Rede von
Fritz
Erler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Die Debatte hat ein Gutes gehabt. Sie hat auf alle Fälle gezeigt, daß hinter diesem Gesetzentwurf mehr steckt, als die meisten Abgeordneten vielleicht bei der Entgegennahme der Drucksache geahnt haben. Manchen ist vielleicht erst jetzt nach der Auseinandersetzung hier das Problem so richtig klar geworden; manche haben vielleicht erst jetzt erkannt, worum es dabei eigentlich geht.
Ich möchte mich der Reihe nach — denn die Aussprache ist neu eröffnet, Herr Minister, wofür ich Ihnen von Herzen danke —, ich möchte mich der Reihe nach mit allen diesen Argumenten in aller Kürze auseinandersetzen.
Selbstverständlich sind wir nicht für Fehlinvestitionen. Selbstverständlich wissen wir auch, daß die deutsche Wirtschaft Investitionskapital braucht. Wir leugnen nicht die in Trümmer liegenden Städte und den Rückstand unseres Verkehrswesens, wir leugnen auch nicht die demontierten Produktionsanlagen, die wieder aufgebaut werden müssen. Aber glauben Sie denn, daß Kapital, das dadurch fehlgeleitet wird, weil man hohe Dividendenausschüttungen nicht verhindert, dadurch richtiger geleitet wird, wenn man es in den Betrieben verpulvert, um Steuern zu sparen? Das ist doch genau das gleiche, was Sie mit ihrer Steuergesetzgebung auf dem Gebiet der Selbstfinanzierung hier angerichtet haben.
Es ist doch gar nicht wahr, daß in Deutschland die Kapitalbildung so außerordentlich schwach ist. Es ist sehr viel Kapital in Deutschland erarbeitet worden. Wenn Sie einmal die Summe der ausgezahlten Löhne zu dem in der ganzen Bundesrepublik erarbeiteten Kapital und zu den in der ganzen Bundesrepublik pro Jahr hinzugewachsenen Aufwendungen an Investitionen in ein Verhältnis setzen, dann werden Sie zu dem Ergebnis kommen, daß aus jeder Mark an Lohn rund 50 Pfennig an Kapital erarbeitet worden sind. Leider gilt aber auf diesem Gebiet immer noch in Deutschland der nach Tolstoi bewährte Grundsatz: „Jawohl, Arbeit entsteht durch Anhäufung von Reichtum, indem die einen das Arbeiten und die anderen das Anhäufen besorgen."
Wir müssen uns endlich einmal angewöhnen, daß mit diesem Grundsatz gebrochen wird. Wenn wir schon diese Intervestitionen aus dem Schweiß unseres ganzen Volkes bestreiten, dann muß man auch z. B. bei der Debatte über das Mitbestimmungsrecht dafür sorgen — einer Debatte, die wir in diesem Hause noch einmal führen werden —, daß alle diejenigen, die außer den Kapitaleignern durch ihre Arbeit Werte in diesem Lande schaffen, aber keine Kapitalbesitzer sind, auch darüber ein Mitspracherecht bekommen, was mit dem Ertrag dieser Arbeit geschieht.
Alles das sind Erwägungen, die einem natürlich durch den Verlauf dieser Debatte hier jetzt nahegelegt werden. Man will uns hier gewissermaßen unterschieben, wir seien dafür, mit einer reichlich blödsinnigen nationalsozialistischen Gesetzgebung weiterhin dafür zu sorgen, daß Kapital fehlgeleitet wird. Sagen Sie mir doch, wie Sie es richtiger leiten wollen? Schauen Sie doch in die Wirtschaft, was dort wirklich an Fehlinvestitionen passiert ist, nicht nur im Dritten Reich — die haben gerüstet, und die ganze Rüstung war eine einzige Fehlinvestition —, sondern was allein auf dem Gebiet der Luxusindustrie in den vergangenen Jahren fehlinvestiert worden ist, nicht weil einige Leute keine hohen Dividenden ausschütten können, sondern weil die Leute durch die Steuerpolitik geradezu dazu angereizt und dafür prämiiert worden sind, Überschüsse nicht dem Kapitalmarkt zuzuführen.
Wie wollten Sie denn den Kapitalmarkt in Ordnung bringen? Haben Sie denn eine Garantie dafür, daß die mehr ausgeschüttete Dividende wirklich dem Kapitalmarkt zufließt, daß sie nicht einfach wieder in den Luxuskonsum fließt? Das wissen Sie genau so wenig wie ich; das ist zunächst eine vollkommen unbewiesene Behauptung von Ihnen. Die bisherigen Erfahrungen beweisen uns, daß die Entwicklung entgegengesetzt verlaufen wird. Sie werden damit den Kapitalmarkt nicht fördern, sondern ihn ganz zum Erliegen bringen, weil der Markt der festverzinslichen Werte festsitzt, auf den der größte Teil unserer öffentlichen Ausgaben heute angewiesen ist und auf dem die größten Investitionsvorhaben liegen. Die zertrümmerten Städte bauen Sie mit der Privatinitiative allein nicht wieder auf! Die Leute sagen sich: Nein, nein, bei den Mietpreisen gehen wir nicht an den Wohnungsbau ran.
— „Sehr richtig?" — Aha, Sie wollen den Leutchen nur dann Wohnungen zukommen lassen, wenn sich die Wohnungen für die Eigentümer der Häuser rentieren, und wir wollen Wohnungen bauen, damit die armen Leute Wohnungen bekommen!