Rede von
Dr.
Ludwig
Erhard
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung war bestrebt, Preise und Löhne möglichst stabil zu halten. Die tatsächlich eingetretene Entwicklung der Lebenshaltungskosten hat den Erfolg dieser Politik bestätigt. Die amtliche Indexziffer der Lebenshaltungskosten auf der Grundlage von 1938 hat sich von 168 im Januar 1949 während des Jahres 1949 im ganzen rückläufig bewegt und im Januar 1950 einen Stand von 154 erreicht. In den bisher vergangenen Monaten des Jahres 1950 hat diese Entwicklung bis auf eine saisonal bedingte Spitze im Mai angehalten. Die gegenwärtige Indexziffer der Lebenshaltungskosten beträgt 150 und liegt damit 18 Punkte unter dem Höchststand nach der Geldreform im Januar 1949 und vier Punkte unter dem Stand zu Anfang dieses Jahres. Die seit Ausbruch der Korea-Krise eingetretenen Preiserhöhungen für Lebensmittel und andere Güter des lebenswichtigen Bedarfs wurden somit durch entsprechende .Senkungen bei anderen Gütern des lebensnotwendigen Bedarfs aufgewogen.
Diese Entwicklung ist eingetreten, obwohl die Weltmarktpreise seit Ausbruch der Korea-Krise im Juni 1950 scharf angezogen haben. Der Index für USA-Rohstoffe stieg von 394,4 seit Mitte Juni 1950 auf 486,8 Ende November 1950, also um über 23 %. Im gleichen Zeitraum ist der deutsche Grundstoffpreisindex von 198 auf 221, d. h. nur um etwas über 10 % gestiegen.
Ich darf dazu anführen, daß der Grundstoffindex für Frankreich im gleichen Zeitraum um 21 % und der Grundstoffindex, also der Preisindex für Grundstoffe, in England um 40 % gestiegen sind.
Die deutschen Grundstoffpreise haben also die steigende Entwicklung der Weltmarktpreise nur teilweise, und zwar im wesentlichen nur insoweit mitgemacht, als eine unmittelbare Weltmarktpreisabhängigkeit besteht. Diese aber ist für Deutschland bekanntlich besonders groß.
Wenn demgegenüber die Lebenshaltungskosten während des gleichen Zeitraums nicht angestiegen sind, so ist damit das Ergebnis erzielt, daß im Schnitt die erhöhten Weltmarktpreise durch Senkung in den Verarbeitungs- und Handelsspannen für die Verbrauchsgüter aufgefangen wurden, wobei allerdings zu beachten ist, daß die Subventionierung einzelner Nahrungsmittel trotz der beengten Finanzlage des Bundes in begrenztem Umfange fortgesetzt wurde. Insbesondere werden für eingeführtes Getreide weiterhin Subventionen gewährt, um die Lieferung des Konsumbrotes zu dem amtlich festgesetzten Preis zu sichern und bei den im Preis freigegebenen Brotsorten die Preiserhöhungen in erträglichen Grenzen zu halten. Prüfungen meines Ministeriums und der zuständigen Behörden der Länder sowie auch Untersuchungen, die unter Hinzuziehung von Vertretern der Presse angestellt wurden, haben immer wieder ergeben, daß das Konsumbrot entgegen anders lautenden Behauptungen dem Verbraucher in ausreichendem Maße zum Kauf zur Verfügung steht. Nach den letzten Feststellungen hat sich ergeben, daß der Anteil des Konsumbrots am Gesamtbrot-umsatz angestiegen ist und in einzelnen Gebieten über 50 % bis sogar 80 % beträgt.
In Verhandlungen mit der Öl- und Margarineindustrie ist es gelungen, dahin zu wirken, daß trotz gestiegener Weltmarktpreise für Margarinerohstoffe und andere Rohfette die gesetzlich zulässigen Preise für Margarine, Plattenfette und Kunstspeisefette gehalten wurden.
Die Preiserhöhungen auf dem Fleischsektor, insbesondere bei Schlachtschweinen und Schweinefleisch, haben zu einem wesentlichen Teil ihren Grund in einer offenbar durch gesteigerte Kaufkraft erheblich gestiegenen Nachfrage. Dieser erhöhte Bedarf hat dazu geführt, daß selbst bei größerem Marktauftrieb die Preise angezogen haben. Ich habe mich daher um verstärkte Einfuhr von Schlachtvieh und Fleisch bemüht; insbesondere ist es gelungen, eine größere Partie Rindfleischkonserven von 22% Millionen Dosen einzuführen, für welche von meinem Ministerium der Verbraucherpreis von 95 Pfennig für 567 Gramm knochenloses Fleisch festgelegt wurde. Meine Bemühungen um weitere Vieh- und Fleischimporte und um eine größtmögliche Verbilligung des Warenverkehrs vom Importeur bis zum Verbraucher werden fortgesetzt. In Verbindung mit einer festgestellten sehr erweiterten Aufzucht von Schweinen im Inland ist nach Meinung aller Sachverständigen zu erwarten, daß in absehbarer Zeit ein verstärktes Marktangebot zu Preisrückgängen auf dem Vieh- und Fleischmarkt führen wird.
