Rede von
Hans
Ekstrand
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Vor zirka einem halben Jahre wurde in diesem Hause beschlossen, daß 600 000 Flüchtlinge umgesiedelt werden sollen. Die Regierung hat eine Verordnung erlassen, nach der in diesem Jahre 300 000 Flüchtlinge zur Umsiedlung kommen sollen. Die Zahl ist nicht erreicht; zirka 220 000 Menschen sind umgesiedelt worden, und es fehlen noch 80 000. Heute morgen ging durch die Presse eine Notiz, daß das Kabinett gestern beschlossen habe, daß im nächsten Jahre nur 200 000 Flüchtlinge umgesiedelt werden sollen, also die Zahl des hier getroffenen Beschlusses bei weitem nicht erreicht wird. Auf eine Anfrage der Bayernpartei, die sich mit der Umsiedlung der Heimatvertriebenen aus den Ländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern beschäftigte, antwortete der Minister, daß die Zahl nicht erreicht werden könne, weil die sogenannten Aufnahmeländer erheblichen Widerstand gegen die Aufnahme von Ostvertriebenen leisteten. Ich will gern zugeben, daß es für die Aufnahmeländer eine bedeutende Schwierigkeit ist, nun für eine Unterbringung zu sorgen, zumal dann, wenn sie selber die Tragik derjenigen nicht kennen, die in den überbelasteten Ländern unter so unendlichem seelischem wirtschaftlichem und moralischem Druck leiden, weil diese Länder einfach nicht das genügende Verständnis für eine derartige Notlage aufbringen können. Mir scheint aber, daß die Aufnahmeländer, wenn sie mit der nötigen Initiative an dieses Problem herangehen würden und wenn sie einmal versuchen würden, sich in die Mentalität der Flüchtlinge in den überbesetzten Ländern einzufühlen, es doch fertigbringen müßten, über das bisher Geleistete hinauszukommen. Aber eben weil die Regierung und besonders der Bundesminister für Vertriebenenfragen nur auf dem Verordnungswege Maßnahmen ergreifen kann, hielten wir es für notwendig, durch die Schaffung eines besonderen Gesetzes ihm bei seiner Arbeit das nötige Rückgrat zu schaffen, und haben wir Ihnen daher heute den Entwurf dieses Gesetzes vorgelegt.
Mein Kollege Edert hat hier ja schon in ausreichender Weise und mit genügendem Zahlenmaterial dargelegt, wie es im Lande SchleswigHolstein aussieht. Niedersachsen und Bayern sind in dem gleichen Maße betroffen, wie wir es sind. Das ganze Problem ist nicht nur ein Problem von Zahlen oder von wirtschaftlichen Erwägungen, sondern mir scheint, ,daß dabei doch einmal das Menschliche in den Vordergrund gerückt werden muß.
Ich hatte kürzlich einmal ein Erlebnis. Auf der Straße passierte ein Unfall. Der Verletzte krümmte sich in Schmerzen, und die Zuschauer waren ihrer eigenen Mentalität nach verschiedener Auffassung. Einige interessierte der Unfall überhaupt nicht. Sie gingen achselzuckend davon. Andere waren der Auffassung, daß der Verletzte sich nur anstelle, und andere wieder hatten ein tiefes Mitleidsgefühl. Ein Beweis dafür, daß Schmerzen immer nur der empfindet, der tatsächlich Schmerzen hat. Diese überlasteten Flüchtlingsländer haben nicht nur als Länder Schmerzen, sondern die Menschen, die von dieser Überbelastung betroffen werden, haben die wirklichen Schmerzen und wissen nicht ein noch aus, wie sie von diesen Schmerzen befreit werden sollen.
Ich darf vielleicht einige Beispiele aus meinem Wahlkreise nennen. Auf 68 000 Einheimische kommen 78 000 Flüchtlinge, in einem Kreis rein ländlichen Charakters; in dem sich keine Großstadt befindet. Alle diese Menschen wohnen 'hoffnungslos auf Dörfern, haben keine Aussichten auf Arbeitsmöglichkeiten, haben keine Aussicht auf einen erweiterten Wohnraum. Sie sind praktisch sich selbst überlassen und hoffen nur auf die Aufnahmeländer, wenn sie bereit sind, ihre Last ihnen abzunehmen, damit ihr Los etwas leichter wird. Im Lande Schleswig-Holstein allein haben sich im Jahre 1949 aus dieser Überbelastung 11 740 Räumungsklagen ergeben. Jedem wird es einleuchten, daß in den fünf Jahren, in ,denen diese Länder verzweifelt um einen Flüchtlingsausgleich kämpfen, nicht nur die Familien durch die Familienzusammenführung gewachsen sind, sondern daß sich auch, durchaus verständlich, die Familien durch Neugeborene vergrößert haben. Die Folge davon ist, daß heute Menschen nicht nur in unzureichenden Wohnräumen untergebracht sind, sondern daß sie sogar in Geschirrkammern, auf Komböden, ja sogar in Kuhställen und Scheunen wohnen, weil diese überbelasteten Länder einfach nicht mehr in der Lage sind, dieses Problem noch einmal zu lösen.
