Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung der Interpellation. Anträge sind nicht gestellt. Damit ist Punkt 3 der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe auf Punkt 4 der Tagesordnung: Beratung der Interpellation der Fraktion der SPD betreffend Hausbrandversorgung .
Der Ältestenrat schlägt Ihnen für die Begründung 30 Minuten, für die Aussprache 90 Minuten vor. — Das Haus ist damit einverstanden.
Wer wird die Interpellation begründen? — Herr Abgeordneter Dr. Koch.
Dr. Koch , Interpellant: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits am 17. Oktober 1950 hat die sozialdemokratische Fraktion die Interpellation wegen der Hausbrandversorgung eingebracht und darin die Bundesregierung gefragt:
Was hat die Bundesregierung getan oder was beabsichtigt sie zu tun, um für den Hausbrand rechtzeitig ausreichende Mengen zu tragbaren Preisen zur Verfügung zu stellen?
Heute, meine Damen und Herren, etwa vier Wochen später, reicht es nicht mehr aus, nur über die Hausbrandversorgung zu sprechen. Wir müssen, wenn wir vorn Hausbrand sprechen, über die Gesamtkohlenlage sprechen, und wenn wir über die Kohlenlage sprechen, müssen wir uns auch mit der Wirtschaftspolitik befassen, die zu dieser Kohlenlage geführt hat.
Noch am 8. November, also heute vor einer Woche, hat in Köln der Bundeswirtschaftsminister Professor Dr. Erhard auf der Kundgebung des Bundesverbandes der Industrie erklärt, daß „es nach der statistischen Lage bei der Kohle keinen drückenden Engpaß geben könne".
Am 8. November, meine Damen und Herren! Und nach dieser Feststellung — auf Grund der „statistischen Lage", betone ich noch einmal — schloß er dann — ein neuer Palmström, kann man wohl sagen — „messerscharf, daß nicht sein kann, was nicht sein darf."
Inzwischen ereilen uns nun aus allen Bezirken des Bundesgebietes alarmierende Nachrichten, und in den letzten Tagen und Stunden verdichten sich diese Hiobsbotschaften zu einem düsteren Gemälde einer Kohlenkatastrophe. Schon in der Haushaltsdebatte hat mein Fraktionsfreund Schoettle auf diese Zustände hingewiesen. Seitdem hören wir .aus Pressemeldungen, daß sich die Situation immer mehr zuspitzt. Ich möchte nur einige wenige der Presseüberschriften aus den letzten Tagen bekanntgeben: „Opel-Werke werden am 17. November schließen müssen", „Kohlenknappheit gefährdet Produktion der Opel-Werke", „Angespannte Ferngasversorgung", „Einführung der Kohlenkarte wäre gerecht". schreibt eine neutrale Zeitung, „Stromeinschränkung wegen Kohlenmangel geplant", „Weitere Stromeinschränkungen", „Auch in Bayern Energiekürzungen" usw. Heute morgen lesen wir in der „Neuen Zeitung", der von dem Herrn Bundeswirtschaftsminister eingesetzte Kohlenkommissar habe angekündigt, daß für die Haushaltungen in diesem Winter nur „kleinste Mengen Brennstoff" — kleinste Mengen Brennstoff! — zur Verfügung stehen.
Was Opel angeht, meine Damen und Herren, so muß festgestellt werden, daß dieses Werk, selbst wenn es heute schlösse, nicht einmal in der Lage wäre, seinen Notbetrieb mit den vorhandenen Kohlen den Winter über durchzuhalten. Was für Opel gilt, gilt für viele Betriebe der Industriegruppe Steine und Erden, die der drittgrößte Kohleabnehmer ist. Uns liegen weiter Telegramme vor von den Regierungspräsidenten aus Kassel und Darmstadt, wonach die Gefahr besteht, daß die Krankenhäuser und Altersheime nicht mehr versorgt werden könnten.
