Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer mit der gebotenen Objektivität an den Verhandlungen im Wirtschaftsausschuß über die Erhöhung des Kohlen- und Stahlpreises teilgenommen hat, wird mir bestätigen müssen, daß die Beschlüsse dieses Ausschusses nicht auf Grund sorgfältiger Prüfungen gefaßt werden konnten, sondern daß die vorgeschlagenen Preise mehr oder minder über den Daumen gepeilt werden mußten. Sie mußten über den Daumen gepeilt werden, weil die von der Verwaltung vorgelegten Unterlagen nicht nur völlig unzureichend waren, sondern weil sie sich auch bei einer genaueren Durchleuchtung als nicht stichhaltig erwiesen. Aus diesen nicht stichhaltigen Unterlagen ergeben sich auch die stark voneinander abweichenden Vorstellungen über den Umfang der Preiserhöhungen.
Die Deutsche Kohlenbergbauleitung hatte eine Preiserhöhung von etwa 12,50 DM je Tonne Inlandsabsatz gefordert. Das Bundeswirtschaftsministerium hat diesen Preisvorschlag ermäßigt auf 6 DM die Tonne. Der Wirtschaftspolitische Ausschuß des Bundestages hat sich dann auf 4,50 DM je Tonne herunter-„gepeilt". Der Fachausschuß des Bundesrats ist auf Grund wiederum anderer Berechnungen auf 4,87 DM gekommen. Daraufhin hat sich der wirtschaftspolitische Ausschuß des Bundestags erneut mit dieser Frage beschäftigt,
seinen Beschluß umgestoßen und die Erhöhung von 4,50 DM auf 4,80 DM festgesetzt. Neuerdings wird wieder ein Preis von 4,50 DM vorgeschlagen.
Wenn wir uns diese Bewegung in Form einer Kurve vorstellen, dann ergibt sich: von 12,50 DM ist man auf 6 DM, auf 4,50 DM heruntergegangen, hat auf 4,87 DM erhöht, hat auf 4,80 DM und dann schließlich auf 4,50 DM abgesenkt. Das ist doch eine ziemlich bizarr verlaufende Preiserhöhungskurve.
Ähnlich lagen die Verhältnisse bei den Stahlpreisen. Die Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie hatte zunächst eine Erhöhung des Preises für Walzwerkerzeugnisse um 38,85 DM je Tonne verlangt. Das Bundeswirtschaftsministerium ermäßigte diese Erhöhung auf 30 DM je Tonne. Der wirtschaftspolitische Ausschuß peilte sich auf 26,50 DM herunter, und der Fachausschuß des Bundesrates ermittelte 28 plus 2, also 30 DM. Der wirtschaftspolitische Ausschuß des Bundestages ging jetzt wiederum von seinem ursprünglichen Entschluß ab und erhöhte auf . 28 plus 2, also auf 30 DM. Hier haben wir eine ähnliche bizarr verlaufende Preiskurve von 38,85, herunter auf 30 DM, auf 26,50 DM, wieder erhöht auf 28 bzw. 30 DM und dann wieder angepaßt auf 28 DM.
Diese außerordentlich bizarren Preiserhöhungskurven scheinen mir ein schlüssiger Beweis dafür zu sein, daß der Bundestag Hals über Kopf eine Preiserhöhung beschließen soll, deren Höhe und Notwendigkeit aus dem vorgelegten dürftigen und nicht stichhaltigen Zahlenmaterial keineswegs zu begründen ist. Wenn den Vorschlägen des wirtschaftspolitischen Ausschusses stattgegeben werden sollte, dann sind für Kohle und Stahl Preiserhöhungen im Betrage von mindestens 600 Millionen DM jährlich erforderlich, und ich muß hier schon in aller Öffentlichkeit feststellen, laß derartige Preiserhöhungen von der Verwaltung —entschuldigen Sie bitte den etwas harten Ausdruck! — mit einer Oberflächlichkeit begründet werden, die einfach nicht tragbar ist. Leider erlaubt mir die Kürze meiner Redezeit nicht, auf Einzelheiten einzugehen. Auf verschiedene Tatbestände werde ich mir aber im Laufe meiner weiteren Ausführungen zurückzukommen erlauben.
