Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte, die hier eben geführt worden ist, gibt noch Gelegenheit zu einigen grundsätzlichen Bemerkungen. Zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen, daß die mit Recht hier angeführte Notlage der Gebiete um den Bayrischen Wald und daß die gefahrdrohende Lage für die industriellen Gebiete Ober- und Mittelfrankens
keinesfalls verkannt werden dürfen, daß es aber andererseits nach meiner Auffassung nicht richtig ist, wenn man diese Probleme immer nur regional sieht und regional behandelt. Die Verelendung und die Sorge um eine weitergehende Verelendung betrifft nicht nur jeweils die einzelnen Gebiete, über die hier debattiert wird, sondern sie betrifft den ganzen Bereich entlang des Eisernen Vorhangs und der Grenze zu den Satellitenstaaten im Osten. Sie betrifft die ganze Zone, die ich als „Schwarze Zone" bezeichnen möchte und die deshalb auch nur einheitlich gesehen und behandelt werden sollte.
Dieser Bereich liegt gewissermaßen im Vorfeld der großen Industriegebirge, die sich an RheinRuhr, Rhein-Main und im westlichen Süddeutschland emportürmen und die durch die jetzige Konjunkturentwicklung immer stärker heraufwachsen, während die davor liegenden Gebiete, die durch den Abbruch nach dem Osten begrenzt sind, immer stärker absinken und dadurch in immer größere Gefahren geraten. Dieses Problem kann man uns natürlich nicht dadurch etwa schmackhaft machen, daß man darauf hinweist, daß gewisse Industriebezirke dadurch geschädigt werden könnten, daß Industriebetriebe abwandern; denn meiner Ansicht nach läßt sich mit derartigen „Vorwärtsversicherern" keine Wirtschaftspolitik betreiben. Ich bin vielmehr der Auffassung, daß derartige Tendenzen schon aus gesamtpolitischen Gründen unbedingt zurückgewiesen werden müssen und daß wir uns diese Herren sehr eingehend ansehen sollten.
Aber wir müssen auch eine andere grundsätzliche Bemerkung in diesem Zusammenhang machen, und das ist die, daß es nicht die Bundesbahn sein kann, die die Schwierigkeiten in der Wirtschaftspolitik, die aus diesen politischen Gegebenheiten folgen, auffängt. Es ist durchaus denkbar, daß man Verkehrstarife als Impuls in der konjunkturellen Wirtschaftspolitik benützt, aber nur dann, wenn die Verkehrsunternehmen in sich so stark sind, daß sie wirklich die Möglichkeit haben, durch Gewährung von niedrigeren Tarifen eine Erhöhung des Umsatzes herbeizuführen, und so auf die Dauer dem Grundsatz Rechnung getragen wird, der schon seit vielen Jahrzehnten besteht, daß die niedrigen Tarife eine Quelle steigender Einnahmen und steigenden Wohlstandes sind. Das konnten wir in früheren Zeiten machen. Es ist aber heute deswegen unmöglich, weil das Tarifniveau so abgesunken ist, daß alle Verkehrsträger — nicht nur die Eisenbahn, sondern ebenso die Straße und die Wasserstraße — zu einer langsamen, aber sicheren Auszehrung der Substanz gezwungen werden. Deswegen sind diese Verkehrsträger, gleichgültig, welcher Art sie sind, nicht in der Lage, aus ihrer Tarifgestaltung heraus aus eigener Kraft die Lage zu beeinflussen.
Diese Erkenntnis soll nicht hindern, daß die Tarifpolitik unserer Verkehrsträger trotzdem auf solche Fragen Rücksicht nehmen muß. Der Herr Abgeordnete Dr. Zawadil hat darauf hingewiesen, daß sich die Bundesbahn mit einer ganzen Reihe von Erleichterungen — elf Maßnahmen insgesamt — für dieses hier besonders besprochene Gebiet eingesetzt hat. Darüber hinaus hat die Bundesbahn gerade diesen Gebieten — und ich meine, hier in einer entscheidenderen Weise — dadurch geholfen, daß sie von dem Kredit, der ihr für dieses Jahr zur Verfügung stand, einen sehr erheblichen Teil für Bauten und Materialbeschaffung in diesen Bezirken aufgewendet hat. Sie wird wahrscheinlich dazu im kommenden Jahr nicht wieder in der Lage sein, falls ihr nicht entsprechende neue derartige Kredite zur Verfügung gestellt werden sollten, wenn wir uns nicht entschließen, für diese Randgebiete zur Wirtschaftsförderung etwas Besonderes zu tun, und dabei auch die Verkehrsbelange nicht vergessen. Denn es ist hier mit Recht ausgeführt worden, daß es sich in diesen Gebieten um einen Verkehrsnotstand handelt und daß die Bekämpfung dieses Verkehrsnotstandes richtig angefaßt werden sollte.
