Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung eine Neuordnung der Besitzverhältnisse in den Grundstoffindustrien angekündigt. Er gab dieser Ankündigung eine konkrete politische und soziale Tendenz durch die Bemerkung, daß diese Neuordnung durch die „soziale und gesellschaftspolitische Anerkennung der Arbeitnehmerschaft" notwendig sei. Dies Versprechen ist bis heute nicht eingelöst worden, obwohl der Bundestag am 8. Februar durch eine Entschließung nochmals ausdrücklich eine Vorlage zur Neuordnung der Eigentumsverhältnisse im Kohlenbergbau gefordert hat.
Es ist wert, an die kurze, aber sehr aufschlußreiche Diskussion zu erinnern, die damals geführt wurde. Der Kollege Blank von der CDU faßte diese Ankündigung im Sinne der Forderungen des Ahlener Programms der CDU auf, wonach Bergbau und Eisenindustrie „auf dem Wege der Vergesellschaftung in die Form der Gemeinwirtschaft" übergeführt werden sollen. Seine Rede fand damals heftigen Widerspruch bei den Koalitionspartnern der CDU. Es waren die Herren Euler und von Merkatz, die sich mit aller Leidenschaft dagegen wandten. Herr Euler besonders machte geltend, daß sich seit der Aufstellung des Ahlener Programms andere Entwicklungen durchgesetzt hätten. Unter Berufung auf das Wahlergebnis zum Bundestag stellte er fest, daß das deutsche Volk ganz eindeutig Stellung bezogen habe. Ich darf Herrn Euler daran erinnern: In einer der letzten Sitzungen des alten hessischen Landtages fand eine Sozialisierungsdebatte und -Abstimmung statt. Die Abstimmung verlief bei Stimmengleichheit negativ. Die Neuwahl in Hessen hat bewiesen, daß sich wieder „andere Entwicklungen" durchgesetzt haben und daß in diesem Fall das hessische Volk
ganz eindeutig Stellung bezogen hat.
Nach dieser Begründung müßte man annehmen dürfen, daß Herr Euler unserem Antrag heute aufgeschlossener gegenübersteht.
Aber das nur nebenbei.
Auch die Aufforderung durch den Bundestag blieb bis heute unbeantwortet. Ich will nicht behaupten, daß die Regierung in Untätigkeit verharrt. Man wird ihr sogar zuerkennen müssen, daß sie gegenwärtig auf diesem Gebiet sehr emsig ist, ihre kundgetane Absicht, den Hohen Kommissaren Vorschläge für die Durchführung des Gesetzes Nr. 27 zu machen, baldigst durchzuführen. Aber, meine Damen und Herren, was uns darüber bekannt ist, läßt kaum noch einen Zweifel daran, daß die Regierung bei dieser Neuordnung, wie sie sie auffaßt, sich so stark für die Wiederherstellung des Gestrigen und damit für eine Art Wiedergutmachung gegenüber den Altkonzernen einsetzt, daß für die Erfüllung des Versprechens, die Neuordnung im Sinne der „sozialen und gesellschaftspolitischen Anerkennung der Arbeitnehmer" durchzuführen, einfach kein Raum bleibt. Diese Sorge besteht nicht nur im Lager meiner Partei. Ich könnte dafür ganz interessante Beispiele geben. Ich will mich jedoch auf die Forderung beschränken, daß man über die soziale und gesellschaftspolitische Anerkennung der Arbeitnehmerschaft nicht nur redet, sondern daß man sie auch respektiert.
Von wem läßt sich die Regierung bei diesen Verhandlungen beraten? Man muß bis jetzt den Eindruck haben, in erster Linie und hauptsächlich von den Reprasentanten der Altkonzerne. Ich muß bedauernd feststellen: in dem Willen und Bemühen, den Kreisen der Altkonzerne zu Diensten zu sein, liegt Methode. Erinnern wir uns: der Herr Bundeskanzler fühlte sich nicht zu gering, Briefbeförderer für einen Kreditvorschlag der Vereinigten Stahlwerke zu sein.
Bei der Zusammensetzung des ersten Schumanplan-Ausschusses hatte man die Gewerkschaften völlig übersehen. Jetzt ist wieder die einseitige Bevorzugung der Konzernvertreter festzustellen.
Der Versuch zu einer sogenannten Neuordnung unter starker Heranziehung der Altkonzernleitungen als Faktor der Beratung wie der Durchführung — obwohl diese Neuordnung an die Stelle der Altkonzerne treten soll — und unter Zurücksetzung der Gewerkschaften — obwohl diese Neuordnung mit der Begründung der sozialen und gesellschaftspolitischen Anerkennung der Arbeitnehmerschaft angekündigt wurde — muß von vornherein größtes Mißtrauen hervorrufen.
