Das Wort hat der niedersächsische Flüchtlingsminister, Herr Minister Albertz.
Albertz, niedersächsischer Minister für Vertriebene: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe namens der niedersächsischen Staatsregierung nur einige sehr nüchterne Dinge zu sagen; die großen Worte sind uns im vergangenen Jahr angesichts der Bitterkeiten dieser Umsiedlung vergangen.
Ich möchte zunächst feststellen: es ist die Auffassung der niedersächsischen Regierung, daß, wenn eine Aufgabe vor uns steht, über deren Größe wir uns alle einig sind und die durchzuführen wir auch alle täglich versichern, die Mittel gefunden werden müssen, um diese Aufgabe zu lösen.
Wir beobachten in der Frage der Umsiedlung seit Monaten mit großer Sorge eine Entwicklung, die sich etwa auf die Formel bringen läßt, daß zwar die Sache klar sei, aber die Mittel nicht zur Verfügung stünden, um der Sache gerecht zu werden, und daß insbesondere das Grundgesetz keine Möglichkeiten gebe, um die Umsiedlung so durchführen zu lassen, wie wir das alle wünschen. Es ist nicht ganz von der Hand zu weisen, daß in den Flüchtlingsländern und auch bei den Regierungen dieser Länder das Gefühl aufkommt, als ob erst durch die Interpellationen dieses Hohen Hauses und den vorgelegten Gesetzesantrag einer Fraktion dieses Hohen Hauses im Bundeskabinett eine neue Verordnung zustande gekommen sei, allerdings mit sehr viel geringeren Zahlen, als der Bundestag das bereits im Mai dieses Jahres wünschte. Ich muß dem Hohen Hause mitteilen, daß in dem zuständigen Ausschuß für Flüchtlingsfragen des Deutschen Bundesrates der Herr Vertreter der Bundesregierung weder für eine wirksame gesetzliche Grundlage der Umsiedlung noch für die notwendigen finanziellen Mittel, die die Durchführung der Umsiedlung sichern könnten, irgendwelche befriedigenden Erklärungen abgeben konnte.
Das hat unter uns in den Flüchtlingsländern und bei den Regierungen dieser Länder große Beunruhigung hervorgerufen. Der niedersächsische Landtag wird sich morgen mit der Frage der Umsiedlung beschäftigen, und ich habe vom Flüchtlingsausschuß dieses Landtages den besonderen Auftrag, vor dem berufenen Parlament des Bundes als dem politisch verantwortlichen Gremium für die Bundesrepublik mit aller Deutlichkeit festzustellen, daß, wenn die bisherigen gesetzlichen Maßnahmen nicht ausreichten, eben andere und neue Mittel gefunden werden müssen. Sollte die Bundesregierung erklären, daß auch der von der SPD vorgelegte Gesetzentwurf hier nicht die volle Möglichkeit gibt, das durchzuführen, was sie für nötig hält, dann muß eben ein anderer Weg gefunden werden, entweder auf dem Wege über die Bundesauftragsverwaltung oder, falls das notwendig erscheint, sogar durch eine Verfassungsänderung.
Ich bin der Auffassung, daß das Problem so ernst ist, daß wir uns hier nicht' hinter irgendwelche Gesetzeslücken zurückziehen können.
Es ist vor allen Dingen unmöglich — und ich habe das zu meinem Bedauern heute auch schon wieder aus einer Presseberichterstattung über eine Erklärung des Herrn Bundesvertriebenenministers zur Kenntnis genommen —, diese Frage immer weiter auf die Verhandlungen zwischen den einzelnen Ländern zu verweisen.
Wir können auf diesem Wege nicht weiterkommen, und wir werden hier an dieser Stelle die Verantwortlichkeit des Bundes und der Bundesregierung in ganz anderem Maße einschalten müssen, als es bisher geschehen ist,
und zwar weit über den Rahmen dieses Sachgebietes hinaus aus einer sehr ernsten Sorge, die wir aus unseren Ländern hier im Bundestag, glaube ich, doch einmal auch mit aller Deutlichkeit herausstellen sollten.