Dort rechnet man mit kalten Operationssälen! Man rechnet mit einer Kürzung der Zuteilungen an die Eisen- und Stahlindustrie in Höhe von 10 bis 18 %. Das wird die ganze Wirtschaft treffen. Bereits in zwei Hüttenwerken soll je ein Hochofen stillgelegt worden sein. Im Bielefelder Raum, berichtet die „Welt", schloß ein Stahldrahtwerk, obwohl es eine glanze Reihe von Exportaufträgen vorliegen hat. Wir hören von Stromeinschränkungen und von Beschränkungen in der Gasversorgung. Der Präsident des Württembergischen Gemeindetages, unser Kollege Kalbfell, hat uns einen Brief geschrieben, in dem er zum Ausdruck bringt, daß die Kohlenversorgungslage der Gaswerke dort unten im Süden katastrophal sei.
Seit Wochen schon — so schreibt er —
bemühen sich die Verbände bei den zuständigen Stellen in Bonn um eine Besserung der Kohlenanlieferung.
Nun habe ich noch einen Kronzeugen für die Gefahr der Situation. Herr Professor Erhard selbst weist nach einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung" vom 11. November mit Rücksicht auf die bedrohlich niedrigen Wasserreserven und die verringerten Kohlenbestände darauf hin, daß — und nun zitiere ich wörtlich —
jede Verzögerung in der Durchführung der von ihm angeordneten Einschränkungsmaßnahmen zu einer katastrophalen Entwicklung der Stromversorgung im kommenden Winter führen müsse.
Das sagt der für diese Zustände verantwortliche Mann!
Meine Damen und Herren, wir sind beinahe so weit, daß wir auf diesem Gebiet — wir haben eben von Notstandsgebieten gesprochen — bald den Bereich der ganzen Bundesrepublik zum Notstandsgebiet für Kohle erklären könnten.
Was aber von allem das schlimmste ist: es mangelt an der Hausbrandversorgung! Die Berichte von Bürgermeistern, Oberbürgermeistern und Landräten sprechen übereinstimmend davon, daß auf diesem Gebiet eine Katastrophe eintreten könnte. Ich habe Ihnen mitgeteilt, was heute morgen der Kohlenkommissar angekündigt hat. Diese Hausbrandsorgen sind eine Volksangelegenheit, die die letzte Hausfrau bedrückt und empört, meine Damen und Herren, um so mehr bedrückt, als sie bis vor kurzem noch von verantwortlicher Stelle in Sicherheit gewiegt worden ist. Da sagt Herr Prof. Erhard, der für diese Lage verantwortlich ist, „der Verbraucher hat versagt",
der Verbraucher habe trotz aller Aufforderungen im Sommer nicht dafür gesorgt, sich Kohle ins Haus zu legen.
Meine Damen und Herren! Müssen wir denn immer wieder daran erinnern, wie schwach die Kaufkraft in der deutschen Bevölkerung bei den steigenden Preisen in dieser sozial verpflichteten Marktwirtschaft ist? Müssen wir daran erinnern, wie groß der Nachholbedarf ist? Müssen wir daran erinnern, daß Millionen von Mitbürgern noch nicht einmal den notwendigsten Wohnraum haben,
geschweige denn den erforderlichen Lagerraum, sich
im Sommer Kohle für den kommenden Winter hinzulegen? Wo soll man in einem Volk das Geld für
die Lagerhaltung hernehmen, wenn 60 % der Einkommen, wie wir in der Haushaltsdebatte hörten,
unter 250 DM monatlich liegen? Dem Verbraucher
wurde außerdem von den verantwortlichen Stellen
der Wirtschaftspolitik immer erklärt, die Preise
hätten sich ausgependelt, sie hätten ihren Höhepunkt erreicht, sie könnten nur noch sinken. Und
heute sagt man ihnen, sie hätten falsch gehandelt.
Was haben Sie denn anders getan, als der Wirtschaftspolitik des Herrn Prof. Erhard zu folgen?
Herr Professor Erhard wendet sich in vielen Reden gegen den Normalverbraucher; ich glaube, wir kommen jetzt zu einem Unternormalverbraucher!
Nun noch einige Ziffern, die in diesen Zusammenhang gehören. Wenn ich den Durchschnitt der Jahre 1935 bis 1938 mit 100 ansetze, so haben im Januar bis Dezember dieses Jahres an Kohle verbraucht: die Bahn 96%, ,die E-Werke 194%, die Gaswerke 196 %, Hausbrand und Kleinverbraucher aber, wozu zum Beispiel das gesamte Handwerk gehört, nur 55,4 %.
