In dem Antrag sind zwei Punkte enthalten. Der eine Punkt geht dahin, zur Wiederbesiedlung der Stadt Kehl solle der Bund eine erste Rate von etwa 10 Millionen DM bereitstellen. Der zweite Punkt sieht vor, die Bundesregierung zu ersuchen, den Ablösungsbetrag aus dem Notopfer Berlin — damals in Baden „Notopfer Berlin—Kehl" genannt — entsprechend der Zusage des Bundesministers der Finanzen, die er in der 22. Sitzung des Deutschen Bundestages gegeben hat, beschleunigt zur Auszahlung zu bringen.
Nun gibt es leider viele Schadensgebiete. Die Herren von der Grenzlandkommission haben die Gegenden ja bereist. Der Fall Kehl stellt aber einen Sonderfall dar. Kehl ist die einzige deutsche Stadt, die, 1944 auf deutsche Veranlassung von einer Stunde zur anderen geräumt, nach Beendigung des Kriegszustandes — er ist allerdings auch jetzt noch nicht durch Vertrag beendet nicht wieder besiedelt werden durfte. Die Herren der Besatzungsmacht haben die Stadt Kehl für französische Familien, die in Straßburg ihre Wohnstätten durch den Krieg verloren haben, zurückbehalten. Abgeordnete aller Parteien, die Delegierten von Straßburg, konnten sich davon überzeugen, daß dieser vorsintflutliche Zustand noch besteht. Mitten durch Kehl geht die Hauptstraße entlang ein Stacheldrahtverhau, der die inzwischen zurückgekehrten deutschen Familien und die Bewohner aus Frankreich trennt. Dadurch, daß seiner Zeit die ganze Stadt geräumt wurde, daß nichts mitgenommen werden konnte, daß alle von Haus und Hof gingen und ihr Gewerbe aufgeben mußten, dadurch, daß später, nachdem der Krieg an sich beendet war, durch Brände große Zer-
störungen eintraten, dadurch, daß auch bis zum Jahre 1949 kein Deutscher zurückkehren konnte, noch nicht einmal um etwa die Erhaltung des noch Vorhandenen irgendwie zu betreiben oder sonst etwas zu unternehmen, sind die Schäden besonders groß geworden.
Wenn Sie diesen Tatbestand berücksichtigen, dann haben Sie damit die Besonderheit des Falles. Bei allen Zerstörungen, bei allen Kriegsschäden überall in Deutschland ist doch nirgends dieser Zustand einer völlig annektierten Stadt vorhanden, und jetzt erst, nach einem Abkommen, das im April 1949 in Washington geschlossen wurde, kann die Wiederbesiedlung in gegenseitigem Einvernehmen langsam erfolgen. Etwa ein Drittel der deutschen Bewohner ist jetzt wieder nach Kehl zurückgekommen. Das Abkommen sieht vor, daß in der Hafenangelegenheit die Franzosen den Kehler Hafen solange unter Verwaltung haben, bis ein Friedensvertrag andere Verhältnisse schafft, und dann ist wohl vorgesehen, daß eine gemeinsame Hafenverwaltung eingesetzt würde. Kehl ist der südlichste brauchbare Rheinhafen. Er hatte vor dem Kriege einen Umschlag von über 2 Millionen Tonnen. Er ist wichtig für Baden, für Württemberg, für die gesamten süddeutschen Länder für den Verkehr zwischen Deutschland und Frankreich und den Verkehr auf dem Rhein mit dem Umschlagplatz eben in Kehl. Es ist der Schnittpunkt zwischen Schwarzwald und Vogesen und auch im Gefüge der Nachbarschaft nach jeder Hinsicht von Bedeutung.
Das müßten vor allem auch die Herren der Besatzungsmächte stärker berücksichtigen, die jetzt sehr wohl da und dort Entgegenkommen und auch ihren guten Willen zeigen. So hat kürzlich der Herr Kommissar Pène einen Scheck von 100 000 Mark zum Wiederaufbau von Wohnungen gegeben, damit die französischen Verwaltungen dann Wohnungen räumen könnten. Auch der badische Staatspräsident hat bei dieser Gelegenheit 100 000 Mark gestiftet. Aber, meine Damen und Herren, das sind natürlich nur wenige Tropfen auf einen heißen Stein.
Ich will Ihnen nachher an Hand einer amtlichen Denkschrift nur einige Zahlen bekanntgeben, nicht etwa wörtlich vorlesen, was da steht — das liegt mir nicht, und das würde das Hohe Haus wahrscheinlich langweilen —; aber Sie ersehen dann doch aus dieser Zusammenstellung, daß ein Schaden von rund 140 Millionen entstanden ist und daß nur wenig gegeben werden konnte, um diesen Schaden auch nur teilweise gutzumachen. Die Denkschrift stellt die besonderen Notstände heraus und zeigt auf, daß der Bundestag wohl verpflichtet sein dürfte, zu helfen, soweit er kann. Dies ist meiner Meinung nach auch eine Verpflichtung des Bundesfinanzministers, der trotz seiner Sorgen und Nöte auch hier etwas versprochen hat. Als wir im Dezember vorigen Jahres mit Wirkung vom 1. Januar das Notopfer beschlossen haben, das damals in Baden mit voller Absicht „Berlin—Kehl" geheißen hat, damit diese Schäden mindestens teilweise wiedergutgemacht werden konnten, hat der Herr Finanzminister positiver gesprochen als heute. Der Finanzminister sagte damals, er wäre gern bereit, zwar nicht im Rahmen des Notopfers, aber im Rahmen der allgemeinen Mittel des Bundes, wenn ihm von der badischen Regierung entsprechende Nachweisungen geliefert würden, im Rahmen des Möglichen zu helfen.