Täglich, möchte ich sagen, sind Vertreter der Gemeinden oder der Kreise unterwegs, um zu versuchen, ,die größte Not zu lindern, fünf Jahre lang, Tag für Tag, und doch immer wieder abends praktisch mit leeren Händen 'dastehend und sich vergeblich bemühend, nur die dringendsten Fälle überhaupt einmal zu bereinigen. Ich möchte von dieser Stelle aus einmal diesen Menschen danken, die nun immer wieder bereit sind, Tag für Tag das gleiche zu tun, um die Not zu lindern. Ehepaare werden für absehbare Zeit nicht in einem eigenen Wohnraum wohnen können; sie leben nach wie vor getrennt bei ihren Eltern. In meinem Landkreis ist es schon zum Totschlag gekommen, weil Familien in Wohnräumen untergebracht sind, die nur durch den Wohnraum anderer Familien zugänglich sind.
Ich weiß, daß die Aufnahmeländer gute Gründe für die Verweigerung der Aufnahme von Flüchtlingen anführen; sie erklären, daß auch bei ihnen der nötige Wohnraum nicht zur Verfügung stehe, aber sie hätten nicht die Absicht, etwa den Flüchtlingen in ihren Ländern nun das gleiche Los zu bereiten, das sie jetzt in den überbesetzten Ländern getragen haben. Sie wollen beschleunigt Wohnraum beschaffen. Das ist schön und gut; und sicher wäre das die weitaus beste Lösung, wenn es möglich wäre, in absehbarer Zeit den benötigten neuen Wohnraum zu schaffen. Das wäre für die Flüchtlinge sicher die zweckmäßigste Lösung. Wenn aber die überbelasteten Länder diese Entwicklung abwarten wollten, wenn sie darauf warten wollten, daß in dem Tempo, wie es bisher üblich gewesen ist, neuer Wohnraum geschaffen wird, dann würde man den überbelasteten Ländern wahrscheinlich nur die neugeborenen Kinder abnehmen können. Das Problem selbst aber, vor das wir uns gestellt sehen, wäre damit nicht zu lösen.
Mir scheint, daß durch den vorgelegten Entwurf eines Flüchtlingsgesetzes doch die Grundlage dafür geschaffen werden 'kann, daß auf diesem Gebiete etwas mehr getan wird. Ich glaube auch, daß dieser Gesetzentwurf, der Ihnen heute von
meiner Fraktion vorgelegt wird, noch ausbaufähig ist und daß er auch noch ausgebaut werden muß. Ich bin der Auffassung, daß dieser Gesetzentwurf, wenn er in der dritten Lesung dem Hause vorgelegt werden wird, durch die Beratungen im Ausschuß so vollkommen ausgestaltet sein muß, daß der Zweck, der damit erreicht werden soll, tatsächlich auch erreicht wird, nämlich die Not, die in den Ländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern herrscht, nun auch tatkräftig zu lösen. Es kann nicht so weitergehen wie bisher, daß in diesen Ländern die Kinder und die Jugendlichen in Barackenlägern untergebracht sind und in einem Elend groß werden, das unter Garantie niemals die Grundlage dafür bieten kann, daß diese Jugendlichen einmal gute Staatsbürger Deutschlands werden. Wer die Barackenläger in diesen Ländern kennt, der weiß, daß die Familien seit Jahr und Tag zusammenhausen, getrennt nur durch dünne Wände, daß die Baracken verwanzt sind, ja daß sie, weil sie überaltert sind, zerfallen und langsam sich selbst auflösen. Wer diese Barackenläger kennt, der weiß, daß unter solchen Verhältnissen kein gesunder Nachwuchs gedeihen kann. Und wer die Zahlen 'der erwerbslosen Jugendlichen in den überbelasteten Ländern kennt, der weiß, daß diese Menschen, die schon in frühester Jugend ohne jede Hoffnung darauf, einmal einen Beruf ausüben zu können, leben müssen, von vornherein einer gesunden politischen Entwicklung Deutschlands verloren gehen werden.
Es sind viele Dinge organisiert worden. Es sind neue Organisationen gebildet worden, die sich mit dem moralischen Problem Deutschlands beschäftigen. Ich denke zum Beispiel an die Bewegung der moralischen Aufrüstung. Mir scheint, daß hier der erste und der notwendigste Schritt, der zu einer moralischen Aufrüstung führen kann, getan werden muß.
Vor nicht allzu langer Zeit hat im Ruhrgebiet eine Kirchentagung stattgefunden, die unter dem Motto stand: Rettet den Menschen! Mir scheint, daß diese Menschen zuerst gerettet werden müssen. Wir brauchen diese Menschen für Deutschland; sie müssen in den Volkskörper eingegliedert und zu einem Volksganzen werden. Mir scheint, daß die Lösung dieses Problems nicht auf die lange Bank geschoben werden darf, sondern daß es eine dringende Notwendigkeit ist, an die Bearbeitung dieser Angelegenheit heranzugehen, damit wir endlich zu einem Ziele kommen.
Zu diesem Problem gehört auch ein gerechter Lastenausgleich, ein gerechter Ausgleich der menschlichen Not. Ich beantrage deshalb namens meiner Fraktion, diesen Antrag dem Ausschuß für Heimatvertriebene zu überweisen.