Ich glaube, daß auf diesem Gebiet, bei diesem
Posten kaum eine Möglichkeit weiterer Einsparung
besteht. Und gerade dieser Verbraucher, der sowieso schon mit Rücksicht auf sein schmales Portemonnaie vorsichtig im Verbrauch sein muß, wird heute aufgefordert, nun seinen Kohlenverbrauch einzuschränken, nach dem Motto — wir sind es ja gewöhnt in dieser Marktwirtschaft —: den Letzten beißen die Hunde.
In dieser Situation, die ich Ihnen schildern
mußte, um Ihnen den Ernst der Lage zu zeigen,
soweit das notwendig war, sagt der Bundeswirtschaftsminister, „nach der statistischen Lage" könne
es „keinen bedrohlichen Engpaß bei der Kohle
geben". In der Diskrepanz zwischen diesem unverzeihlichen Optimismus, von dem schon bei der
Haushaltsberatung die Rede war, und den tatsächlichen Verhältnissen liegt das Verschulden des
Bundeswirtschaftsministers und der Regierung,
der er angehört. Dieser Optimismus, meine Damen
und Herren, hat in einer Zeit, in der von allen
Seiten auf den Engpaß Kohle hingewiesen wurde,
zu einem verantwortungslosen Nichtstun geführt.
In einer Zeit, in der man planend und vorausschauend auf den Winter sich hätte einrichten können, hat die Regierung die Dinge laufen lassen. Von dieser Verantwortung kann sie niemand freisprechen; insbesondere werden sie nicht die Millionen von Mitbürgern freisprechen, die mit Angst und Furcht dem kommenden Winter entgegensehen. Es muß mit allem Nachdruck festgehalten werden, daß bei etwas Vorausschau die heutige Situation hätte vermieden werden können
— das werde ich Ihnen nachher noch sagen —, aber vor 14 Tagen noch wurde im Bundeswirtschaftsministerium den Elektrizitätslastenverteilern der Länder die Zusage gemacht, daß „die für die öffentliche Stromversorgung benötigten Kohlenmengen zur Verfügung" stünden,
vor 14 Tagen noch, meine Damen und Herren! Es herrscht also bei den Mitarbeitern des Herrn Professors Erhard offenbar derselbe Optimismus in diesen Dingen wie bei ihm.
Das, meine Damen und Herren, ist der Stand am Beginn des Winters 1950/51, fünf bis sechs Jahre nach dem Zusammenbruch, 21/2 Jahre nach dem Beginn, wenn ich so sagen darf, der sozial verpflichteten Marktwirtschaft. Kohlennot, so fragt mit uns das ganze Volk: ist das Schicksal oder Schuld? 1919, 1920, 1945, 1946 und 1947 war die Kohlennot Schicksal, das wir getragen und das wir gebannt haben; aber im Winter 1950/51 ist die Kohlennot kein Schicksal mehr, sondern eine Schuld.
Und der Schuldige, meine Damen und Herren, sitzt im Bundeswirtschaftsministerium!
Darf ich Sie einmal daran erinnern, — und es ist vielleicht gut, wenn wir alle nicht allzu vergeßlich sind wie die Kohlenlage im Winter 1945, 1946 und 1947 war, wie wir uns damals geholfen haben, wie es dank einer zielbewußten und dank einer planenden Wirtschaftspolitik
von Jahr zu Jahr besser geworden ist und daß
diese Erfolge jetzt, im zweiten oder dritten Jahr
der sozial verpflichteten Marktwirtschaft aufs Spiel
gesetzt werden? Darf ich Sie daran erinnern, wie wir alle, meine Damen und Herren, ohne Ausnahme geholfen haben, durch ein Bergarbeiterpunktsystem im Jahre 1947/48, also durch eine planende Maßnahme,
die Dinge an der Ruhr wieder in Gang zu bringen, und zwar auf Kasten der ganzen übrigen Bevölkerung! Ich darf das sagen, weil ich damals als hessischer Wirtschaftsminister diese Dinge in Hessen mit durchziehen mußte, obwohl wir genau wußten, daß diese 350 000 Arbeiter an der Ruhr auf Grund dieses Bergarbeiterpunktesystems genau dasselbe an Textilien und Schuhen erhielten wie die übrigen 42 Millionen Einwohner der beiden Zonen, also des Gebiets der heutigen Bundesrepublik. Aus der Erkenntnis heraus, daß der Bergarbeiterstamm im Ruhrgebiet zu ergänzen und zu verjüngen sei, haben wir damals den Bergarbeiterwohnungsbau unter den schwierigsten Umständen — das wird jeder bestätigen können, der damals im Ruhrgebiet gewesen ist — in Gang gebracht. Wir haben umfassende Maßnahmen in allen Ländern getroffen, um junge Arbeiter für das Ruhrgebiet anzuwerben. Auch das wissen Sie, und auch das werden Sie nicht aus der Welt bringen können.
