Rede von
Werner
Jacobi
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich vorhin den Abgeordneten Oskar Müller anhörte, kam mir ein Wort in Erinnerung, das früher einmal gesprochen worden ist: Pathos ersetzt keine Überzeugungskraft!
Der Herr Abgeordnete Müller hat mit pathetischen Worten die Vorzüge der Demokratie und die Bereitschaft erwähnt, die von seiner Partei an den Tag gelegt werde und dazu führen solle, mit demokratischen Mitteln an der Verteidigung der bedrohten Demokratie mitzuwirken.
Nun, die demokratische Haltung der Kommunistischen Partei ist dem einen oder anderen nach 1945 gelegentlich glaubwürdig gewesen.
Damals kamen die Kommunisten zusammen mit uns aus den KZs und erklärten, sie sähen ein, daß sie früher Fehler gemacht hätten, und sie seien bereit, nun aufbauwillig mitzuwirken.
Der Abgeordnete Müller hat darauf hingewiesen, vor 1933 habe sich eine ähnliche Entwicklung angebahnt und schließlich vollzogen, wie sie jetzt abzutasten sei. Er hätte das besser nicht getan!
Denn die Republik von Weimar ist nicht zuletzt daran zugrunde gegangen, daß sie nicht die Kraft gefunden hat, sich rechtzeitig ihrer Feinde zu erwehren.
Hätte die Republik von Weimar diejenigen aus den öffentlichen Ämtern entfernt, die — schon vorher zum Teil im Besitz der Macht — später mit diesem Apparat alles getan haben, um die letzten Reste demokratischer Ordnung zu vernichten, dann wäre ihr vielleicht ein solches Schicksal nicht beschert worden, wie sie es schließlich gefunden hat. Damals, Herr Abgeordneter Müller, vor 1933 — Sie sollten an diese Zeit nicht erinnern, wenn Sie taktisch gut beraten wären —, haben Sie doch bei jeder Gelegenheit Ihre Feindschaft gegen die Republik von Weimar an den Tag gelegt.
Damals haben Sie doch in den Parlamenten keine Gelegenheit außer acht gelassen, Regierungskrisen hervorzurufen und die öffentliche Ordnung zu stören. Sie sind also in keiner Weise berechtigt, hier als Zeuge aufzutreten, wenn Sie auf Fehler und Gefahren hinweisen und dabei die Zeit vor 1933 erwähnen.
Seien Sie unbesorgt, wir brauchen Sie nicht als Schutz! Wir Sozialdemokraten sind wachsam und stark genug, um dafür zu sorgen, daß gegen uns keine Maßnahmen ergriffen werden, wie sie der Herr Abgeordnete Müller soeben aus taktischen Gründen an die Wand malte.
Was die Gewerkschaften anlangt, so hätte es sich empfohlen, daß der Abgeordnete Müller auch hier etwas vorsichtiger gesprochen hätte. Offensichtlich hat er noch keine Zeit gefunden, das Weißbuch der Gewerkschaften zu studieren, das vor einigen Tagen hier an das Haus verteilt worden ist.
Aus diesem Weißbuch ergibt sich eindeutig, daß die Gewerkschaften durchaus begriffen haben, daß gewisse Maßnahmen denkbar und erforderlich sind, die die Demokratie vor ihren heuchlerisch getarnten Feinden schützen.
Noch ein Wort zu den Bemerkungen des Herrn Abgeordneten Müller. Wenn er schon das Bonner Grundgesetz zitiert und wenn er es uns schon als eine Art Spiegel vorhält, aus dem wir erkennen sollen, wie wir zu handeln haben, dann sollte er es richtig studieren. Dann sollte er nicht nur den Art. 19 zitieren, sondern sich auch den Art. 18 betrachten, der unter bestimmten Voraussetzungen von der Verwirkung der Grundrechte spricht.
Er sollte auch daran denken, daß es einen Art. 21
Abs. 2 gibt, in dem es dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten bleibt, im Einzelfall festzu-
stellen, inwieweit eine Partei oder eine Organisation verfassungswidrig ist. Im Grundgesetz sind also Kautelen vorgesehen, und diese Bestimmungen sind nicht zuletzt auf die Erfahrungen aus der Zeit vor 1933 gegründet.