Genau so, wie es mir erforderlich erschien, darauf hinzuweisen, daß das -vorgelegte Zahlenmaterial die Notwendigkeit und die Höhe der Preissteigerung nicht schlüssig beweist, scheint es mir notwendig, darauf hinzuweisen, daß die Kostenverteuerungen im Kohlenbergbau zu einem wesentlichen Teil darauf zurückzuführen sind, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister unseren wertvollen Rohstoff Kohle in einer nicht zu verantwortenden Weise in den Dienst seiner Politik der freien Wirtschaft einbezogen hat.
Mein Parteifreund Dr. Koch hat in der Aussprache über die Kohlenversorgungslage schon eindrucksvoll darauf hingewiesen, daß man in diesem Sommer im Ruhrgebiet geradezu von einer Kohlenschwemme sprechen konnte und daß erhebliche Mengen auf Halde genommen werden mußten. Dann kam die Koreakrise. Sie führte zu den bekannten konjunkturellen Belebungen. Alle Länder deckten sich damals mit Kohle ein und trieben eine Kohlenvorratswirtschaft. Der Herr Bundeswirtschaftsminister machte genau das Gegenteil. Um aus der durch die Liberalisierung des Außenhandels entstandenen Dollarklemme herauszukommen, wurden Kohlen exportiert und unsere Haldenbestände geräumt.
Ohne wesentliche Vorräte sind wir in die Herbstsaison mit einem gesteigerten Kohlebedarf hineingegangen. So kam zu der n i c h t behobenen Dollarklemme jetzt noch die Kohlenversorgungskrise. Um diese Krise zu beseitigen, muß der Kumpel Sonderschichten verfahren, und durch diese Sonderschichten entsteht ein Teil der Mehrkosten, der jetzt von dem Verbraucher bezahlt werden soll.
Im übrigen dürfen wir bei dieser Gelegenheit erneut feststellen, daß nicht die Lohnerhöhung im Bergbau die Ursache der Kostenerhöhung ist, sondern daß die Lohnerhöhung zwangsläufig bedingt ist durch Preisauftriebstendenzen, die sich aus der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung ergeben.
Wir sind der Meinung, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß Sie die neuen Preiserhöhungen zu einem Zeitpunkt ankurbeln, der für die gesamte Preisbewegung psychologisch außerordentlich gefährlich ist. Daran ändert auch nichts die Tatsache, daß die Bundesregierung es sich nicht hat nehmen lassen, auch in diesem Falle der Beschlußfassung des Bundestages vorzugreifen. Sowohl der Herr Vizekanzler als auch der Herr Bundeswirtschaftsminister haben seit Wochen in ihren Reden die Kohlenpreiserhöhung verbindlich in Aussicht gestellt, und ich bin der Meinung, daß ihre Mitteilungsfreudigkeit mit dazu beigetragen hat, daß die Kohlen zurückgehalten werden und daß einer Hortungspolitik wieder Tür und Tor geöffnet wird. Die Folge dieser Hortungspolitik ist, daß der Hausbrand und die Industrie seit etwa drei Wochen nicht mehr beliefert werden und daß sich daraus unerträgliche Spannungen im Wirtschaftsleben ergeben.
So treffen in diesem psychologisch gefährlichen Zeitpunkt mit der nervösen Zuspitzung des Marktes nicht nur die verteuerten Importe, nicht nur die beabsichtigten Tariferhöhungen der Bundesbahn und die geplanten Preiserhöhungen für Treibstoff aufeinander, sondern es gesellen sich dazu die wesentlich höheren Kohlen- und Stahlpreise. Ich glaube, es sollte für jeden Einsichtigen klar sein, daß aus einer so spannungsgeladenen Atmosphäre sich eine Preisbewegung entwickeln muß, die in steigendem Maße quer durch das gesamte Wirtschaftsleben laufen wird. Heute schon liegen die Verordnungen für eine Erhöhung der Preise für Gas und Strom fix und fertig im Tischkasten des Herrn Bundeswirtschaftsministers.
Es ist nach meiner Auffassung als geradezu weltfremd zu bezeichnen, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister in einer seiner vielen Tabellen den Nachweis zu führen versucht, daß die Kohlenpreiserhöhunginsgesamt nur eine Verteuerung von 0,62 % ausmacht. Ich möchte die Fehlerhaftigkeit dieser Theorie schon auf der ersten Fertigungsstufe nachweisen.