Ich weiß, daß zur Zeit ein großer Bericht in Ausarbeitung ist, den die Industrie- und Handelskammern entlang des Eisernen Vorhangs gemeinsam verfassen und der Ihnen, meine Damen und Herren, in absehbarer Zeit zur Verfügung stehen wird, aus dem Sie eingehendes Material über den Gesamtbereich dieser schwarzen Zone sowohl nach der sozialpolitischen wie nach der wirtschaftspolitischen und insbesondere auch nach der verkehrspolitischen Seite gewinnen können. Sie werden daraus aber auch ersehen, wie dringend notwendig es ist, daß in diesen Gebieten Bauten der öffentlichen Hand auf dem Gebiete des Verkehrswesens ausgeführt werden, nicht nur wegen der Arbeitsbeschaffung, die damit verbunden ist und die die Möglichkeiten schafft, die Menschen in diesen Bezirken so lange zu beschäftigen, bis eine ständige, eine Dauerbeschäftigung aufgebaut werden konnte, sondern vor allen Dingen deshalb, weil die ständige, die Dauerbeschäftigung in diesen Gebieten abhängig ist von der vorher erfolgten Verkehrserschließung. Die Tendenz aber, die Verkehrsträger durch tarifliche Maßnahmen zu schwächen, die ihre Einnahmemöglichkeiten weiter herabsetzen und dadurch natürlich die Fähigkeit der Verkehrsträger mindern, aus eigener Kraft in Richtung der Verkehrserschließung etwas zu tun, ist nicht nur falsch, sondern den Interessen dieser Gebiete ausgesprochen abträglich. Denn wir können von den Verkehrsträgern aus um so weniger für diese Bezirke tun, je mehr die Verkehrsträger auf der Tarifseite zu Gunsten dieser Gebiete ausgehöhlt werden. Hier müssen wir doch einmal klar den Unterschied erkennen, der sich zwischen Verkehrs- und Wirtschaftspolitik ergibt. Bei ihrer Lage ist die Bundesbahn doch nicht fähig — und sie soll es ja auch nach dem damals angenommenen Antrag nicht sein —, die Lasten zu tragen, sondern diese Lasten sollen ihr ersetzt werden; aber man kann diese Lasten ja auch so regulieren, daß man den Ausgleich sofort den betreffenden Stellen zuleitet.
Das Hohe Haus ist offenbar nicht ganz konsequent in seiner Einstellung. Denn wenn ich an den gestrigen Beschluß über die Küstenkohlentarife denke, muß ich feststellen, daß er logisch vollständig das Gegenteil dessen ist, was man hier bei diesen Fragen nach langen Besprechungen ver-
einhart hat, und daß man sich offenbar wieder einmal in dem Widerspruch befindet, der sich immer ergibt, wenn es sich um Probleme insbesondere der Verkehrstarife und dabei wieder der Bundesbahn handelt. Denn man möchte auf der einen Seite die Bundesbahn als ein wirtschaftliches Unternehmen haben, sie aber doch auf der anderen Seite als eine Kuh betrachten, die man beliebig melken kann, selbst wenn das Euter nichts mehr enthält. Ich muß immer wieder von neuem warnen, solche Wege zu gehen. Nur wenn wir die staatlichen Mittel zusammennehmen und in diesen Notstandsgebieten die Verkehrswege, also sowohl die Straßen wie auch das, was an Wasserstraßen notwendig ist, und die Eisenbahneinrichtungen auf den Stand bringen, der diesen Gebieten insbesondere durch ihre Abschneidung zukommt, schaffen wir die Voraussetzungen für Neuanlagen und für die Erhaltung der dort befindlichen Industrie.