Die Kohle, die damals gefördert würde, haben wir nach einem Schwerpunktprogramm auf die Industrien verteilt, zunächst an den Bergbau selbst, an die Eisenbahn und an die Eisen- und Stahlindustrie. Ich habe nichts davon gehört, daß uns in jener Zeit der Not, des Mangels, des schlechten Geldes, der zerstörten Brücken und der schwer kämpfenden Eisenbahnen der bayerische Wirtschaftsminister Professor Erhard die Vorzüge einer freien Wirtschaft oder einer sozialverpflichteten Marktwirtschaft gepriesen hätte, ich spreche von den Jahren vor der Währungsreform. Mit 116 000 Tonnen Kohle Tagesförderung haben wir im Jahre 1945/46 begonnen, und mit diesen Programmen und Plänen ist es uns gelungen, bis zum Tage der Währungsreform, also bis zu dem Tage, an dem wir das neue Geld erhielten, trotz der zerrütteten Geldverhältnisse und trotz der schwer kämpfenden Wirtschaft die Tagesförderung an Kohle im Ruhrgebiet auf 285 600 Tonnen zu bringen.
Das, meine Damen und Herren, war das Ergebnis einer zielbewußten Planung in den Tagen einer Zwangswirtschaft, die wir nicht gewollt haben, sondern die wir von den Nationalsozialisten als eine ,der übelsten Erbschaften dieses Systems übernommen hatten. Man wird wohl sagen dürfen, daß es uns damals mit Hilfe der Bergarbeiter an der Ruhr und mit Hilfe dieser Pläne, die ich Ihnen noch einmal in die Erinnerung zurückrief, gelungen ist, durch den Sumpf einer zerrütteten Währung und durch eine in vielen Teilen anarchische Wirtschaft einen, ich möchte sagen, mit Kohle bepflasterten Weg zu legen bis zu dem Tage, an dem die Währungsreform die Möglichkeit zu neuen Verhältnissen schuf. Rund 286 000 Tonnen Tagesförderung am Tage oder Währungsreform, das war das Ergebnis. Dann kam die freie Wirtschaft, also die Wirtschaft, in der das Geld der einzige Bezugsschein ist. in der der Profit der einzige Erfolgsmaßstab wurde.
Am 20. Dezember 1949 wurde der sogenannte zementierte Lieferweg beseitigt; am 27. Januar
1950 wurde die ganze Kohlenbewirtschaftung aufgehoben. Seitdem haben wir auch auf diesem Gebiet die freie Wirtschaft, und die Folgen, meine Damen und Herren, sehen wir heute. Trotz der wesentlich besseren Voraussetzungen nach dem Tage der Währungsreform — ich denke an das neue Geld, ich denke an die Mittel, die aus dem Marshallplan und aus dem ERP-Programm flossen - haben wir es nur auf 350 000 Tonnen gebracht, und das seit langem gesteckte Ziel von 420 000 oder 430 000 Tagestonnen haben wir nicht erreicht. Seit etwa 3/4 Jahren schwankt die TagesFörderung um 350 000, 360 000, 370 000 Tonnen.