Nach einer Faustregel in der Stahlindustrie braucht man für eine Tonne Walzwerkserzeugnisse drei Tonnen Kohle. Wenn sich der Preis für die Tonne Kohle um 4,80 DM erhöht, dann ergibt das eine Weitergabe der Verteuerung um 14,40 DM.
Der Stahlpreis wird aber um 30 DM, d. h. auf das Doppelte erhöht. Wenn wir von der prozentualen Erhöhung ausgehen, dann ergibt sich nach der Tabelle des Herrn Bundeswirtschaftsministers eine Steigerung von 3,27 0/o, während die effektive Steigerung durch die Stahlpreiserhöhung etwa 10 °/o, d. h. mehr als das Dreifache davon ausmacht. Und so wie das in der ersten Verarbeitungsstufe der Fall ist, so wird sich das in den anderen, weiteren Verarbeitungsstufen noch verstärkt fortsetzen.
Ich glaube, daß sich hier eine Preiswelle ergeben wird, die zu einer wesentlichen Verteuerung besonders der letzten Bedarfsgüter führen muß. Steigende Preise bedeuten eine Verminderung des Reallohns. Die beabsichtigten Preiserhöhungen-
meine Damen und Herren, das möchte ich besonders den Gewerkschaftskollegen der Koalitionsparteien sagen —, diese beabsichtigten Kohlenpreiserhöhungen werden einen erheblichen Prozentsatz all der Lohnerhöhungen und all der Rentenverbesserungen, die wir im letzten Jahr durchsetzen konnten, illusorisch machen.
Angesichts dieser gefährlich psychologischen Momente warnen wir mit allem Nachdruck vor der Erhöhung der Grundstoffpreise in diesem Zeitpunkt.
Man kann uns entgegenhalten, daß die Erhöhung der Bergarbeiterlöhne in irgendeiner Weise verkraftet werden muß.
Es ist uns auch bekannt, Herr Kollege Preusker, daß es eine Reihe von Zechen gibt, die unrentabel arbeiten. Es ist uns aber auch bekannt, daß Vorschläge über eine Neuordnung der Kohlewirtschaft seit Monaten fertiggestellt sind. Wir möchten bei dieser Gelegenheit den Herrn Bundeswirtschaftsminister dringend bitten, daß er sich mit aller Energie für eine Realisierung dieser Vorschläge einsetzt, denn er wird dabei erfahren können, daß sich aus der Neuordnung des Kohlenbergbaus eine erhebliche Verbesserung gegenüber der heute bestehenden Verlustwirtschaft ergeben wird.
— Wir wissen auch, daß eine Reihe von Vereinfachungsmaßnahmen möglich sind, und das wird, glaube ich, nicht bestritten werden können.
Wir wissen auch, daß ein erheblicher Teil der Zechenbetriebe investitionsbedürftig ist. Wir haben auf die Notwendigkeit dieser Investitionen seit Jahr und Tag immer wieder hingewiesen und die Bereitstellung von Mitteln für die Grundstoffindustrien verlangt. Wir erheben auch heute erneut die Forderung, Investitionskredite für den Bergbau vorzusehen,
und wir möchten darum bitten, daß
bei der Vergebung der ECA-Mittel auch der Bergbau berücksichtigt wird. Wenn Sie fragen: „Woher?", dann ein kurzer Hinweis: Versuchen Sie bitte etwas konsequenter die Steuern einzuziehen, dann werden sie beträchtliche Mittel zur Verfügung haben.
Meine Damen und Herren! Aus den dargelegten Gründen: wegen der völlig unzureichenden und nicht stichhaltigen zahlenmäßigen Unterlagen, der psychologisch gefährlichen Wahl des Zeitpunktes der Preiserhöhung, der Möglichkeiten einer Verlustminderung durch eine Neuordnung der Kohlewirtschaft sehen wir uns veranlaßt, im gegenwärtigen Zeitpunkt eine Erhöhung der Kohlenpreise in dem vorgeschlagenen Umfange abzulehnen. Wir wünschen eine Gesundung des Bergbaus, aber wir wünschen, daß eine solche Gesundung durch eine vernünftige Neuordnungs- und Planungspolitik erreicht wird und daß sie nicht ausschließlich auf dem Rücken der Verbraucher zum Schaden der Gesamtwirtschaft durchgeführt wird.