Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer über diesen Komplex, der erneut in dem Hohen Hause zur Debatte steht, einigermaßen Bescheid weiß, weiß leider, daß man eben wenig Bescheid weiß; und an diesem Zustand hat das Bundeswirtschaftsministerium auch einen Teil Schuld. Es bleibt auf alle Fälle bedauerlich, daß sich das Wirtschaftsministerium so wenig Mühe gibt, hier die erforderliche Klarheit zu. schaffen. Dem Vorsitzenden unseres Ausschusses für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films, meinem verehrten Kollegen Dr. Vogel, kann man, wenn man meint, es tun zu müssen, vorwerfen, was man will; eines kann man ihm nicht vorwerfen: Mangel an Emsigkeit. Wenn es selbst ihm als Anhänger der Regierungskoalition, also gewissermaßen als Freund, bei seinem Temperament nicht gelungen ist, Klarheit über die Absichten und die einzelnen Schritte des Wirtschaftsministeriums in dieser Angelegenheit für die Arbeit des Ausschusses zu gewinnen, so scheint mir das sehr aufschlußreich zu sein. Die Schweigsamkeit und Langsamkeit in einer Angelegenheit, in der man nach unserer Meinung besonders mitteilungsfreudig sein müßte und in der man sich um einen besonders hohen Grad von Publizität bemühen müßte, nährt begreiflicherweise den Verdacht, daß der Hintergrund dieser Dinge nicht unbelebt ist, sondern daß da Interessenten stehen, die auf einen geeigneten Augenblick warten, um sich wieder einschalten zu können.
All dies ist sehr bedauerlich, da es sich ja hier um eine Angelegenheit umfassenden deutschen Interesses handelt, bei der Differenzen zwischen Regierung und Opposition nicht in Erscheinung zu treten brauchten. Auch wir bedauern außerordentlich, daß die heutige Interpellation nicht zu dem Zeitpunkt behandelt werden konnte, zu dem
das vorgesehen war, also v o r der Versteigerung. Ich glaube, das, was uns der Herr Staatssekretär heute vorgetragen hat, hätte sich damals ebensogut sagen lassen. Es handelt sich ja hier nicht um eine Kritik an der Regierung, um einen Angriff auf sie, sondern darum, der Regierung vor dem Hohen Hause Gelegenheit zu geben, über ihre Sorgen und ihre Stellung zu sprechen und das Hohe Haus zu ihrer Unterstützung aufzurufen; und diese Unterstützung wäre einhellig und wirksam gewesen. Aber wie der Herr, so's Gescherr! Man kommt offenkundig ganz allgemein in diesem Kabinett nicht auf den Gedanken, daß das Hohe Haus zur Tribüne einer politischen Auseinandersetzung werden könnte, ja daß es in wichtigen Angelegenheiten zur Entscheidung aufgerufen werden könnte.
Als zweites möchte ich zu dem Verhalten des Wirtschaftsministeriums hervorheben, daß das Gesetz Nr. 52 der Alliierten am 1. August der Regierung zugeleitet worden ist. In diesem Gesetz befindet sich die Anregung, einen deutschen Gesetzentwurf vorzulegen. Obwohl man von dieser Anregung schon vorher wußte, hat es bis zum 18. Oktober gedauert, ehe endlich ein solcher Entwurf von der Bundesregierung vorgelegt wurde.
Zum dritten haben die Alliierten nach der Überreichung ihres Gesetzes vorgeschlagen, einen deutschen Beirat zu bilden. Das Wirtschaftsministerium hat es nicht eilig gehabt, diesen Beirat einzuberufen. Es ist dabei auch sehr zögernd vorgegangen, und wieweit der Beirat bisher zusammengestellt werden konnte, weiß ich im Augenblick noch nicht. Dabei ist dieser Beirat auf alle Fälle wichtig dafür, die deutsche Stellungnahme zu diesen Dingen zur Geltung zu bringen. Es könnte unter Umständen so sein, daß er aus dem Ablauf der Dinge heraus wenig Neigung zeigt, bei der Abwicklung der alliierten Gesetzgebung mitzuwirken; dann hätte er aber die Möglichkeit des Protestes, und dann könnte man durch ihn diesen ganzen Komplex vor die deutsche Öffentlichkeit bringen. Die Diskussion auch der Interpellation damals am 14. November hätte die Gelegenheit gegeben, hier im Hause über den deutschen Gesetzesvorschlag zu sprechen, ehe er mit der alliierten Zensur „mangelhaft" zurückgereicht worden wäre.