Wenn wir dagegen ständig Tarifermäßigungen fordern und sie durch politische Entscheidungen durchsetzen, dann vernichten wir den Anspruch, der immer wieder in der Öffentlichkeit erhoben wird, daß die Verkehrsbetriebe aus ihrer eigenen Kraft sich erhalten und leben sollen. Dann schieben Sie die Verkehrsbetriebe in die Subventionswirtschaft hinein, und dann werden Sie niemals zu einer gesunden Verkehrspolitik, zu gesunden Verkehrsbetrieben kommen. Ich möchte das Hohe Haus also ausdrücklich bitten, doch in diesen Fragen konsequent zu sein und nicht den einen Tag in dieser Richtung und den anderen Tag in einer anderen Richtung — jedes Mal womöglich einstimmig — zu beschließen.
Ich möchte auch darauf hinweisen, daß ich durchaus der Ansicht bin, daß die Tarifpolitik, wie wir sie gerade von der Bundesbahn in den letzten Jahren erlebt haben, den besonderen Erfordernissen dieser Gebiete nicht entspricht. Ich habe in diesem Sommer bei meinem Aufenthalt in Franken Wege gewiesen, wie dem Gebiet nach meiner Auffassung ohne zu große Belastung der Bundesbahn geholfen werden könnte, nämlich einmal, indem die Umwegtarife für dieses ganze Gebiet über die Strecke der Werra-Talbahn, die heute durch die russische Zone gesperrt ist, berechnet werden könnten, und zum zweiten, daß man für die für den bayerischen Wald so wichtigen Produkte des Holzes und der Steine bei Entfernungen über 200 km Ausnahmetarife erstellt. Die Bundesbahn hat sich bis heute geweigert, diesen Vorschlägen nachzukommen — trotz all meines Drängens. Sie sehen daraus, wie wenig Einflußmöglichkeiten der Bundesverkehrsminister auf dieses Institut hat.
Die Bundesbahn hat bei den Holztransporten fast alles an den Lastkraftwagen verloren, nur weil sie nicht bereit war, zu erkennen, daß die größeren Entfernungen, die ihr ja in erster Linie zustehen, auch entsprechend tarifmäßig berücksichtigt werden müssen. Wir haben bei der Beratung der jetzt vorgelegten, leider notwendigen Tariferhöhungen, die sich infolge der Lohnerhöhungen, der Aufhebung der 6%igen Kürzung der Gehälter, der Kohlen- und Eisenpreiserhöhung und all dieser Belastungen nicht vermeiden lassen, von der Bundesbahn nicht die Vorschläge bekommen, die wir erwarten konnten. Aber es ist gelungen, mit Hilfe des Wissenschaftlichen Beirates — das mag das Hohe Haus in diesem Zusammenhang immerhin interessieren — bei den erhöhten Krisenzuschlägen eine Form zu finden, durch die die weiten Entfernungen und damit die frachtfernen Gebiete ausdrücklich und entscheidend entlastet werden. Aber das ist nicht ein Arbeitsergebnis, das von der Bundesbahn kommt, sondern es ist ein Arbeitsergebnis, das wir dann der Bundesbahn freundlich nahelegen mußten, damit sie es ihren Anträgen zugrunde legen konnte. Ich lege Wert darauf, daß man diese Zusammenhänge einmal klar und nüchtern erkennt, weil man daran sieht, was für eine Tarifpolitik eine Bundesbahn machen würde, der man diese Aufgabe völlig allein überließe.
Es ist also nicht so, daß man diese Frage nur von dem heute vorgetragenen Standpunkt aus behandeln kann, sondern man muß wirklich unterscheiden, was man verkehrspolitisch zu machen in der Lage ist und was man wirtschaftspolitisch tun muß. Besonders gefährdete Gebiete müssen durch allgemeine und besondere wirtschaftspolitische Maßnahmen zu Lasten der Gesamtheit unterstützt werden. Was wir für Berlin tun, ist auch für diese Gebiete zu tun notwendig, wenn auch in einem entsprechend abgestimmten Ausmaß,
aber nicht auf dem Rücken der Verkehrsträger, die heute bereits weitgehend einem Substanzverzehr ausgesetzt sind und die deswegen nicht weiter geschädigt werden dürfen, weil es von ihrem weiteren Ausbau abhängt, ob in diesen Gebieten auf die Dauer wirklich gesunde wirtschaftliche Unternehmen angesiedelt und die bisher gesunden wirtschaftlichen Unternehmen weiter gesund gehalten werden können.