Meine Damen und Herren! Damit sind die Mitteilungen beendet.
Als Punkt 1 steht auf der Tagesordnung:
Beratung der Interpellation der Fraktion der
CDU/CSU betreffend Wiederbesiedlung der
Stadt Kehl .
Es war im Ältestenrat gestern vorgesehen, daß der ursprünglich eingereichte und Ihnen vorgelegte Antrag der Fraktion der CDU/CSU aus geschäftsordnungsmäßigen Gründen mit Rücksicht auf die Frage der Deckungsvorlage als Interpellation eingebracht werden sollte. Ich bin von den Antragstellern darüber unterrichtet worden, daß sie keine Interpellation einzubringen gedenken, sondern der Auffassung sind, daß der Antrag behandelt werden sollte. Ich darf diesen Punkt um einige Nummern zurückstellen und darf zunächst mit Punkt 2 der Tagesordnung beginnen:
Beratung der Interpellation der Fraktionen der Bayernpartei, des Zentrums und der WAV betreffend Gesetzentwürfe über eine Senkung der Tabak-, Kaffee- und Teesteuer .
— Der Begründer der Interpellation ist noch nicht da.
Ich darf Punkt 3 der Tagesordnung aufrufen: Beratung der Interpellation der Fraktion der SPD betreffend steuerlich abzugsfähige Mitgliedsbeiträge .
Wer wird die Interpellation für die antragstellende Partei begründen? — Offenbar ist der Begründer der Interpellation noch nicht anwesend.
— Herr Abgeordneter Seuffert!
Darf ich darauf hinweisen, daß vom Ältestenrat eine Einbringungszeit von 15 Minuten und eine Aussprachezeit von 40 Minuten vereinbart wurde. Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist.
Seuffert , Interpellant: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In § 9 Ziffer 3 des Einkommensteuergesetzes ist klar festgelegt, daß Beiträge zu Berufsständen und sonstigen Berufsverbänden, deren Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, als Werbungskosten und demnach als Betriebsausgabe bei der Einkommen- und Körperschaftssteuer abzugsfähig sind. Ebenso klar ist im Steuerrecht, daß freiwillige Zuwendungen irgendwelcher Art, auch zu politischen Zwecken, nicht steuerabzugsfähig sind. Ich darf am Rande darauf hinweisen, daß sogar die NSDAP, die ja gern und viel genommen hat und ein Monopol auf diesem Gebiete hatte, niemals zugelassen hat, daß die Spenden, die ihr zuflossen, auf dem Weg über Steuergelder verrechnet worden sind.
Den Steuerrechtlern ist bekannt, daß die Frage, wann bei Berufsverbänden ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb vorliegt, schon außerordentliche Schwierigkeiten verursacht hat. Unsere Interpellation bezieht sich auf eine Frage, die nicht in dieser Richtung gelegen ist, sondern in einer anderen. Offenbar haben sich Berufsverbände und ähnliche Vereinigungen in letzter Zeit — oder vielleicht nicht erst in letzter Zeit — in einem Maße mit politischen Aufgaben und mit der Aufbringung politischer Gelder beschäftigt, daß sie aus der Kategorie von wirklichen Berufsverbänden der Kategorie von politischen Organisationen oder Hilfsorganisationen von politischen Parteien außerordentlich nahegerückt sind. Offenbar wird sehr stark die Auffassung vertreten, daß die Politik eine Funktion der Wirtschaft oder genauer gesagt eine Funktion, eine Hilfsfunktion der Vertretung wirtschaftlicher, privatwirtschaftlicher Interessen sei. Es ist nicht mehr so sehr die Abgrenzung zwischen Berufsverbänden und wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben, sondern die Abgrenzung zwischen Berufsverbänden und politischen Verbänden und letzten Endes die Frage der Abgrenzung zwischen Politik und Wirtschaft und Geschäftsbetrieb fraglich geworden.
Die konkreten Fälle, auf die sich unsere Interpellation bezieht, darf ich Ihnen kurz vortragen. Es liegt hier ein vertrauliches Rundschreiben des Verbandes der bayerischen Grundbesitzer e. V. vom 15. September 1950 vor. Der Verband der bayerischen Grundbesitzer e. V. ist praktisch die Vertretung des bayerischen Großgrundbesitzes, und ich möchte Ihnen das Dutzend außerordentlich erlauchter Namen, die unter diesem Schreiben stehen, nicht vorlesen, um mich nicht leichtfertig dem Vorwurf der Aufreizung zum Klassenhaß auszusetzen.
In diesem Rundschreiben heißt es:
Die verantwortungsbewußte Erfüllung der
Aufgaben unseres Verbandes und die Wahrung
der Interessen der in ihm Zusammengeschlossenen macht es uns zur Pflicht, dem Wahlkampf und dem Ausgang der Wahlen nicht untätig zuzusehen. Als Verband kann es bei der gegebenen politischen Lage nur unser Ziel sein, den Bestrebungen der Linksparteien entgegenzuwirken, indem wir die bürgerlichen Parteien in ihrer Gesamtheit stärken. Wir fordern deshalb einstimmig die Mitglieder zur Schaffung eines möglichst starken Wahlfonds auf. Der Zweck dieses Wahlfonds ist eindeutig die Stärkung einer bürgerlichen Majorität.