Es geht ja doch hier um wichtige allgemeine, wirtschaftliche und auch soziale Interessen. Die Alliierten haben ihr Mißfallen an dem Entwurf geäußert, der ihnen von der Bundesregierung vorgelegt worden ist, und ihn gewissermaßen mit Rotstiftanstrichen zur Verbesserung zurückgegeben. Sie haben erklärt, daß sie mit dem deutschen Entwurf unzufrieden seien. Wir möchten hier in aller Offenheit auch einmal aussprechen, daß wir mit den alliierten Gesetzgebungsübungen auf diesem Gebiet durchaus nicht zufrieden sind.
Erst hat man die Befriedigung von Ansprüchen gegen das Ufa-Vermögen anerkannt und zur Anmeldung von Restitutionen aufgerufen. In dem neuen Gesetz Nr. 52 ist von diesen Restitutionen gar nicht mehr die Rede. Eine vorherige Begleichung der Forderungen der Ufa-Gläubiger würde mit dahin wirken, daß eine Verschleuderung dieser Vermögenswerte gehemmt und gehindert wird. Man hält es offenkundig für praktischer, die Käufer nachher dem Andrang der Fordernden zu überlassen, die sie vielleicht dann nicht werden befriedigen können. Das mag leichter sein. Es ist aber nicht besser. Es ist vor allen Dingen nicht
rechtens; denn zu diesen Ansprüchen der Gläubiger gehört unter anderem die Ufa-Pensionskasse, die die Ansprüche der früheren kleinen Angestellten und der Arbeiter befriedigen soll, die inzwischen alt geworden und zumeist arbeitslos sind. Die Befriedigung dieser Ansprüche, für die die Arbeiter und Angestellten ihre Beiträge in die Pensionskasse gezahlt haben, hängt auch vorn Erlös der Liquidation ab. Der Deutsche Gewerkschaftsbund ist schon verschiedentlich in dieser Angelegenheit sowohl an die Bundesregierung wie an die Hohen Kommissare herangetreten, um sie auf diese Ansprüche und das soziale Gewicht dieser Dinge aufmerksam zu machen.
Wir stehen überhaupt auf dem Standpunkt, daß die ganze in dieser Gesetzgebung vorgesehene Form der Versteigerung ein sehr fragwürdiges Verfahren ist. Man versteigert in der Wirtschaft große Objekte nicht mehr, und gerade in unserer heutigen Lage ist das noch weniger als bisher angebracht. Man überlege nur einmal: Was soll mit der „Bavaria" geschehen, die man aus dem Gesamtkomplex herausgelöst hat? Ein Käufer müßte einen Kapitalbetrag von 16 Millionen bis 20 Millionen aufbringen, um die Kaufsumme erstellen zu können, und er müßte dann vielleicht noch einmal Kapital in dieser Größenordnung aufbringen, um mit der Produktion beginnen und sie durchführen zu können. Wenn man nicht die Absicht — die wohlgefaßte Absicht — hat, hier das deutsche Filmeigentum zu vergeuden, würde eine Änderung des Verfahrens am Platze sein. In welcher Form das vor sich gehen müßte, braucht, glaube ich, im Augenblick hier nicht erörtert zu werden; man könnte an Auffanggesellschaften oder ähnliche Organisationen denken.
Auch auf der alliierten Seite pflegt man die Dinge sehr dilatorisch zu behandeln. Unklarheit und Zögern sind auch dort zu beobachten. Unklarheit und Zögern begünstigen aber in dem einen wie in dem andern Falle die Machenschaften von Interessenten. Die Aufsplitterung in Kleinstobjekte ist nicht gerade das wirksamste Mittel, die Zusammenballung wirtschaftlicher Macht, vor der die Alliierten so große Angst haben, zu verhindern; sie schafft vor allen Dingen Unübersichtlichkeit und dadurch auch Unkontrollierbarkeit.
