Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Was der Herr Bundesfinanzminister hier dargelegt hat, hat uns außerordentlich interessiert. Befriedigt hat es uns nicht; es kann uns auch nicht befriedigen, weil er Hilfe ankündigt, die in wesentlichen Stücken noch in der Ferne steht. Wir brauchen aber die Hilfe, um die wir nachgesucht haben, sofort.
Diese ganze Interpellation wäre eigentlich nicht nötig gewesen; denn wir haben noch nie in einer deutschen Regierung eine so mannstarke Delegation aus Bayern gehabt wie in dieser Bundesregierung.
Und dabei sind die Vertreter Bayerns in dieser Regierung in die zentralen Positionen eingedrungen. Es ist doch der Herr Finanzminister, es ist der Herr Wirtschaftsminister, es ist der Herr Ernährungsminister, es ist der Herr Minister der Justiz; und außerdem hätten die vier bayerischen Herren ja noch Verstärkung bekommen können von ihrem Vertreter im Verkehrsministerium, der ja als „Verbündeter" aus dem benachbarten Böhmen sicher unsere Probleme versteht;
zum mindesten hat der Herr Verkehrsminister bei seinen Besuchen in unserem Gebiet das unter Beweis gestellt.
Er weiß durchaus, woran es uns fehlt.
Nun, meine Damen und Herren, sind wir in dieser Sache etwas schief gekommen durch einen Antrag der Bayernpartei ganz zu Beginn unserer Arbeit, der etwas über das Ziel hinausgegangen ist.
— Sie hören es gleich, Kollege Seelos. — Die Kollegen der Bayernpartei haben damals ,den Antrag gestellt, ein Notstandsgebiet zu schaffen.
Meine Damen und Herren, ein Notstandsgebiet wollen wir in Oberfranken gar nicht sein. Wir bitten die Bundesregierung um die Maßnahmen, die hier gefordert worden sind, um zu verhindern, daß wir Notstandsgebiet werden.
— Nein, Herr Seelos. Ich bin der Vertreter zum Beispiel von Hof. Wir liegen in puncto Steuerleistung an zweiter Stelle in Bayern. Sie werden doch nicht sagen können, daß das ein Notstandsgebiet ist! Man muß da besser differenzieren. Es gibt in Oberfranken Notstände im Frankenwald; es gibt auch Notstände in Teilen des Fichtelgebirges. Aber man kann doch nicht, wenn die Decke überall zu kurz ist, sagen: nun wollen wir etwas haben. Die Füße schauen überall unter der Decke hervor, und mir ist das völlig klar. Worum wir bitten, ist etwas ganz anderes. Wir wollen mit unserer ausgezeichneten Industrie mithelfen, das Gewebe der Decke größer zu machen, damit wir die kalten Füße zudecken können, die es an anderen Ecken des Bundesgebietes auch gibt.
Ich habe in meiner Broschüre „Oberfranken im Würgegriff" ausdrücklich dargestellt: Wir sind kein Notstandsgebiet und wir wünschen keines zu werden. Aber wir sind ein Verkehrs notstandsgebiet erster Ordnung.
— Sehr geehrter Herr Kollege Seelos, über diese Dinge weiß die Bundesregierung, glaube ich, sehr gut Bescheid. Ich weiß, daß die Struktur zum Beispiel des Bayerischen Waldes eine ganz andere ist als in Oberfranken.
Aber ich darf Sie doch auf die Bedeutung unserer Industrie aufmerksam machen. Wir unterhalten uns zum Beispiel über die Frage eines Außenministeriums. Wir haben aber schon einen Außenminister gestellt, und zwar 1946: Das war das erstklassige Porzellan, das aus unserem Gebiete kommt. Das hat uns, glaube ich, in der Welt schon seit Jahren eine Menge von Sympathien eingetragen.
Dieses Porzellan hat uns nicht nur Sympathien erworben; es hat uns auch Dollars gebracht.
- Herr Seelos, Sie können doch anschließend reden!
— Ja, Herr Seelos zerscheppert das Porzellan immer; das ist aber seine Sache.
Meine Damen und Herren, ich darf zu dieser Sache folgendes sagen. Bei uns sind die Porzellanindustrie und die Baumwollindustrie vorherrschend. In Hof laufen 1/2 Million, in Oberfranken laufen eine Million Spindeln. Wir stellen ein Fünftel der gesamten Baumwollverarbeitung im Bundesgebiet. Wir sind das einzige nennenswerte Porzellanerzeugungsgebiet des Bundes nach dem Verlust von Meißen und Sorau, und 30 % unserer gesamten Produktion gehen ins Ausland. Es kommen also eine Menge Dollars herein. Nun haben wir aber die Kohle früher aus dem benachbarten Sachsen und Böhmen bezogen. Jetzt kommt aus Böhmen auch noch Kohle, aber da sind in den Waggons oft Sprengpatronen drin. Sie können sich leicht vorstellen, was solche kleinen Scherze für die Industrie bedeuten, die die Aufgabe hat, alle solche Ladungen nach derartigen kleinen Geschenken durchzupulen.
Aber, meine Damen und Herren, worauf es uns ankommt, ist folgendes. Unser Umweg zu den Seehäfen und zu den neuen Kohlengebieten beträgt auf einer Strecke bis zu 220 km. Sie wissen, daß man die Baumwolle von den Seehäfen herbefördern muß, und wir müssen unsere Kohle aus dem Ruhrgebiet holen, weil die Kohle aus Sachsen und aus Böhmen in der erforderlichen Menge nicht mehr kommt. Wir bitten also, weil sich die Wettbewerbsbedingungen für unsere Industrie verheerend verschoben haben und weil eine etwaige Abwanderung solcher Industriebetriebe wie Siemens oder Witt, wie die Herren Kollegen Aretin und Solleder, glaube ich, gesagt haben, eine verheerende Arbeitslosigkeit zur Folge haben muß, nicht um irgendein Geschenk; wir bitten lediglich um einen Lastenausgleich innerhalb der Bundesbahn selbst, weil ,diesen Betrieben bei uns die Wettbewerbschancen natürlich in einer Weise verschoben worden sind, die sie aus jedem fairen Wettbewerb ausschaltet. Wir bitten also um diesen Lastenausgleich in Form von Tarifausgleich, Vergeltung der Umwegfrachten, und wir bitten vor allem auch, daß man die Tarife für Kohle und für Koks in einer Weise gestaltet, daß wir diese nunmehr aus doppelter und dreifacher Entfernung zu beziehenden Güter zu alten Frachtsätzen heranbekommen können.
Ich darf Sie auf eines aufmerksam machen. Oberfranken und das Grenzgebiet in Niederbayern sind empfindliche Gebiete. Ich habe in meiner Broschüre angedeutet: In einer Kette ist das schwächste Glied immer das entscheidende Glied. Wir sind einem politischen Druck ausgesetzt wie sicher nicht viele Gebiete. Worum ich bitte, ist nicht irgend etwas Unnötiges und Unmögliches; worum wir bitten, ist nicht irgendein Geschenk; worum wir bitten, ist weiter nichts, als daß man die alten Wettbewerbsbedingungen, wie sie waren, wiederherstellt und daß man uns eine faire Chance gibt, unser Gebiet nicht erst zum Notstandsgebiet werden zu lassen, sondern daß man das Verkehrs-Notstandsgebiet, zu dem wir geworden sind, aus seiner Verkehrsferne durch entsprechende Maßnahmen der Bundesregierung herausreißt.