Meine Damen und Herren, man wird uns entgegenhalten: Wir haben in den vergangenen Monaten Kohlen ausführen müssen, um unsere Devisenbilanz zu verbessern. Es ist uns bekannt, daß vor wenigen Monaten noch 2 Millionen Tonnen auf der Halde lagen; sie sind ausgeführt worden. Während im Monatsdurchschnitt 1948 1 500 000 Tonnen ausgeführt wurden, 1949 1 800 000 Tonnen, wurden es im Jahre 1950 2 Millionen Tonnen und im letzten Jahresquartal 1950 6 800 000 Tonnen. Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, wie wir in den Jahren 1946, 1947 und 1948 dafür gekämpft haben, unsere Außenhandelsbilanz zu verbessern, damit das Verhältnis nicht mehr zwischen 70 bis 80 % Rohstoff zu 20 bis 30 % Fertigwaren schwankte. Wir haben uns bemüht, dieses Ziel zu erreichen, und es ist uns in etwa gelungen. Um die Devisenbilanz zu verbessern und um lebensunwichtige Dinge einzuführen, führt man heute wieder den wichtigsten Rohstoff, die Kohle, in diesem Umfange aus. Meine Damen und Herren, Herr Professor Erhard ist von den Hortern vor und während der Währungsreform als Schutzpatron in Anspruch genommen worden;
ich glaube, es wäre richtiger gewesen, er hätte vor diesem Winter etwas Kohle für die notleidende Bevölkerung gehortet.
Aber das sind die Schattenseiten einer hemmungslosen, einer einseitigen, allzu einseitigen Liberalisierung des Außenhandels, daß man für alle möglichen unnötigen Dinge — ich erinnere an Toiletteartikel und Parfums, an Südweine und an sonstige Nutzlosigkeiten, die man mit Devisen bezahlen muß — nunmehr Kohle ausführt, wofür wahrscheinlich Millionen in diesem Winter werden büßen müssen.
Man wird uns entgegenhalten, man sei zu diesem Export gezwungen worden, meinetwegen auch durch die Beschlüsse der Ruhrbehörde. Ich darf an den Widerstand erinnern, den wir von Anfang an gegen diese Institution erhoben haben. Warum hat sich die Regierung, die sich bei Einrichtung dieser Kontrollbehörde so stark fühlte, nicht über die Ruhrbehörde eingeschaltet und Vorsorge getroffen, daß wir die notwendigen Kohlen für unseren eigenen Bedarf behielten? Ich frage weiter: ist es wirklich notwendig, daß wir in dieser Zeit aus den Vereinigten Staaten 500 000 Tonnen Kohle einführen und dafür Zement eintauschen?
Man wird uns weiter entgegenhalten, der Bergbau habe mit Rücksicht auf den Zustand seiner Anlagen nicht mehr leisten können. Auch wir wissen, daß seit dem Jahre 1938 Raubbau an den
Anlagen und an den Vorkommen getrieben worden ist. Auch wir wissen, daß kein Zugang an Neuaufschlüssen gewesen ist und daß der Bergbau an der Ruhr schwer darunter leidet. Aber darauf hat diese Wirtschaftspolitik eben keine Rücksicht genommen. Wir dürfen daran erinnern, daß sich Herr Professor Erhard gerühmt hat, seit der Währungsreform seien in jedem Jahre etwa 10 Milliarden D-Mark in diese Wirtschaft investiert worden. Der Ruhrbergbau beziffert die notwendigen Investitionen auf 3 Milliarden D-Mark. Wäre es nicht möglich gewesen, wenn man die Selbstfinanzierung etwas zurückgesetzt hätte, diese Gelder zu einem größeren Teil in den Ruhrbergbau fließen zu lassen? Aber dazu, meine Damen und Herren, hätte es eines Investitionsprogramms und einer gewissen Planung bedurft,
und wir fragen den Wirtschaftsminister, ob er überhaupt ein derartiges Investitionsprogramm hat. Wir wissen, daß der Bergbau bei der Verteilung der Marshallplan-Gelder zugunsten der Energiewirtschaft sehr vernachlässigt worden ist. Heute rächt sich das, und das ganze Volk muß diese Fehler bezahlen. Von der Ruhr hören wir — das ist nicht meine eigene Wissenschaft —, daß seit 2 Jahren der Ausbau im Ruhrbergbau versäumt worden ist, obgleich man in diesen Jahren des neuen Geldes die Möglichkeit zum Ausbau gehabt hätte.