Wir hatten für das vergangene Jahr eine Rechtsverordnung über die Umsiedlung, eine Rechtsverordnung nach Art. 119, eine Rechtsverordnung mit Gesetzeskraft. Wenn Gesetze und Verordnungen des Bundes mit so wenig Wirksamkeit durchgeführt werden wie diese, dann ist die Glaubwürdigkeit der Bundesgesetzgebung als ganze in Frage gestellt.
— Man soll keine undurchführbaren Gesetze machen, sondern man soll dann nach Mitteln suchen, um sie durchführbar zu machen. Wir wünschten, Sie hätten ein Gefühl für die Bitterkeit, die in den Notstandsgebieten der Bundesrepublik an sich schon entstanden ist, als wir sahen, daß diese Länder seit Jahr und Tag — und das gilt für Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Bayern und einen Teil Hessens ja in gleichem Maße — Heimatvertriebene und Flüchtlinge aufgenommen haben und immer wieder aufgenommen haben, ohne daß ein Mensch aus einer zentralen Verantwortung heraus danach fragte, wie wir die Mittel dafür aufbringen könnten.
Wenn nun mit Recht — und wir haben dieses Recht zugebilligt — den Aufnahmeländern erhebliche Mittel für den sozialen Wohnungsbau und zur Arbeitsbeschaffung für die Vertriebenen zur Verfügung gestellt wurden, dann müssen wir — ich habe den Auftrag, auch das nicht nur namens meiner Regierung, sondern namens sämtlicher Parteien, die im Flüchtlingsausschuß in Niedersachsen vertreten sind, auszusprechen — dabei aber einen Weg vermeiden, der auch nur von weitem so aussieht, als ob die Durchführung von Bundesgesetzen honoriert wird.
Wir müssen darum die Erklärungen, die hier von einzelnen Bundestagsabgeordneten und von dem Herrn Ministerpräsidenten des Landes Schleswig-Holstein abgegeben worden sind, mit allem Nachdruck unterstreichen. Ich darf hier erklären, daß die niedersächsische Regierung und der niedersächsische Landtag in völliger Einmütigkeit in seinen Parteien sich vor dle Frage gestellt sehen, ob sie überhaupt noch die Verantwortung für eine Umsiedlung übernehmen können, wenn sie etwa auf demselben Gleise weiterlaufen sollte wie bisher. Wir müssen das Hohe Haus bitten, bei den Ausschußberatungen auf Mittel und Wege zu sinnen, um sowohl durch eine gesetzliche Fundamentierung wie durch die finanziellen Möglichkeiten uns einen Weg zu schaffen, der die Verantwortlichkeit des Bundes klar herausstellt und der uns in den Flüchtlingsländern 'einige Gewähr dafür gibt, daß wir — mögen wir politisch stehen, wo wir wollen — mit der Gesamtlage in diesen Ländern überhaupt noch fertig werden können.
Ich bitte das Hohe Haus, diese Frage so ernst zu nehmen, wie sie ist. Wenn der Herr Bundesminister des Innern glaubte, für das Land Niedersachsen von dieser Stelle aus die Erklärung abgeben zu können, daß in einigen Gebieten dieses Landes die Voraussetzungen des Art. 91 des Grundgesetzes gegeben seien, dann kann ich als Flüchtlingsminister und im Zusammenhang mit unserer 'heutigen Sachfrage nur sagen, daß solche Voraussetzungen in den Flüchtlingsländern allerdings eintreten können, wenn die sozialen Spannungen weiter so wachsen, wie sie zur Zeit vor uns stehen.
Daraus ergibt sich die Verantwortung, vor der wir heute im Bund und in den Ländern gemeinsam stehen.