Zur Sache selbst muß man eines von vornherein feststellen. Der Erlaß der Bundesregierung vom 19. September ist nichts anderes als eine Deklaration. Er ist kein Akt der Rechtsschöpfung; er schafft kein neues Recht, sondern er weist nur darauf hin, daß unter bestimmten Voraussetzungen das eine oder andere getan werden müsse. Wie es getan wird, ist im Augenblick noch gar nicht klar. In diesem Beschluß der Bundesregierung in Verbindung mit dem, was der Herr Bundesinnenminister dazu erlassen hat, finden sich eine Reihe von Feststellungen, die uns zu Bedenken Veranlassung geben, zu Bedenken jedenfalls in der Richtung, als uns im Augenblick nicht gewährleistet erscheint, daß die Bundesregierung, wie es in dem Erlaß des Bundesinnenministers zu lesen ist, links- und rechtsradikalen Bestrebungen oder Organisationen ihre Aufmerksamkeit wirklich in gleicher Weise zollt.
Wir haben von dieser Tribüne her des öfteren Bedenken gegen gewisse personalpolitische Maßnahmen der Bundesregierung geltend gemacht. Ich darf in diesem Zusammenhang noch einmal auf das Weißbuch der Gewerkschaften verweisen, in dem bestimmte Personen genannt werden, zu denen von unserer Seite wiederholt Kritik geäußert worden ist. Bis zur Stunde wissen wir noch nicht, ob der Herr Bundeskanzler, der doch nach alledem, was wir von ihm wissen, sicherlich über einige Autorität verfügt, es fertiggebracht hat, daß Herr Ehrich endlich aus dem Ministerium des Herrn Ministers Hellwege verschwunden ist. Ich weiß nicht, wie es damit steht. Offenbar ist er nach wie vor im Amt. Ich glaube, daß die Bundesregierung gut daran getan hätte, in dem einen oder andern Fall nicht mit einer einfachen Handbewegung oder mit einer Erklärung über die Beschwerden der Opposition hinwegzugehen, sondern zu handeln. Sie würde demokratisch glaubwürdiger dastehen, als es bei der Unterlassung dieser Maßnahmen von uns aus gesehen heute der Fall ist.
Was die rechtliche Beurteilung des Erlasses anlangt, so sagte ich bereits: es handelt sich um eine Deklaration. Und das möchte ich den Herrn Antragstellern sagen: wenn in der Ostzone von den untergeordneten Stellen die Möglichkeit und die Befugnis zum Erlaß einer solchen Anordnung so sorgfältig geprüft würde, wie es hier der Fall ist, dann stünde es um die Sicherheit der Menschen in der Zone des Schweigens ein wenig besser. Es steht nämlich fest, daß von den Landesregierungen und auch von den Kommunalverwaltungen zur Zeit noch eingehende Untersuchungen über Art und Ausmaß der Maßnahmen laufen, die auf Grund des Erlasses der Bundesregierung getroffen werden sollten. Wir als Sozialdemokraten haben dazu zu sagen, daß wir es für rechtsstaatlich unerläßlich halten, daß nicht die Gesinnung, sondern nur die Tat, das Verhalten im Einzelfall Gegenstand der Beurteilung einer solchen Entlassungsmaßnahme ist. Ich denke auch, daß in der Praxis nicht anders verfahren wird. Wir möchten nicht mithelfen, daß sich eine Art Hysterie austobt, daß Maßnahmen ergriffen werden, die nichts anderes als eine Wiederholung dessen sind, was wir in der Zeit der schematischen Entnazifizierung erlebt haben. Einen solchen Schematismus, eine solche Generalisierung halten wir für verderblich. Gebrannt' Kind scheut das Feuer. Man sollte im Einzelfall sorgfältig überlegen, wie weit man zu gehen hat.
Es liegen Urteile von hochangesehenen Juristen vor, die gegen eine schematische Durchführung von Entlassungsmaßnahmen Bedenken geäußert haben. Auch in einer Reihe von Erlassen verschiedener Länderregierungen ist zu erkennen, wie sehr man sich darum bemüht, nicht die Gesinnung, sondern die Betätigung aus der Gesinnung zur Grundlage der Beurteilung zu machen. Es ergeben sich eine ganze Reihe von Rechtsfragen, die der Klärung bedürfen. Wir wissen, daß in dieser Sache das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Wir sind der Meinung, daß sich Staatsdiener nicht staatsfeindlich betätigen dürfen, glauben jedoch, daß eine entsprechende Maßnahme nur beim Vorliegen bestimmter individueller Tatbestände erlaubt sein sollte.
Mit Rücksicht auf die rechtlichen und politischen Bedenken, die gegen eine generalisier ende Anwendung dieses Erlasses sprechen, beantragt die sozialdemokratische Fraktion, den Antrag an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht und gleichzeitig an den Ausschuß zum Schutze der Verfassung zur Erörterung der Materie zu überweisen.