Meine Damen und Herren, man wird uns darauf hinweisen, daß Arbeiter abgewandert, daß die Arbeiter überaltert seien, daß noch viele Invaliden im Ruhrbergbau beschäftigt würden. Auch das wissen wir alles. Aber wir fragen, was hat man denn angesichts der bestehenden Arbeitslosigkeit in dieser Bundesrepublik getan, um genügend Arbeiter an die Ruhr zu ziehen, wie wir es vor der Währungsreform mit Erfolg getan haben? Es fehlen noch hunderttausend Bergarbeiterwohnungen an der Ruhr, hören wir. Warum hat man die so hoffnungsvoll eingeleiteten Arbeiter-Wohnungsbauprogramme nicht entsprechend fortgesetzt? Warum hat man nicht dafür gesorgt, daß die Arbeiter, die aus allen Ländern der Bundesrepublik in das Ruhrgebiet zugewandert waren, dort nun auch in eigenen Wohnungen heimisch wurden? Den Arbeitern, die von 1945 bis 1948 immer der Gegenstand unserer größten Sorge gewesen sind — ich erinnere in diesem Zusammenhang an das Bergarbeiterpunktesystem, an den Wohnungsbau, an die Auslandshilfen, z. B. die Hilfen aus den Vereinigten Staaten, die Care-Paket-Aktionen usw. —, sagt man heute im Wirtschaftsministerium — das war bei der Diskussion der Opel-Belegschaft mit dem Betriebsrat von Opel —, daß sie an den heutigen Schwierigkeiten in der Kohleversorgung mit schuld hätten.
Ich glaube, man vergißt dabei, wie die Löhne heute hinter den Preisen herhinken, daß jede noch so wohlgemeinte Lohnerhöhung in den doppelt gestiegenen Preisen wieder untergeht. Man vergißt also die ungesunde Relation zwischen Preisen und Löhnen, und man vergißt, daß diese ungesunde Relation die Arbeitsfreudigkeit zweifellos nicht heben kann. Man vergißt dabei die Altersschichtung im Ruhrgebiet, den zu hohen Anteil der Alten und Invaliden.
Unter den obwaltenden Verhältnissen — das möchte ich für meine Fraktion sagen - sind die
Dr. Koch)
Leistungen im Ruhrbergbau über jeden Erhardschen Tadel erhaben.
Wir alle, meine Damen und Herren, sollten nicht vergessen, wie schwierig der Aufbau gewesen ist, wir sollten diesen Aufbau dankbar anerkennen und daran denken, unter wie schwierigen Verhältnissen heute noch dort an der Ruhr gearbeitet wird.
Nun suchen wir alle, auch wir von der Opposition, nach einem Ausweg aus dieser Kohlennot.
Über seine planenden und lenkenden Maßnahmen,
die uns Herr Professor Erhard heute als marktkonforme Maßnahmen der sozialverpflichteten
Marktwirtschaft deklarieren wird, mag er uns
selbst berichten. Wir haben keine Veranlassung,
ihm das abzunehmen. Aber auf eines möchten wir
hinweisen, nämlich auf unsere ständigen Voraussagen: Wenn ihr euch nicht entschließen könnt, eine
planvolle, eine sinnvoll gelenkte Wirtschaft, wie es
in der 'hessischen Verfassung heißt, einzurichten,
dann werdet ihr nicht umhin können, eines Tages
zu zwangswirtschaftlichen Maßnahmen zu greifen.
Ich darf Herrn Professor Erhard in diesem Zusammenhange — ich bitte, mir zu erlauben, mich selbst zu zitieren — an die Eröffnung der Frankfurter Messe im Herbst 1948 erinnern. Damals, als die ersten Folgen dieser freien Wirtschaft spürbar wurden, habe ich als hessischer Wirtschaftsminister folgendes gesagt:
Mir ist längst bekannt, daß die weitesten Kreise auch des Handels und der Industrie die Entartungserscheinungen dieser Entwicklung tief bedauern, und sie wissen, von ihnen allein hängt es ab, ob es uns gelingt, die Zwangswirtschaft zu überwinden, oder ob der Staat gezwungen sein wird, um der breiten Masse willen wieder mehr einzugreifen und Mittel eines Systems anzuwenden, das wir alle ablehnen.
Und so weit sind wir heute.
