Rede von
Dr.
Thomas
Dehler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung teilt den Standpunkt, der soeben von Herrn Abgeordneten Höfler in der Interpellation dargelegt worden ist.
Die Auslieferung von Deutschen, die nach Kontrollratsgesetz Nr. 10 vom 20. Dezember 1945 wegen Kriegsverbrechen belangt werden, gehört- nach Ansicht der Besatzungsmächte zu den ihnen auf Grund des Besatzungsstatuts vorbehaltenen Gebieten. Sie erkennen in diesen Fällen — ich muß sagen: zum Schmerz aller guten Demokraten — die Bestimmung des Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes, nach der kein Deutscher an das Ausland ausgeliefert werden darf, nicht als für sie verpflichtend an.
Die Bundesregierung war von Anfang an mit allem Nachdruck bemüht, die Besatzungsmächte zu bestimmen, von einer Auslieferung Deutscher wegen angeblicher Kriegsverbrechen Abstand zu nehmen. Insbesondere hat sie fortgesetzt gebeten, von der Auslieferung an die Oststaaten abzusehen, da in diesen Ländern die Garantien für die Durchführung eines rechtsstaatlichen Begriffen entsprechenden Strafverfahrens nicht gegeben sind. Sie hat dabei ihre vorbehaltlose Bereitwilligkeit erklärt, über die gegen die betroffenen Personen erhobenen Beschuldigungen durch deutsche Gerichte nach deutschem Recht entscheiden zu lassen.
Die Bundesregierung glaubte, die Erwartung hegen zu dürfen, daß ihre Vorstellungen bei den Besatzungsmächten weitgehende Berücksichtigung finden würden, zumal diese Auslieferungspraxis mit der allgemeinen politischen Entwicklung der letzten Zeit, der sich anbahnenden Eingliederung der Bundesrepublik in die europäische Völkerfamilie und der im Verfolg der New-Yorker Außenministerbeschlüsse in Aussicht gestellten Übertragung weiterer Zuständigkeiten an die Bundesrepublik nicht mehr vereinbar ist. Um so schmerzlicher ist sie von der Tatsache berührt, daß seit kurzem erneut in mehreren Fällen, besonders in der amerikanischen Besatzungszone, die Auslieferung von Deutschen wegen angeblicher Kriegsverbrechen verlangt wird und zum Teil auch bereits durchgeführt worden ist. Die Bundesregierung wird nach wie vor nichts unversucht lassen, um durch Vorstellungen bei den Besatzungsmächten die Auslieferung von Deutschen wegen angeblicher Kriegsverbrechen zu verhindern.
Der zweite Punkt der Interpellation betrifft die Gerüchte über bevorstehende Hinrichtungen von Deutschen auf Anordnung der alliierten Mächte. Dazu folgendes: Die Zahl der von alliierten Gerichten rechtskräftig zum Tode verurteilten und noch nicht hingerichteten Deutschen beträgt nach den bei uns vorliegenden Informationen im Inland 28, in den Ländern des Westens rund 30. Seit Beginn unserer Arbeit hat die Bundesregierung ihr Bestreben dahin gerichtet, eine Vollstreckung von rechtskräftigen Todesurteilen zu verhindern, nicht weil sie der Ansicht wäre, daß todeswürdige Ver-
brechen nicht zu sühnen seien, sondern aus folgenden Gründen.
Erstens: Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland hat die Todesstrafe abgeschafft. Es erscheint für die in Deutschland befindlichen zum Tode Verurteilten als eine bedauerliche Abweichung von dem verfassungsmäßig festgesetzten Grundsatz, wenn heute noch Hinrichtungen stattfinden, dies um so mehr, als die Besatzungsmächte diesem Grundsatz für gewöhnliche, kriminelle Verbrecher, die von der Besatzungsmacht zum Tode verurteilt werden, bereits Rechnung tragen.
Zweitens: Bei diesen zum Tode Verurteilten, insbesondere bei den in Landsberg Festgehaltenen, ist seit der Fällung des Urteils eine so lange Zeit, zum Teil vier Jahre, vergangen, daß es dem Rechtsempfinden widerspricht, diese Urteile heute noch zu vollstrecken.
In allen Kulturstaaten ist es üblich, daß die Hinrichtungen in einer angemessenen Frist auf die Verurteilungen folgen müssen. Die jahrelang dauernde Ungewißheit über das endgültige Schicksal wird als unmenschlich angesehen und zum mindesten als eine der Vollstreckung der Todesstrafe entsprechende Sühne betrachtet.
Drittens: Zwar sind in manchen Fällen die den zum Tode Verurteilten zur Last gelegten Tatbestände außerordentlich schwerwiegend; sämtliche Urteile sind indessen auf Grund von Sondergesetzen ergangen, die überwiegend die Todesstrafe mit rückwirkender Kraft bestimmen.
Was die in Landsberg festgehaltenen Verurteilten anlangt, so war die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung ihrer Verurteilung nicht gegeben. Der von dem amerikanischen Hohen Kommissar eingerichtete Clemency Board ist, wie sein Name besagt, eine Gnadeninstanz. Der vorn obersten europäischen Kommando — EUCOM — für die in Dachau abgeurteilten Fälle zuständige und dafür eingesetzte Modification Board entspricht nicht den Anforderungen, die man an eine unabhängige Prüfungsinstanz stellen muß. Diese Auffassung wird keineswegs nur von deutscher Seite vertreten. Die Mitglieder dieses Modification Board sind Militärpersonen und dem obersten europäischen Kommando unterstellt.
Viertens: Vor allem spricht nach der Auffassung der Bundesregierung gegen eine weitere Vollstreckung von Todesurteilen die Tatsache, daß seit der Einstellung der Feindseligkeiten ein so langer Zeitraum verstrichen ist, daß die Öffentlichkeit durch nunmehr erfolgende Hinrichtungen aufs schwerste beunruhigt werden würde. Das Bewußtsein, daß todeswürdige Verbrechen Sühne finden müssen, ist bei uns Deutschen vorhanden. Die Überzeugung, daß die zum Tode Verurteilten auf Grund eines Rechts, das alle bindet, verurteilt wurden, fehlt in der deutschen Öffentlichkeit.
Aus diesen Erwägungen hat die Bundesregierung seit ihrem Bestehen bei allen zuständigen Stellen sowohl im allgemeinen wie in zahlreichen Einzelfällen Vorstellungen gegen die Vollstreckung von Todesurteilen erhoben. Sie hatte teilweise Erfolg. Nach Pressemeldungen hat der amerikanische Hohe Kommissar erklärt, daß mit einigen Hinrichtungen in Landsberg zu rechnen sei. Die Bundesregierung wird bei der Alliierten Hohen Kornmission erneut ernste Vorstellungen erheben. Sie hofft, daß die zuständigen und verantwortlichen alliierten Stellen unseren Erwägungen noch mehr als bisher Aufmerksamkeit im Sinne einer wirklichen und endgültigen Befriedung schenken und davon absehen werden, Todesurteile zu vollstrecken.