Ich zitiere immer noch aus dem Schreiben! Es heißt weiter in dem Schreiben, daß der Wahlfonds dadurch aufgebracht werden soll, daß jedes Verbandsmitglied den doppelten jährlichen Beitrag in den Wahlfonds zahlt und daß man bei der nächsten Mitgliederversammlung den Mitgliedsbeitrag um diesen Betrag erhöhen würde, ohne das irgendeinem Zahlungszwang zu unterstellen. Es soll damit die Möglichkeit eröffnet werden, allenfalls die Zahlung als Mitgliedsbeitrag buchen, d. h. natürlich sie von der Steuer abziehen zu können.
Ein anderes, schon etwas älteres Schreiben, das uns vorliegt, ein Rundschreiben des Fachverbandes Nährmittelindustrie e. V. in Bayern vom 22. Mai 1950, teilt mit, daß der Landesausschuß der bayerischen Industrie beschlossen hat, bei den von ihm vertretenen Industrien eine Umlage von 1 DM pro Kopf der Beschäftigten einzuheben und daraus einen Fonds zu bilden, mit dessen Mitteln folgende Aufgaben erfüllt werden sollen: erstens die Presse für die Vertretung des Unternehmerstandpunktes zu gewinnen und ihr druckreife Artikel mit dieser Zielsetzung zuzuleiten — das ist eine Frage der finanziellen Einflußnahme auf die Presse, mit der sich die Presse auseinanderzusetzen hat —; zweitens in der Frage des Mitbestimmungsrechts alle verfügbaren Kräfte zur Erhaltung der Unabhängigkeit des Unternehmers einzusetzen — ein Ziel, das von dieser Seite her verständlich ist, ob man in dieser Weise finanziell dafür arbeiten soll und darf, mag aber eine Frage sein —; drittens die Wahlgelder für die Durchsetzung wirtschafts- und unternehmerfreundlicher Auffassungen in den bürgerlichen Parteien bei der bevorstehenden Landtagswahl sicherzustellen, und andere. Der Sonderfonds soll außerdem dazu dienen, um den bürgerlichen Parteien Zuwendungen für die Wahl in den Bayerischen Landtag zu machen.
Über den auf diese Weise tatsächlich zustande gekommenen Wahlfonds wissen wir inzwischen Näheres. Es ist derjenige Fonds, von dem Herr Bungartz, nunmehr neu gewählter Abgeordneter der Freien Demokratischen Partei im Bayerischen Landtag, urbi et orbi vor einigen Wochen verkündet hat, daß er über ihn disponiert und ihn bei den bayerischen Landtagswahlen eingesetzt hat.
Bei diesen Tatbeständen, meine Damen und Herren, taucht die erste Frage auf: Ist es Aufgabe eines Berufsverbandes, ist es mit dem Charakter eines Berufsverbandes, der für seine Beiträge steuerliche Abzugsfähigkeit in Anspruch nimmt, verträglich, in dieser Weise politische Gelder aufzubringen? Ich versage es mir, an dieser Stelle über die Zusammenhänge mit solchen politischen Geldern, die. festgestellt wurden, zu sprechen, weil das eine Frage ist, mit der sich der Untersuchungsausschuß dieses Hauses noch befaßt.
Die zweite Frage ist vor allem die, ob derartige sogenannte Beiträge oder Umlagen die Abzugsfähigkeit von den Steuergeldern in Anspruch nehmen können, wodurch es möglich wird, der-
artige Zuwendungen praktisch auf Kosten der Staatskasse — wenigstens zum größten Teil — zu machen.
Ich habe hier noch eine weitere Notiz vor mir. Darin ist von verschiedenen Konten die Rede: dem Konto FDP Wirtschaftsdienst Kontonummer 636 Frankfurter Bank, Frankfurt am Main; Konto CDU, Wirtschaftspolitische Beratungsstelle, Mitteldeutsche Kreditbank Frankfurt am Main; und als neutrales Konto ist hier aufgeführt das Konto A. Heinrichsbauer, Frankfurt am Main, Kontonummer 11 513 bei der Rhein-Main-Bank Frankfurt am Main, Sonderkonto Wirtschaftswerbung. Herrn Heinrichsbauer haben wir ja inzwischen näher kennengelernt, insbesondere wie neutral er ist.
In dieser Notiz heißt es, daß die Verwendung der Beträge ausschließlich für den besprochenen Zweck gewährleistet ist und kontrolliert wird, daß die Überweisungen möglichst während der Rücksprache veranlaßt werden sollen, daß Verbandsfirmen, die mehreren Wirtschaftsverbänden angehören, den der Gesamtbeschäftigtenzahl entsprechenden Betrag zu zahlen und daß sie ihren Verbänden entsprechend zu melden haben, daß bei der Durchführung der Besuche auf möglichste Beschleunigung Wert zu legen ist, weil alle Überweisungen bis spätestens Mitte Oktober 1950 zur Verfügung stehen müßten. Kategorisch heißt es dann in dieser Notiz: „Überweisungen auf diese Konten sind als Betriebsausgaben steuerabzugsfähig".
Wir möchten wissen, womit derartige Praktiken und derartige Ankündigungen gerechtfertigt werden können. Ich möchte noch einmal sagen, daß wir in diesem Augenblick darauf verzichten — weil uns das nicht an der Zeit scheint —, vor Abschluß der Untersuchungen des Untersuchungsausschusses auf die Beziehungen der Regierungsparteien oder einzelner Regierungsmitglieder zu solchen Wahlfonds zu sprechen zu kommen.