Ein solches Verfahren begünstigt ein Strohmännersystem, ja es fordert es geradezu heraus. Da könnte es dann eines Tages so weit sein, daß doch praktisch wieder ein Konzern da ist; nur würde der Herr nicht mehr Hugenberg heißen, sondern vielleicht Pommer.
Wenn wir uns heute mit diesen Dingen beschäftigen, so scheint es mir auch angebracht zu sein, die Art alliierter Gesetzgebung, mit der wir es hier zu tun haben, einmal vom allgemein-politischen Standpunkt zu charakterisieren. Freundlich betrachtet — ich sage absichtlich: freundlich betrachtet — ist diese Ufa-Gesetzgebung gewissermaßen eine Art Naturschutzdenkmal der Besatzungspolitik im Stile von 1945 und 1946; man hat sie bis heute erhalten, damit auch die Kinder sehen, wie es war, als man uns noch nicht den westeuropäischen Verteidigungsgürtel umbinden wollte.
Es ist wie so viele dieser Gesetze als ein Gesetz
aufgemacht worden, das uns vor seelischem Schaden bewahren sollte: nie wieder einem staatlichen
Filmkonzern anheimzufallen und nie wieder den scheußlichen Mißbrauch wirtschaftlicher Macht zu erleben. Daher, so erklärte man, habe man die Ufa zerschlagen.
Was ist denn die Ufa gewesen? Wenn man die Diskussion dieses Themas auf der Gegenseite verfolgt, dann erhält man den Eindruck: nicht Goebbels hat die Ufa zu einem Instrument der Regierungspropaganda gemacht, sondern die Ufa hat das Nazisystem geschaffen, vielleicht um Völker zu unterwerfen, die sich dann Ufa-Filme ansehen müßten.
Die Ufa ist in einer Zeit wirtschaftlicher Entwicklung emporgekommen, die wir auf anderen Gebieten so auch auf dem Filmgebiet zur Zusammenfassung größerer Produktionseinheiten geführt hat. Das ist ein Vorgang, der jenseits von Gut und Böse steht. Zu einem politischen Instrument ist sie erst allein durch Hugenberg geworden, der eben nicht wirtschaftliche, sondern ganz bestimmte und bedenkliche politische Absichten mit der Leitung der Ufa verfolgte, und nachher infolge der Unterstellung und Zusammenfassung mit den anderen Filmgesellschaften durch das Propagandaministerium. Aber dieser sogenannte Machtkomplex ist ja 1945 allein schon durch die Verhältnisse, die der Ausgang des Krieges geschaffen hatte, zum großen Teil zerschlagen worden. 70% dieses Vermögenskomplexes liegen in der Ostzone; sie sind ohnehin nicht mehr erreichbar. Was geblieben ist, ist vom Standpunkt wirtschaftlicher Machtzusammenballung gar nicht mehr so bedrohlich.
Mein Kollege Muckermann hatte vorhin ausgeführt, daß es sich um einen Wert von ungefähr 50 Millionen DM handelt. Dieser Wert hätte aber immerhin ausgereicht, um der Filmwirtschaft die Grundlage für einen Neubau zu geben, ähnlich, möchte ich fast sagen, wie die Rotationsmaschinen, die die Nazizeitungen druckten, dazu benutzt werden konnten, technisch den Neubau einer demokratischen Presse zu ermöglichen.
Es ist aber alles geschehen, um dieses sinnvolle Funktionieren der Ufa-Liquidationsmasse zu verhindern. So liegt der Gedanke bedenklich nahe: nicht die Wiederherstellung der Ufa wollte man in erster Linie unterbinden — wie sollte die überhaupt wiederhergestellt werden? —, sondern den Neuaufbau eines konkurrenzfähigen deutschen Films hemmen und hindern.
