Rede von
Frieda
Nadig
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Es ist erfreulich, daß der Antrag des Zentrums dem Hohen Hause Gelegenheit gibt, sich einmalmit dem Problem der Kriegssachgeschädigten zu befassen. Wäre es früher geschehen, hätte man die Aufspaltung dieser Hilfsbedürftigen in Interessentengruppen vielleicht vermeiden können.
Unwandelbarer Grundsatz der Gesetzgebung muß es sein, alle Staatsbürger gleichmäßig zu behandeln. Gewiß, in den Jahren 1946 und 1947 hatten die Ostvertriebenen ein Prioritätsrecht. Wir schreiben aber heute 1950, und es mehren sich die Stimmen, daß die Kriegssachgeschädigten genau so behandelt werden müssen wie die Ostvertriebenen. Wenn man das Problem unvoreingenommen betrachtet, kommt man um die Anerkennung dieser Forderung nicht herum,
liegt doch bei sehr vielen von ihnen das gleiche Kriegsschicksal vor. Hunderttausende haben in den Bombennächten alles verloren, sind voll Grauens geflohen, in den Osten evakuiert worden und dann im Zusammenbruch wieder als Flüchtlinge in den Westen gekommen. In die zerbombte Heimat konnten sie nicht zurück, leben jetzt irgendwo auf dem Lande. in Kellern oder Trümmern, genau wie die Flüchtlinge, gelten aber nicht als solche.
Das Land Nordrhein-Westfalen gehört zweifellos zu den am stärksten zerstörten Ländern. Es hat allein 3 Millionen Kriegssachgeschädigte. Unter ihnen befindet sich eine sehr große Zahl von Menschen, die in ihre Heimatstadt nicht wieder zurückkehren konnten; ein Wiederaufbau ihrer Häuser ist bis heute noch nicht möglich gewesen. Wie groß dieser Kreis von Menschen ist, mögen ihnen nachfolgende Zahlen beweisen. In Köln allein warten jetzt noch 172 000 Kriegssachgeschädigte auf Rückkehr in ihre Heimatstadt, in Essen 60 000 Menschen, in Düsseldorf 48 000, in Dortmund 41 000 und in Wuppertal allein 40 000. Die Stadt Köln hat 1950 5 500 neue Wohnungen gebaut. Das ist eine sehr beachtliche Zahl. Aber selbst wenn diese Zahl verdoppelt, also auf über 10 000 erhöht würde, brauchte die Stadt Köln 17 Jahre, um die jetzt noch draußen wartenden Kriegssachgeschädigten in ihren Mauern wieder aufnehmen zu können. Keine Zahl beweist die Schwierigkeit dieses Problems besser als die eben genannte. Ohne Hilfsmaßnahmen können die schwer zerbombten Städte diesen Notstand nicht beheben. Ich richte daher an den Herrn Bundesminister für Wiederaufbau das Ersuchen, Vorschläge dafür zu machen, wie den schwer zerbombten Städten durch eine Sonderregelung beim Aufbau von Wohnungen für Kriegssachgeschädigte geholfen werden kann.
Ein weiteres drückendes Problem der Kriegssachgeschädigten ist das Problem des Getrenntlebens der Familienangehörigen: Herr Abgeordneter Reismann hat eben schon darauf hingewiesen. Ich denke an meinen Heimatbezirk. Allein im Bezirk Detmold leben 10 000 Familien aus Köln, deren Ernährer zum Teil in Köln wieder Arbeit angenommen hat und der gezwungen ist, Hunderte von Kilometern weit von der Familie zu leben. Die
ungeheure Verteuerung und nicht zuletzt die dauernde Trennung der Familien ist eine sehr große Belastung und bringt eine gewisse Auflösung des gesamten Familienlebens mit sich. Hier ist die Gewährung derselben Fahrpreisermäßigungen, wie sie die Vertriebenen genießen, eine zwingende Notwendigkeit.
Wir stimmen den drei Punkten des Antrags des Zentrums zu. Ich möchte aber noch betonen, daß es uns außerordentlich bescheiden erscheint, für die Aufgaben der Kriegssachgeschädigten schlechthin nur eine Abteilung im Bundesinnenministerium zu verlangen. Unseres Erachtens ist es notwendig, diese Abteilung selbständig auszurüsten. damit der Aufgabe der Kriegssachgeschädigten wirklich Rechnung getragen werden kann. Auch Herr Abgeordneter Reismann sagte eben bereits, daß die Zahl der Kriegssachgeschädigten durchaus nicht viel kleiner ist als die Zahl der Vertriebenen. und in Anbetracht der Zahl der Vertriebenen hat man ein besonderes Bundesministerium eingerichtet. Ich glaube, es ist dann nicht unbescheiden, wenn die Kriegssachgeschädigten für ihre Aufgaben eine selbständige Abteilung im Bundesinnenministerium verlangen.
Wir stimmen dem Antrag des Zentrums auf Überweisung an den Ausschuß zu.