Es mutet uns wie ein schlechter Scherz an, wenn der Bundeswirtschaftsminister dieser Tage vor der Industrie- und Handelskammer — ich möchte hinzufügen: wo sonst? —
in Ulm uns damit getröstet hat: „Die Kohlenkrise in Westdeutschland wird" — und nun bitte ich Sie, genau aufzuachten - „bis zum Frühjahr überwunden sein".
Sie haben mich nicht mißverstanden, meine Damen und Herren: „bis zum Frühjahr". Ich möchte im Namen meiner Fraktion den Herrn Bundeswirtschaftsminister mit allem Ernste darauf aufmerksam machen, daß sich im Frühjahr Millionen von Kleinverbrauchern für seine Kohlen kaum mehr interessieren werden. Denn da wird nach einem sinnvollen Weltenplan hoffentlich die Sonne wieder scheinen, und auf diesen Plan werden wir uns verlassen können.
Meine Damen und Herren, ebenso unerhört wie dieser Hinweis auf die Frühjahrskohlen ist meines Erachtens die Empfehlung des Bundeswirtschaftsministers an bestimmte Bezirke und Kreise: zur Versorgung der Krankenanstalten, der Armenhäuser und der Altersheime möchten sich die kommunalen Gasanstalten - ich bitte Sie aufzuachten, ich zitiere wörtlich - „elastisch aus ihren bestehenden Verpflichtungen lösen." Das heißt also: Vertragsbruch in einem selbstverschuldeten Notstand.
Nun wird im Rahmen der Anordnung an die Landeswirtschaftsminister, den Stromverbrauch um 10 % einzuschränken, angeordnet, die Schaufenster sollten verdunkelt werden, wir sollten auf Lichtreklame verzichten. Das kann nur optisch gesehen sein. Denn für Hamburg z. B. beträgt der Anteil der Lichtreklame am Gesamtverbrauch ganze 0,5 %.
Im Gegensatz zu früher, im Gegensatz zur Schaufensterpolitik der vergangenen Jahre scheint uns dies übrigens eine umgekehrte, eine negative Schaufensterpolitik zu sein.
Es wird dunkel in der sozialverpflichteten Marktwirtschaft.
Nun führt man Verhandlungen mit der RuhrBergarbeiterschaft. Man besinnt sich darauf, daß man ohne sie diese Notlage nicht wird beheben können. Diese Verhandlungen schweben noch, und ich glaube, es ist nicht unsere Aufgabe, in die Verhandlungen einzugreifen, die zwischen dem Bundeswirtschaftsministerium und den Arbeitern geführt werden. Aber jedenfalls halten wir es für bedauerlich, daß erst eine schwierige Kohlenversorgungslage entstehen mußte, bis man sich entschloß, dem schweren Beruf des Bergmanns auch die finanzielle Anerkennung zu geben. Ich darf in diesem Zusammenhange sagen, daß der Bergmann erst an fünfter Stelle in der Lohnskala steht.
Aber derartige Maßnahmen können ja nicht auf die Dauer helfen. Zwei Sonderschichten im Monat kann der Bergmann ohne Gefährdung seiner Gesundheit nicht auf sich nehmen, sie können auf die Dauer nicht geleistet werden. Wir werden - und ich nehme ganz bestimmt an, daß wir das ja auch aus dem Munde des Bundeswirtschaftsministers hören werden — zu Lenkungs- und Planungsmaßnahmen greifen müssen. Dazu unsere Vorschläge:
Wir erwarten als sozialdemokratische Opposition eine sorgfältige Lenkung der Rohstoffe in die wichtigsten Kanäle. Wir brauchen Schwerpunktprogramme, wie wir sie seinerzeit ausgearbeitet und wie sie uns seinerzeit geholfen haben.
Wir erwarten eine Förderung des BergarbeiterWohnungsbaus; denn dadurch werden wir neue Arbeitskräfte in das Ruhrgebiet ziehen können.
Wir erwarten die Vermeidung von Fehlinvestitionen in der Wirtschaft. aber diese Fragen und über die Fragen der Selbstfinanzierung werden wir uns noch zu unterhalten haben, wenn wir über die Steuern beraten.