Dieses Mißtrauen wird zweifellos noch durch die klar erkennbare Tatsache verstärkt, daß die Regierung bestrebt ist, den Konzernbesitz möglichst zusammenzuhalten, unter Zurückstellung volkswirtschaftlicher Interessen, die die Neubildung von Betriebseinheiten unbekümmert um die bisherige Konzernzugehörigkeit erwünscht sein lassen.
Unser Wollen ist nicht nur auf eine gleichberechtigte Einschaltung der Gewerkschaften gerichtet. Unbekümmert sogar darum, wie man sich dazu stellt, müßte anerkannt werden, daß es sich bei Festlegung der Grundsätze für die Durchführungsbestimmungen zum Gesetz Nr. 27 doch auch um politische Entscheidungen handelt, die in den Aufgabenbereich des Bundestags gehören.
Die Regierung müßte es für eine selbstverständliche Verpflichtung gegenüber Parlament und Volk halten, ihre Auffassung über die Neuordnung, auch soweit sie im engeren Rahmen des Gesetzes Nr. 27 enthalten ist, dem Parlament vorzutragen und mit
ihm eine Verständigung herbeizuführen, ehe sie mit konkreten Vorschlägen an die Hohen Kommissare herantritt.
Es bleibt festzustellen, daß bis jetzt weder eine gebührende Heranziehung der Gewerkschaften zu den Vorberatungen erfolgt ist, noch daß der Bundestag unterrichtet und eingeschaltet wird. Das allein schon — ich wiederhole es — muß Mißtrauen erwecken, zumal begründeter Anlaß zu der Vermutung vorliegt, daß die Regierung im Benehmen mit den Altkonzernleitungen Vorschläge an die Hohen Kommissare erwägt, wonach die Regierung bzw. die Ministerialbürokratie Vollmachten in Fragen erhalten sollen, bei denen es sich um die Festlegung von Grundsätzen handelt, die als politische Entscheidung der Gesetzgebung vorbehalten bleiben müssen.
Wir legen jetzt schon Verwahrung dagegen ein, daß man Fragen der Gesetzgebung, deren Entscheidung dem Bundestag zusteht, zu bloßen Ermessensfragen zu bagatellisieren versucht, über die der Minister bzw. die Ministerialbürokratie zu bestimmen haben soll. Auf Grund verschiedener Veröffentlichungen ist anzunehmen, daß in den Durchführungsbestimmungen auch Aktienangelegenheiten, sei es Austausch von Aktien oder Neuausgabe oder Entschädigung, eine Regelung finden sollen. Darüber aber müßte doch eigentlich Einmütigkeit bestehen, daß diese Frage nur im Zusammenhang mit der Regelung der Eigentumsfrage gelöst werden kann. Sowohl nach dem Gesetz Nr. 75 wie nach dem Gesetz Nr. 27 steht die Entscheidung ausschließlich den zuständigen deutschen Instanzen zu. Das müßte die Regierung auch den Alliierten gegenüber ganz deutlich zum Ausdruck bringen.
Andererseits ist ebenso klar 'hervorzuheben: Die Regelung der Eigentumsfrage ist ein gesetzgeberischer Akt; zuständig ist der Bundestag.
Bei der Beurteilung dieser Fragen müßte entscheidender Wert auch darauf gelegt werden, daß klar ersichtlich wird, für was die Hohen Kommissare die Verantwortung tragen und für was die deutschen Stellen verantwortlich zu zeichnen haben. Bei dem Verfahren, wie es die Regierung bislang einschlägt, wird diese klare Herausstellung nicht erreicht, und sie bringt sich unter Umständen selbst in den Verdacht, über Gebühr und über Notwendigkeit Organ der Hohen Kommissare zu sein.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich schließlich noch einen kritischen Punkt berühren. Er betrifft das Mitbestimmungsrecht. Wir sind der Auffassung, daß das Mitbestimmungsrecht für die Grundstoffindustrie im Rahmen der Neuordnung der Grundstoffindustrie zu klären ist. Hier ist eine ganz besondere Lage, die es nicht ratsam sein läßt, diese Frage bis zu dem allgemeinen Gesetz über das Mitbestimmungsrecht zurückzustellen. Wenn irgendwo, dann muß hier eine Mitbestimmung gesichert werden, die nicht nur durch Belegschaftsvertretungen zu erfolgen hat, sondern auch durch die Anteilnahme der Gewerkschaften als den verantwortlichen Mitträgern unseres Wirtschaftslebens.