Das eine stimmt schon: der Sieger von heutzutage nutzt die Wehrlosigkeit des Besiegten aus, um ihm seine Filme vorzuführen.
Die amerikanische Produktion erdrückt weiter steigend den deutschen Markt. Die Unterhandlungen hier und die Besprechungen auf der anderen Seite des Ozeans haben gezeigt, daß man noch immer nicht mit dem zufrieden ist, was man hier an Märkten hat. Diese edle Absicht scheint durch die Art der Gesetzgebung im Rechtlichen mit jenem Scharfsinn verfolgt zu werden, den die Welt noch heute im Zeichen Koreas an der Nürnberger Jurisdiktion bewundert, die auch durch die freudige Zustimmung und Mitwirkung der Russen hinreichend charakterisiert worden ist.
Wir haben endlich einmal genau erfahren — das hat wohlgetan —, wo der Mißbrauch wirtschaftlicher Macht anfängt und wo die Grenzen liegen. Wenn jemand 26 % Aktien eines Filmstudios besitzt, dann ist bei ihm die große Versuchung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Macht evident; oder wenn er vier Filmtheater kauft; mit 25 % geht es noch, und mit drei Filmtheatern ist es auch noch erträglich. Ich weiß nicht, ob man diese Begrenzungen etwa aus amerikanischen Erfahrungen genommen hat. Es scheint, daß hier ein Experte am Werke ist, der irgendwie Verdrossenheit darüber zeigt, daß er in Amerika selbst mit seinem Anti-Trust-Gesetz auf dem Filmgebiet praktisch nicht weiterkommt und hier einmal in Reinkultur vorführen will, was er sich eigentlich gedacht hat.
Und da waren wir immer so stolz und dachten, die Sturheit von Kommiß und Bürokratie sei ein deutsches Privileg.
Es gibt offenkundig nichts mehr, was uns allein gehört.
Zur Charakterisierung der . Bestrebungen, die hier beabsichtigt sind, darf ich zur Erheiterung des Hohen Hauses mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten einige Sätze aus der Pressenotiz vorlesen, mit der dieses Gesetz Nr. 52 vor einiger Zeit angekündigt wurde. Wer ein Freund des trockenen angelsächsischen Humors ist, wird sich freuen, daß er von dieser Kundgebung erfährt. Zur Begründung der Vorzüglichkeit dieses Gesetzes heißt es da:
Es wird erwartet, daß eine freie und konkurrenzfähige Filmindustrie in Deutschland geschaffen wird, um das starre Gefüge zu ersetzen, das sich aus dem erzwungenen Erwerb und der Mobilisierung der Filmindustrie durch die nationalsozialistische Regierung ergab. Eine in Privatbesitz befindliche und konkurrenzfähige deutsche Filmindustrie kann wieder ein Mittel zum freien Ausdruck individueller Ansichten und zum Austausch von Gedanken werden, die eine demokratische Gesellschaft stärken. Der Wettbewerb wird die Filmgesellschaften anspornen, eine Vielzahl von Programmen und Diensten anzubieten. Daher wird der Kinobesucher in der Lage sein, die Filmkunst durch seine freie Entscheidung zu beeinflussen.
Wenn die Entwicklung auf dem deutschen Filmgebiet von Maßnahmen und Bestrebungen dieser Art bestimmt wird, dann wird er freilich sehr bald in der Lage sein, durch seine freie Entscheidung jeweils zu bestimmen, welchen amerikanischen Film er sich ansieht.
Ich wollte abschließend nur noch das eine sagen. Die Politik der Alliierten zur angeblichen Herbeiführung unserer Gleichberechtigung hat unser Dr. Schumacher einmal sehr treffend als die Politik der kleinen Geschenke charakterisiert. Hier haben wir ein Beispiel dafür, daß man auch heute noch nicht zu stolz dazu ist, eine Politik der kleinen Rebbachs zu treiben. Ich finde: in einer Zeit, da die gemeinsame Bedrohung zur gemeinsamen Verteidigung gemeinsamer Interessen zwingt, wirkt solche Praxis anachronistisch.