Rede von
Peter
Jacobs
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Hohes Haus! Wenn es sich bei dem hier zur Debatte stehenden Antrag lediglich um die Erfüllung materieller Bedürfnisse handeln würde, die ursprünglich den Antragstellern Veranlassung waren, Forderungen nach dieser Richtung zu erheben, dann hätte sicherlich dem Bedürfnis dieses Hauses nach möglichst schnellem Auseinandergehen — d. h. für die Angehörigen der Regierungsparteien trifft das nur für den heutigen Tag zu — Rechnung getragen werden können. Aber die Erfahrungen in der Zwischenzeit insbesondere auf dem Gebiet der Fremdenverkehrswerbung berechtigen meine Fraktion leider nicht zu der Annahme, daß entscheidende Änderungen beabsichtigt seien, vor allen Dingen, daß erkannt worden sei, wie wir speziell auf diesem so wesentlichen Gebiet den Anschluß an die Bedingungen der Umwelt doch sehr weitgehend verloren haben.
Meine Fraktion ist in erster Linie auch sehr skeptisch, da die weitgehend personelle Frage, die damit angeschnitten wird, federführend in die Hände des Verkehrsministeriums gelegt wird, und zwar nicht deshalb, weil diese Angelegenheit materiell nicht zur Natur des Verkehrsministeriums gehören würde, sondern vor allem, weil die Person des Verkehrsministers im Hinblick auf die bekanntgewordenen nationalistischen Tiraden seiner Sonntagsausführungen uns nicht sonderlich geeignet erscheinen, das Aktivum der Fremdenwerbung auch als solches für uns benutzen.
Ich hatte bereits gelegentlich der Einbringung dieses Antrages die Ehre, im Namen meiner Fraktion auf gewisse Notwendigkeiten hinzuweisen, und bitte auch jetzt wieder zu berücksichtigen, daß es im Interesse der Entwicklung einer so wichtigen, nicht nur vom Gesichtspunkt der Wirtschaft, sondern auch vom Gesichtspunkt der zwischenstaatlichen Beziehungen aus bestehenden Einrichtung
unbedingt erforderlich ist, auf diesem Gebiet nach dringend notwendigen neuen Ideen Umschau zu halten. Es darf nicht sein, daß — diese Gefahr besteht — diejenigen Leute glauben, damit Entscheidendes für den Fremdenverkehr getan zu haben, die Goethe als Schießbudenfigur auf Plakaten bringen oder den Faltenwurf ehrwürdiger deutscher Madonnen neppisch mit einer umgedrehten Fahrradmütze enden lassen, ohne daß wir nun dem anderen Extrem das Wort reden, wie es seitens der Amerikaner gemacht wird, die in ihren Reisebüros die Reiselustigen auffordern, so schnell wie möglich Deutschland zu besuchen, ehe die Ruinen mit amerikanischem Geld wieder aufgebaut seien. Eine Änderung unserer Werbung braucht auch nicht etwa im Sinne des Mottos eines amerikanischen Beerdigungsinstituts zu erfolgen, das da schreibt: Warum halbtot herumlaufen, wenn Sie für 30 Dollar beerdigt werden können?!
Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß wir vor der Notwendigkeit stehen, auf einem, wie mir scheint, uns wesensfremden Gebiete mehr zu unternehmen, als in der Vergangenheit geschehen ist. Vor allen Dingen kommt es auch in einem entscheidenden Ausmaß auf das Wie an. Wenn sich in der Vergangenheit unsere diplomatischen Vertreter und insbesondere die Angehörigen unserer Presse darüber beschweren mußten, daß die Verleger beispielsweise nicht genügend Verständnis für ihre Bedürfnisse hatten, die sie nun einmal als Auslandsjournalisten in Erfüllung ihrer schwierigen Aufgabe haben mußten, wenn sie vernünftige Arbeit leisten wollten, dann sollten wir daran denken, daß Fremdenwerbung so und so gemacht werden kann.
Insbesondere scheint sich aber auch die Bundesregierung nicht genügend um das bemüht zu haben, was damals Ausdruck der Debatte gelegentlich der Einbringung dieses Antrages gewesen ist, als auf den unmöglichen Zustand der immer noch vorhandenen Naturschutzparke hingewiesen wurde, die sich die Amerikaner insbesondere im bayerischen Gebiet zugelegt haben. Ich möchte nicht annehmen, daß dieses hermetische Abschließen und das Vorhandensein für die deutsche Bevölkerung verbotener Zonen innerhalb der landschaftlich schönsten Gebiete Deutschlands, die für die Fremdenwerbung besonders wichtig sind, Rudimente einer Politik darstellen, die im Jahre 1945 ein Fraternisierungsverbot vorgesehen hat. Wenn es auf der anderen Seite ein Sicherheitsbedürfnis vor Angriffen der deutschen Bevölkerung sein sollte, dann darf darauf hingewiesen werden, daß es im Jahre 1950 nicht mehr Gültigkeit haben dürfte, da nicht jeder das Glück hat, in der Neuen Welt geboren zu sein, und es sich allmählich herumgesprochen haben müßte, daß die Fälle von Kannibalismus im alten Europa auch nur noch verhältnismäßig selten sind.
Auch aus diesem Grunde würden wir größten Wert darauf legen, daß die Frage der Fremdenwerbung für Deutschland im Ausland mit dem Ernst angesehen wird, die sie aus den verschiedensten Gründen verdient, einmal der wirtschaftlichen Voraussetzungen wegen, aber auch im Hinblick darauf, daß es notwendig ist, daß sich die Menschen der verschiedenen Völker in Zukunft möglichst in Massen kennenlernen, ohne gezwungen zu sein, einen Rock zu tragen, der mehr als vier Knöpfe hat und der stets nur Unglück über alle Nationen gebracht hat. Deshalb legen wir Abgeordneten der sozialdemokratischen Fraktion Wert darauf, auch die Frage zu prüfen, welche Voraussetzungen geschaffen werden können, daß nicht nur dollarschwere Leute zu uns kommen, sondern auch derjenige Teil der Bevölkerung, der in seiner Vergangenheit meist gegen seinen Willen und zu einem schlechten Zweck in dieses andere Land hineingetrieben wurde.
Wenn es in der Vergangenheit im negativen Sinn als Ausdruck der Zerrissenheit Europas bei Kurt Tucholsky einmal geheißen hat, daß in Europa jeder einmal Inländer und zweiundzwanzigmal Ausländer sei und, wer klug sei, dreiundzwanzigmal, dann sollten wir das als positive Eigenschaft zur Grundlage unserer Handlungen machen und dafür besorgt sein, daß endlich die Möglichkeit eines Fremdenverkehrs in einem Ausmaße genutzt wird, wie es die voraussetzungen jeder sinnvollen Tätigkeit sein müßten.