Meine Damen und Herren, man hört selten von einem Finanzminister, daß er gern bereit ist. Man hört das von dem unsrigen natürlich auch sehr selten, und wir müssen ja auch gerechterweise sagen: er hat viele Sorgen auf dem Gewissen, und es wird viel von ihm gefordert. Aber außergewöhnliche Notstände rechtfertigen schließlich auch eine außergewöhnliche Forderung.
Nach der erwähnten Statistik ist es so, daß an total zerstörten und leicht zerstörten Gebäuden Schäden in Höhe von 18 Millionen Mark nachweisbar sind. Es ist weiter so — bedenken Sie das immer! —, daß alles zurückgelassen werden mußte, nicht nur in Privatwohnungen, sondern auch von Handel, Landwirtschaft und Gewerbe. Es konnte gar nichts herausgenommen werden, und die Dinge sind heute, nach vier, fünf Jahren nicht mehr da. Es ist dadurch bei rund 3600 Haushaltungen und etwa 435 Gewerbebetrieben ein Schaden von etwa 57 Millionen Mark nachweisbar. Allein die eine große bekannte Fabrik Trick-Zellstoff, die in ihrer Art einzig ist — in ganz Europa gibt es nur noch eine zweite Fabrik, die ähnliche Zellulose hergestellt hat —, hat einen Verlust von etwa 6 Millionen Mark. Es ist bis jetzt durch Mietausfall bei gewerblichen und anderen Räumen ein Verlust von 15 Millionen DM, durch Einkommensminderung bei der betroffenen Bevölkerung ein Verlust von rund 45 Millionen DM seit 1945 festzustellen.
Unser Antrag verlangt 10 Millionen DM. Ich darf noch einmal daran erinnern, daß es sich — es wird wahrscheinlich von einem Teil der Mitglieder des Hauses und vom Finanzministerium in diesem Zusammenhang nicht anerkannt — bei diesen Schäden um Kriegsfolgen handelt, gegen die man sich nicht wehren konnte, und daß die Hilfeleistung im Grunde genommen Aufgabe des Bundes ist, allerdings abzüglich einer Interessenquote der Länder. So ungefähr ist es ja doch gesetzlich geregelt.
Bisher konnten für Kehl etwa 5,1 Millionen DM aufgewendet werden, darunter zweieinhalb Millionen DM aus dem Notopfer Berlin—Kehl, 1,23 Millionen DM Flüchtlingsaufwendungen, 1 Million DM aus der Soforthilfe und etwa eine halbe Million DM für Mietentschädigungen, die inzwischen bezahlt wurden.
Die Summe von 140 Millionen Mark Gesamtschaden ermäßigt sich im Laufe der kommenden Monate vielleicht um etwa 15 Millionen DM, weil die Verständigung zwischen der Besatzungsbehörde und den badischen Regierungsstellen erfreulicherweise so weit zu einem Ergebnis geführt hat, daß Mietentschädigungen, die bis jetzt nur bis zu zwei Quartalen bezahlt wurden, nunmehr rückwirkend gegeben werden sollen. Der Finanzbedarf bis zum 31. März 1951 beträgt insgesamt etwa 18 Millionen DM ohne die Aufwendungen für den Hafen Kehl, für den noch große Beträge aufzuwenden sind, die weit über diese Summe hinausgehen.
Ich will damit die Aufführung von Zahlen beenden. Diese Zahlen dürften im großen und ganzen ein Bild von der Besonderheit dieser Schäden und der Situation geben.
Ich betone noch einmal: die Antragsteller lassen sich nicht etwa davon leiten, nun für das Land Baden, das naturgemäß nicht in der Lage ist, diese Schäden allein wiedergutzumachen, nachdem Baden immer ganz besonders hohe Besatzungsleistungen aufzubringen hatte, einen Sondervorteil herauszuholen. Es handelt sich einfach darum, einem besonderen Notstand mit besonderen Hilfsmaß-
nahmen, die sachlich sehr wohl begründet sind, zu begegnen; denn an der Wiederbesiedlung Kehls hat alles in Deutschland ein Interesse.
Ich darf von dieser Tribüne aus auch an die Besatzungsmacht einmal den Wunsch richten, die französische Besatzungsmacht möge entsprechend dem, was 1949 in Washington über die Zurücksiedlung in vier Jahren vereinbart wurde, in Verbindung mit den deutschen Stellen alle Anstrengungen machen, damit die Wiederbesiedlung schneller vor sich gehen kann. Man möge sich dabei auch daran erinnern, daß der Krieg fünf Jahre vorbei ist, sowie daran, daß für Kehl und Straßburg, die doch so eng beieinander liegen und nur durch den Rheinarm getrennt sind, deren Häfen früher durch die Hafenverwaltungen miteinander in Konkurrenz standen, doch irgendeine Gemeinschaftslösung gefunden werden muß und daß auch der Weg zu einem neuen Europa und nach Straßburg über Kehl geht.
Wenn man sich daran erinnert, die Stacheldrähte abbaut und den deutschen Menschen die Wiederbesiedlung schneller als bisher ermöglicht, dann hat man auf diese Art auch dem Frieden und dem neuen Europa gedient.