Wir haben in 'den entflochtenen Betrieben der Hüttenindustrie paritätisch zusammengesetzte Aufsichtsräte. Ich glaube, es wird keinen Menschen geben, der geltend machen könnte, daß diese Aufsichtsräte die Bewährungsprobe nicht bestanden hätten.
In Verbindung mit den Arbeitsdirektoren ist zweifellos ein viel engeres Vertrauensverhältnis zwischen Leitung und Belegschaft herbeigeführt worden. Die Spatzen pfeifen es aber von den Dächern, daß diese Mitbestimmung wieder beseitigt werden soll. Man kann sich dabei des Eindrucks nicht erwehren, daß es Kreise gibt, die sich von der Spekulation leiten lassen, man könnte die Belegschaften gegen die Gewerkschaften ausspielen. Für diejenigen, die es angeht, sollten die Abstimmungen in der Hüttenindustrie eine eindeutige Warnung sein.
Hier haben die Belegschaften mit entschieden, daß sie auch die Gewerkschaften bei dieser Mitbestimmung mit tätig sehen wollen.
Was in den entflochtenen Werken der Hüttenindustrie geschaffen wurde, muß auch für den Kohlenbergbau Beispiel sein. Und diese Regelung muß mindestens solange erhalten bleiben, bis eine endgültige Regelung der Eigentumsverhältnisse vorliegt.
Meine Damen und Herren, zum Thema der Gemeinwirtschaft will ich mich heute nicht ausführlich äußern. Dazu wird Gelegenheit sein, wenn die entsprechenden Gesetze vorgelegt werden. Aber damit es den Herren, und insbesondere de Herren in der Regierung, nicht so schwer fällt, will ich doch einige Erinnerungen bringen.
Das Ahlener Programm beginnt mit der Feststellung: „Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden."
Und dieser Feststellung gegenüber wird dann eine positive Forderung aufgestellt: „Durch ei e gemeinwirtschaftliche Ordnung soll das deutsche Volk eine Wirtschafts- und Sozialverfassung erhalten, die dem Recht und der Würde des Menschen entspricht, dem geistigen und materiellen Aufbau unseres Volkes dient und den inneren und äußeren Frieden sichert."
Ich darf feststellen, daß ich selber von Herrn Adenauer hörte, daß er und die ganze CDU sich auf dieses Programm verpflichtet fühlen. Ich würde sehr gerne sehen, daß das nicht nur eine Äußerung von damals war, sondern etwas ist, was auch heute noch gilt.
Ich darf noch eine andere Äußerung des Herrn Kollegen Adenauer bzw. des Herrn Bundeskanzlers Adenauer zur Eigentumsfrage erwähnen, die allerdings auch schon 1946 ausgesprochen ist: „Das Eigentumsrecht verdient den gleichen Schutz und erleidet die gleichen Einschränkungen wie andere Rechte. Es hat zu weichen gegenüber einem nach ethischen Grundsätzen höheren Recht." In diesem Fall völlige Übereinstimmung — unsererseits sogar eine echte — mit Herrn Dr. Adenauer.
Aber damit sich der Herr Dr. Adenauer als Bundeskanzler nicht bedrängt und nicht geniert fühlt gegenüber seinem Nachbar auf der Regierungsbank, möchte ich auch noch eine kleine Erinnerung an eine Stellungnahme des damaligen Herrn Abgeordneten Blücher, der heute Vizekanzler ist, im nordrhein-westfälischen Landtag bringen. Wir hatten am 23. und 24. Januar 1947
eine Sozialisierungsaussprache. Dabei erklärte der Herr Abgeordnete Blücher: „Was die Kohle betrifft, so wissen wir gut: es kann nicht sein; daß dieser ausgesprochene Mangelrohstoff, dieses wertvolle Erzeugnis deutschen Bodens, etwa so behandelt wird wie eine andere Produktion."
Er kündigte entsprechende Vorschläge an und legte dann die feierliche Versicherung ab: „Seien Sie jedoch versichert, da, wo die Zechen nur noch in der Hand eines namenlosen Kapitals waren, können sie auch nach unserer Ansicht nicht reprivatisiert werden."
Er unterstrich diese Feststellung noch durch einen besonderen Satz: „Sie werden uns nicht auf kapitalistischen Schleichpfaden finden!"
Meine Damen und Herren! Ich könnte eigentlich eine besondere Anerkennung beanspruchen, daß ich Sie in einem solchen entscheidenden Augenblick vor „falschen Pfaden" — gemäß den Versicherungen des Herrn Blücher — zu bewahren versuche.
Aber ich will auf eine Anerkennung verzichten; mir genügt es, wenn Sie mithelfen, Herrn Blücher auf den richtigen Weg zu bringen. Bitte, stimmen Sie deshalb unserem Antrag zu!