ausnahmen können in den Fällen gemacht werden, in denen das Interesse der Rechtspflege an der Strafverfolgung den Vorrang vor der Arbeitsfähigkeit des Parlaments hat.
Darum und um gar nichts anderes handelt es sich bei der Prüfung jeder einzelnen Frage. Daß wir im übrigen im Ausschuß wahrhaftig nicht gesonnen waren und auch das Hohe Haus nicht gesonnen war, aus dieser Immunität des Parlaments, übertragen auf den einzelnen Abgeordneten, ein Privileg zu machen, mag Ihnen die Fortsetzung dieses Beschlusses vom 16. Oktober 1950 beweisen, in dem festgestellt wird, daß zum Beispiel bei Verkehrsdelikten aller Art dies Recht auf Immunität nicht in Anspruch genommen werden kann.
Wir haben dann ausdrücklich festgestellt, daß Beleidigungen, wenn sie politischen Charakter haben, nicht zur Aufhebung der Immunität führen sollen. Wenn wir davon abgehen, meine Damen und Herren, dann werden wir mit Sicherheit eines erreichen: Wir werden die Arbeitsfähigkeit des Parlaments in erheblichem Maße gefährden mid beschränken.
Gestatten Sie bitte, daß ich noch zwei Sätze sage zu dem bemerkenswerten Artikel des Justizministers Süsterhenn, der in anderem Zusammenhang einmal meinte, daß die Immunität auch in einem wesentlichen Zusammenhang mit der Ausübung des Abgeordnetenmandats geschützt werden soll, wenn daraus ein strafbares Delikt entstanden sei. Wir haben derartige Fälle bis jetzt relativ selten gehabt. Ich glaube aber, daß im Hohen Hause Übereinstimmung darüber besteht, daß in solchen Fällen, wenn es sich nicht um andere Tatbestände handelt, die so schwerwiegend und gravierend sind, daß sie zu einer Ausnahme von der Regel führen müßten, die Bestimmungen auch im Sinne der Ausführungen des Herrn Süsterhenn gehandhabt werden sollen.
Schließlich meint Herr Justizminister Süsterhenn, daß die Immunität auch zu wahren sei bei Einleitung von Strafverfolgungen seitens der Exekutive unter Mißbrauch formaler Rechtsbefugnisse aus politischen Gründen und zu politischen Zwecken. Meine Damen und Herren, wenn Sie einzelne Anzeigen, die gegen Abgeordnete gerichtet werden— und ein Teil solcher Fälle wird auch heute noch das Hohe Haus beschäftigen —, auf ihren inneren Gehalt untersuchen, dann finden Sie, daß politische Tendenzen, den oder jenen mißliebigen Abgeordneten dadurch zu erledigen, daß man ihn, wie der Volksmund sagt, madig macht — bei einzelnen Verfolgungen kommen sie von privater Seite oder werden sie über einen Staatsanwalt vorangetragen —, unzweifelhaft vorhanden sind. Ich glaube, wir sollten uns darin einig sein, daß die Abgeordneten nicht Freiwild werden dürfen. Es ist schon schlimm genug, wenn es, da die Öffentlichkeit sonst kaum Kenntnis von irgendwelchen Auseinandersetzungen vor Gericht nimmt, bei einem Abgeordneten jedesmal auf der Tagesordnung des Plenums dieses Hohen Hauses heißt: „Antrag auf Aufhebung der Immunität des Abgeordneten X Y".
Wir werden uns demnächst, wenn ich Ihnen das zum Schluß sagen darf, mit einem ganz markanten Fall beschäftigen müssen, der das illustriert. Ein Mitglied dieses Hohen Hauses, von Beruf Landwirt — Herr Kollege Horlacher, das geht Sie an! —
hat folgende Sünde begangen. Er hat einen Knecht. Es muß irgendeine eilige Arbeit verrichtet werden. Der Knecht kann den Traktor fahren, aber er hat nicht den Traktor-Führerschein oder wie das Ding heißt. Da hat er gesagt: „Mal los! Fahr nun mal!" Er wurde natürlich von der Gendarmerie erwischt. Der Knecht wurde mit 12 Mark Geldstrafe belegt. Die hat das Mitglied dieses Hohen Hauses bezahlt. Jetzt haben wir in Kürze über den Fall zu entscheiden: Antrag auf Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Dr. X Y Warum? Wegen Anstiftung.
— Bitte, meine Herren, wegen Anstiftung des Knechtes, daß er ohne Führerschein den Traktor gefahren hat.
Ich glaube, man kann auch etwas bis zur Lächerlichkeit übertreiben, man kann auch etwas ad absurdum führen. Ich bitte Sie, versichert zu sein, daß die Arbeiten sowohl des Ausschusses als auch seines Unterausschusses in der Frage der Ausarbeitung und Herausstellung von Grundsätzen über eine vernünftige Interpretation des Immunitätsrechts des Parlaments und der einzelnen Abgeordneten von jenem Geist der Verantwortung getragen sind, der allein uns vorwärts zu helfen vermag. Ich warne davor, die Dinge in bezug auf die Lockerung der auch bisher vom Hohen Haus gebilligten Praxis allzu leicht zu nehmen.