Rede von
Hans
Tichi
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(WAV)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (WAV)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte vorweg erklären, daß ich nicht aus irgendeiner Gegnerschaft zum Bundesfinanzminister Schäffer spreche. Es geht darum, vor diesem Hause die von Schäffer angegriffene Ehre eines Mannes zu verteidigen, der mir parteipolitisch nahesteht. Es geht um den Landtagsabgeordneten Dr. A. Gille in Lübeck, einen der Führer des BHE in Schleswig-Holstein, Sprecher der Landsmannschaften, einen ehrenwerten, anständigen Menschen, den ich kenne.
Schon aus dem Bericht des Herrn Berichterstatters geht klar hervor, daß es sich nicht um eine übliche Beleidigungsbagatelle handelt, von der hier gesprochen worden ist, sondern daß es um mehr geht. Als Dr. Gille von den Angriffen des Bundesfinanzministers Schäffer erfuhr, hat sich folgender Briefwechsel ergeben:
Sehr geehrter Herr Bundesfinanzminister! Wie mir aus Kreisen der Heimatvertriebenen mitgeteilt wird, haben Sie auf einer Wahlkundgebung der CDU am 11. 6. 1950 in GronauWestfalen etwa folgendes geäußert:
Die Heimatvertriebenen mögen sich die Sprecher genau ansehen, die an Ihrem Verhalten und Ihren Äußerungen Kritik üben. So sei Ihnen beispielsweise von befreundeter Seite die Nachricht zugegangen, daß ein gewisser Dr. G. ein besonders übel beleumdeter Gestapo-Agent gewesen sei.
Da Ihre andeutende Bezeichnung auf meinen Namen zutrifft und ich seit Wochen in öffent-
lichen Versammlungen schärfste Kritik an Ihnen geübt habe, muß ich Sie bitten, den vollen Namen des Sprechers der Heimatvertriebenen zu nennen, dem Sie diesen diffamierenden Vorwurf machen wollen. Sie werden verstehen, daß ich angesichts des Wahlkampfes in Schleswig-Holstein Wert darauf legen muß, daß Sie unverzüglich den vollen Namen des Sprechers der Heimatvertriebenen nennen, den Sie als Gestapo-Agenten bezeichnet haben. Solange diese Klarstellung nicht erfolgt ist, beziehe ich den Vorwurf auf mich und nehme für mich das Recht in Anspruch, in öffentlichen Versammlungen diese hinterhältige Verleumdung gebührend zurückzuweisen.
gez. Dr. Gille.
Darauf antwortete Schäfer:
Es ist richtig, daß ich bei einer Wahlkundgebung der CDU in Gronau geäußert habe: „Ich bedaure, daß die Heimatvertriebenen sich ungeeignete Wortführer nehmen, die ihre Sache schlecht vertreten."
Es ist richtig, daß mir über Ihre Person im Zusammenhang mit der Rede, die Sie auf der ostdeutschen Woche gehalten haben, von einem Versammlungsteilnehmer ein Bericht zuging, der, wenn er richtig ist, Sie schwer belastet.
Es ist richtig, daß ich daraufhin die in dem Schreiben benannten Zeugen gehört habe und diese die Angaben des Schreibens bestätigt haben. Ich habe daraufhin die Unterlagen der Justizbehörde übergeben und ich bitte, die Nachprüfung abzuwarten.
gez. Schäffer.
Herr Dr. Gille hat darauf folgende Feststellung getroffen:
Aus dem Antwortschreiben des Bundesfinanzministers Schäffer entnehme ich folgendes:
Seine Bemerkung über den „besonders übel beleumdeten Gestapoagenten" bezog sich auf mich.
Herr Schäffer behauptet, im Besitz von Zeugenaussagen zu sein, die diese Angabe bestätigen, und erklärt, sein Beweismaterial der Justizbehörde zur Nachprüfung übergeben zu haben.
Ohne diese Nachprüfung abzuwarten, hat er es für vertretbar gehalten, mich in einer öffentlichen CDU-Wahlversammlung als übel beleumdeten Gestapoagenten zu bezeichnen.
Herr Schäffer dürfte sich darüber klar sein, daß er sich nunmehr wegen öffentlicher Verleumdung vor dem Strafrichter zu verantworten haben wird.
Die Heimatvertriebenen haben den Politiker Schäffer gewogen und zu leicht befunden. Es wird nunmehr auch in Kürze das Bild des Menschen Schäffer in die richtige Beleuchtung gerückt sein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Tatsache ist, daß alle Versammlungsteilnehmer der damaligen Kundgebung, wie Schäffer in der breiten Öffentlichkeit erklärt hat, der Überzeugung waren, es ginge nur um Dr. Gille, den er als übel beleumdeten Gestapoagenten bezeichnet hat. Sie werden verstehen, was es bedeutet, im Wahlkampf unter einer so schweren Beschuldigung zu kämpfen.
— Ich glaube, es könnte niemand den Mut haben, diese Sache hier zu vertreten und zu verteidigen.
Als nun im Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität über die Aufhebung der Immunität Schäffers verhandelt wurde, war dieser Sachverhalt nicht bekannt. Ausschlaggebend war jedoch die von dem Kollegen Kahn wiedergegebene Erklärung Schäffers, daß er nicht Dr. Gille, sondern Goetzendorff gemeint habe. Mir ist weiter bekannt, daß Schäffer wiederholt auch im privaten Verkehr Dr. Gille als denjenigen bezeichnet hat, den er damals gemeint hat. Es ist mir vollständig klar, daß eine solche Beschuldigung untragbar erscheint. Ich glaube, es wäre richtig gewesen, wenn der Herr Bundesfinanzminister Schäffer, nachdem er seinen Irrtum erkannt hat, daß er schlecht informiert worden war, zu Gille gegangen wäre und gesagt hätte: Ich bin schlecht informiert worden, ich ziehe meine Beschuldigung zurück. Er hat es nicht getan. Das sind Methoden, die wir unbedingt ablehnen müssen. Wenn Schäffer jetzt als den Blitzableiter seiner Beleidigung Goetzendorff nennt, dann ist zu sagen: es ist richtig, daß gegen Goetzendorff tatsächlich noch ein ähnliches Strafverfahren wegen irgendeiner Anzeige läuft. Aber das sind keine Methoden. Ich glaube, daß diese Verteidigung des Herrn Finanzministers Schäffer vollständig unfair und unrichtig ist. Das sind Methoden, die sich irgendein politischer Gangster erlauben kann, aber nicht ein Volksvertreter.