Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Am 13. Oktober hat der Bundestag ein Gesetz beschlossen, das für die Sozialversicherung lebenswichtig ist. Das Gesetz gibt den Versicherungsträgern das Recht der Selbstverwaltung wieder. Der Bundesrat beriet das Gesetz, er ist mit dem Gesetz im allgemeinen einverstanden, er hat aber an ein paar Stellen Bedenken geltend gemacht und wegen dieser Bedenken den Vermittlungsausschuß um Schlichtung der Streitfälle gebeten. Der Schlichtungsausschuß hat seinen Schiedsspruch gefällt, wenn ich dieses Wort gebrauchen darf; die Drucksache liegt Ihnen vor.
Zur Begründung darf ich Ihnen kurz vortragen: Die erste Änderung betrifft den § 14 des Gesetzes. Der § 14 hebt ein Verbot aus der Zeit des Nationalsozialismus auf, nach dem neue Krankenkassen nicht mehr gebildet werden dürfen. Das Verbot richtet sich in der Hauptsache gegen die Gemeindeverbände, die Betriebsunternehmer und die Innungen, sie dürfen keine Landkrankenkassen, keine Betriebskrankenkassen und keine Innungskrankenkassen errichten; betroffen wird auch das Selbstbestimmungsrecht der Versicherten. Bundestag und Bundesrat sind darin einig, daß dieses Gesetz als ein Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht aufgehoben werden muß. Die Meinungsverschiedenheit zwischen Bundestag und Bundesrat besteht nur darin, welche Voraussetzungen für die Errichtung von Betriebs- und von Innungskrankenkassen erfüllt werden müssen. Nach der Reichsversicherungsordnung kann eine Betriebskrankenkasse und eine Innungskrankenkasse nur gebildet werden, wenn sie mindestens 150 Mitglieder haben wird. Dem Bundestag erschien diese Mindestzahl zu gering, auch dem Bundesrat erschien die Zahl zu gering. Der Bundestag hat die Zahl verdoppelt, von 150 auf 300 Mitglieder. Der Bundesrat hat geglaubt, die Zahl vervierfachen zu müssen. Da hat nun der Vermittlungsausschuß ein, wenn ich so sagen darf, salomonisches Urteil gefällt; er hat die Zahl 150 nicht vervierfacht, sondern nur verdreifacht; das heißt für die Bildung einer Betriebskrankenkasse oder einer Innungskrankenkasse sind mindestens 450 Mitglieder notwendig. Der Vermittlungsausschuß hat diesen Beschluß einstimmig gefaßt. Ich empfehle ihn Ihnen zur Annahme.
Aber nicht jede Kasse darf neu gebildet werden, wenn sie mindestens 450 Mitglieder hat. Das Oberversicherungsamt hat noch zu prüfen, ob durch die Gründung der Kassen nicht der Bestand der Ortskrankenkassen gefährdet wird. Stellt das Oberversicherungsamt fest, daß der Bestand der Ortskrankenkasse durch die neue Krankenkasse gefährdet wird, dann unterbleibt die Gründung der Betriebs- oder Innungskrankenkasse. Ich empfehle Ihnen, wie gesagt, die Annahme dieses Vorschlages.
Ein zweites Bedenken betrifft den Abs. 3 in § 18. Der § 18 des vom Bundestag beschlossenen Gesetzes zählt in Abs. 3 die bestehenden Vorschriften auf, die mit dem neuen Selbstverwaltungsgesetz innerlich unvereinbar sind. Das gilt hauptsächlich für die Bestimmungen, die nationalsozialistisches Gedankengut enthalten, für die Bestimmungen, in denen der Führergrundsatz durchgeführt worden ist. Die einzelnen Bestimmungen sind in den Ziffern 1 bis 11 aufgezählt. Dagegen ist gar kein Bedenken. Nur e i n Bedenken besteht: Man hat das grundlegende Gesetz, auf dem das Führerprinzip beruht, in der Zusammenstellung nicht erwähnt. Das ist ein Versehen. Es ist das Gesetz vom 7. Juli 1934. In dem Bericht Ihres Ausschusses ist die Aufhebung dieses grundlegenden Gesetzes beantragt, bei der Zusammenstellung ist aber diese Bestimmung übersehen worden. Deshalb empfiehlt Ihnen der Vermittlungsausschuß, nicht bloß die Auswüchse zu beseitigen, sondern das Übel an der Wurzel zu fassen und das nationalsozialistische Grundgesetz aufzuheben, insbesondere Art. 2 § 2 und Art. 6 und Art. 7 im Abschn. II. Ich empfehle Ihnen auch die Annahme dieses Beschlusses.
Im § 18 Abs. 4 Ziff. 3 ist vorgeschrieben, daß Bestimmungen des Landes Bremen außer Kraft treten. Ich darf hier den Sachverhalt kurz schildern. Im Jahre 1945 entstand in BremerhavenWesermünde die Ortskrankenkasse BremerhavenWesermünde.
Diese Ortskrankenkasse hat alle Mitglieder aufgenommen, die anderen Kassen angehört haben. Wer bei der Landkrankenkasse, der Innungs- oder Betriebskrankenkasse war, der wurde in die Ortskrankenkasse Bremerhaven-Wesermünde eingegliedert. Diese Ortskrankenkasse hat auch das Vermögen der geschlossenen Versicherungsträger aufgenommen. Das Land Bremen ist nun damit einverstanden, daß jene Bestimmung aufgehoben wird. Die Bestimmung beruht auf einer Anordnung der Besatzungsmacht. Man kann nun sagen, für die heutigen Verhältnisse hat der Hinweis auf eine Anordnung der Besatzungsmacht in der Sozialversicherung wenig Bedeutung. Dem Bund und den Ländern ist die konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis zur Ordnung der Sozialversicherung überlassen. Deshalb ist das Land Bremen damit einverstanden, daß die Bestimmung aufgehoben wird. Man hat nur eine redaktionelle Änderung vorgenommen. Die Worte „Ortskrankenkasse Bremerhaven-Wesermünde" in der runden Klammer werden gestrichen, weil sie überflüssig sind. — Eine andere Bestimmung wurde auch nur im Wortlaut
geändert. Es heißt: „Die Beschränkungen werden aufgehoben, soweit sie über die gesetzlichen Vorschriften hinausgehen." Die Worte „gesetzliche Vorschriften" sind ersetzt worden durch die Worte „Vorschriften der Reichsversicherungsordnung".
Der Sinn ist also der: Beschränkungen, welche über die Reichsversicherungsordnung hinausgehen, werden aufgehoben. Damit ist das Land Bremen einverstanden.
Das Land Bremen war aber mit der Art der Vermögensauseinandersetzung nicht einverstanden. Ich habe schon angedeutet, daß die Ortskrankenkasse Vermögen von geschlossenen Kassen übernommen hat. Nun ist die Frage die, nach welchen Regeln die Vermögensauseinandersetzung vorgenommen werden soll. Man hat im Vermittlungsausschuß eine sehr einfache Formel gefunden: Das Vermögen geht an die Versicherungsträger zurück, die geschlossen worden sind und von denen die Ortskrankenkasse das Vermögen übernommen hat, aber nur nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über die Herausgabe einer grundlosen Bereicherung. Ich verweise auf die §§ 812 und folgende des Bürgerlichen Gesetzbuches.