Wir erwarten ein viel energischeres Eingehen auf die Nachwuchsprobleme: Ausbildung der Lehrlinge, Bau von Lehrlingsheimen. Das kann man nicht allein der Industriegewerkschaft Bergbau und der Deutschen Kohlenbergbauleitung überlassen. Der Staat, der Arbeitsminister vor allem, müssen sich für diese Dinge interessieren.
Wir erwarten aber auch Maßnahmen, durch die sichergestellt wird, daß in dieser Notlage nun nicht wieder alle die zum Zuge kommen, die sich an der Not des Volkes auch sonst zu bereichern pflegen.
Wir erwarten Preisbindungsvorschriften für Kohle. Wir erwarten eine Sicherstellung der Kohle, die für den Hausbrand zugeteilt wird; wir erwarten, daß diese nach den neuesten Plänen des Bundeswirtschaftsministers zu verteilende Kohle auch wirklich in den Hausbrand geht und nicht etwa auf schwarzem Wege wieder an der lohnenderen Stelle in der Industrie landet. Wir erwarten eine vollständige Wandlung und Sinnesänderung in der Wirtschaftspolitik, wie es vorhin schon bei den Notstandsprogrammen zum Ausdruck gebracht wurde. Die Wunderwirkung des neuen Geldes, des Marshallplans und der ERP-Programme haben geholfen, uns voranzubringen. Durch die zweigleisige Wirtschaftspolitik - ich darf jetzt auch an das Verhältnis zur Ernährungspolitik erinnern, wo es ja ganz anders aussehen soll — ist erreicht worden, daß die sozialen Gegensätze in unserem Volk immer größer geworden sind. Muß ich Sie an die Brotpreisdebatte erinnern, an ,die Diskussionen um den Zucker? Die heutige Kohlenlage ist nur eine Folge dieser Wirtschaftspolitik.
Wir erwarten auch ein Eingehen auf die politischen Forderungen der Bergarbeiter. Wir dürfen Sie daran erinnern, daß die Arbeiter an der Ruhr voll Mißtrauen den schleppenden Gang der Verhandlungen über das Mitbestimmungsrecht in den Betrieben und in den höheren Bezirken der Wirtschaft beobachten.
Wir wissen, daß die Arbeiter dort und die Gewerkschaften nicht die Absicht haben, diese Forderung noch einmal wieder fallen zu lassen. Und vergessen Sie weiter nicht, meine Damen und Herren, daß die Neuordnung an Rhein und Ruhr — nicht etwa nur die technisch-wirtschaftliche, sondern auch die eigentumsmäßige — für den Arbeiter im Bergbau ein Problem ist, das er in seinem Sinne und im Sinne der Verfassung gelöst wissen will.
Meine Damen und Herren! Auch heute noch — und ich bitte, mir zu erlauben, das noch zitieren zu dürfen — trifft eine Entschließung zu, die im Frühjahr 1948 die Ministerpräsidenten der Länder nach einer Besichtigungsreise im Ruhrgebiet faßten. Es war Ministerpräsident Ehard dabei und Ministerpräsident Arnold, der vorsaß, und Berlin vertrat Bürgermeister Friedensburg, eine Entschließung, die erkennen läßt, wie eng der Zusammenhang ist zwischen ,der Kohlenlage und der Wirtschaftspolitik einerseits und der Mitbestimmung und der Neuordnung andererseits. Diese Entschließung der Ministerpräsidenten aus dem Jahre 1948 enthält folgende Sätze — und sie treffen heute noch zu —:
Die Entscheidung über das Eigentum an der Kohlenwirtschaft und über die Frage einer Ablösung der bisherigen privatkapitalistischen Form zu Gunsten einer gemeinwirtschaftlichen Ordnung konnte bisher noch nicht getroffen werden, weil eine deutsche Zuständigkeit noch nicht gegeben ist. Eingehende Ermittlungen
— das war das Ergebnis dieser Besichtigungs-
reise —
haben zweifelsfrei gezeigt, daß eine wirksame Leistungssteigerung im Bergbau maßgeblich mitbestimmt wird davon, ob baldmöglichst für die Ruhrwirtschaft eine Lösung gefunden
wird, die dem Willen des deutschen Volkes entspricht.
Ich glaube, dem könnten wir alle zustimmen.
Meine Damen und Herren!