Die im Sommer aufgetretenen Schwierigkeiten auf dem Zuckersektor waren in erster Linie psychologisch bedingt. Durch Angstkäufe im Inland war bei den bei normaler Entwicklung ausreichenden Zuckervorräten eine solche Verknappung eingetreten, daß stellenweise die gesetzlich geregelten Inlandspreise nicht gehalten wurden und die Ware auf den schwarzen Markt wanderte. Von seiten der Preisüberwachung ist sofort dagegen eingeschritten worden. Ferner ist der zu erhöhten Preisen aus dem Ausland hereinkommende Zucker subventioniert worden, so daß nunmehr seit Beginn der Zuckerkampagne im Inland die Zuckerknappheit überwunden ist und damit die Gefahr der Überschreitung der gesetzlichen Zuckerpreise gegenwärtig nicht mehr gegeben ist.
Die Eierpreise haben sich nicht über das saisonbedingte Ausmaß erhöht. Es ist ein üblicher Vorgang, daß die Eierpreise im Herbst anzuziehen beginnen, während sie dann im Frühjahr wieder absinken werden. Sie liegen weit unter den jahreszeitlich entsprechenden Preisen des Vorjahres.
Was die Kartoffelpreise betrifft, so haben eingehende Untersuchungen ergeben, daß sowohl die Erzeuger- wie auch die Verbraucherpreise dieses Jahres im Schnitt um etwa 1 Mark unter den entsprechenden Erzeuger- und Verbraucherpreisen des vergangenen Jahres liegen, wobei allerdings
gewisse regionale Verschiedenheiten des Vorjahres in diesem Jahre zum Ausgleich gelangt sind.
Im Ergebnis darf festgestellt werden, daß die Bundesregierung ihre Zusage stabiler Lebenshaltungskosten einzuhalten in der Lage war, obwohl die Weltmarktpreise in den letzten 5 Monaten erheblich angestiegen sind.
Die Bemühungen um die Aufrechterhaltung eines angemessenen Preisstandards durch die Anwendung marktkonformer Mittel — insbesondere preisausgleichender Einfuhren — werden fortgesetzt. Auch werden die angelaufenen krediteinschränkenden und kaufkraftbegrenzenden Maßnahmen dazu beitragen, daß die Erhöhung einzelner Grundstoffpreise nicht etwa zum Anlaß genommen wird, weitere über das Ausmaß eingetretener echter Kostensteigerungen hinausgehende Preiserhöhungen vorzunehmen. Um Mißbräuchen vorzubeugen, hat das Kabinett in seiner Sitzung vom 4. Oktober 1950 beschlossen, daß von meinem Hause und von den beteiligten Bundesministerien für Justiz und für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten die notwendigen Schritte eingeleitet werden, um das Vorgehen der Preisüberwachungsstellen gegen Preistreiberei nach Maßgabe der Bestimmungen des Wirtschaftsstrafgesetzes zu aktivieren.
Insbesondere möchte ich den Ausführungen meines Vorredners noch hinzufügen, daß ich niemals die Auffassung vertreten habe, d e r Preis wäre gerechtfertigt, der sich am Markt aus spekulativen Erwägungen bilden kann und realisierbar ist, sondern umgekehrt: ich habe nachweisbar zu wiederholten Malen auf die höhere Preisdisziplin hingewiesen, um zu erreichen, daß sich die Preiskurve nicht in hektischen Sprüngen entwickelt, sondern organisch.
Bezüglich der Kohle möchte ich folgendes sagen: Es ist billig, nachträglich zu sagen, man habe schon im Frühjahr alle Entwicklungen voraussehen können. Das hat kein Land gekonnt. In der ganzen Welt sind Bewegungen eingetreten, wie wir sie in Deutschland zu verzeichnen haben, und ich kann Ihnen verraten, daß immer mehr europäische Länder an uns herantreten, um sich zu erkundigen, mit welchen Mitteln wir es bewerkstelligt haben, daß bei uns die Preise stabiler geblieben sind als im ganzen europäischen Ausland.
— Soweit Sie daran Zweifel hegen, stehen Ihnen bei einigen Bemühungen die amtlichen Indexziffern aller europäischen Länder zur Verfügung. Wenn Sie die gelesen haben, können wir uns über den Gegenstand weiter unterhalten.
Wir haben selbstverständlich alle Einfuhren bis zum Äußersten ausgenutzt. Wenn gesagt worden ist, für das Einfuhrsicherungsprogramm stünden keine Mittel zur Verfügung, so kann ich Ihnen sagen: Das Einfuhrsicherungsprogramm ist praktisch durchgeführt. Nach einer neuen Regelung zwischen der Bank deutscher Länder und der Bundesregierung ist auch Vorsorge getroffen, daß die weiteren Ausschreibungen, die Abwicklung der Handelsverträge zusammen mit den liberalisierten Einfuhren noch in diesem Monat ordnungsgemäß fortgesetzt werden.