Rede von
Oskar
Müller
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Meine Damen und Herren! Die Geschichte lehrt uns, daß immer in Zeiten, in denen auf Grund bestimmter, vor allen Dingen wirtschaftlicher Entwicklungen und Krisenzustände Entscheidungen politischer Art heranreifen, die jeweils an der Macht befindliche Schicht alle Maßnahmen einleitet und versucht, diesen Entwicklungen vorzubeugen bzw. sie zu verhindern. Ich glaube, die deutsche Geschichte, insbesondere die der jüngsten Vergangenheit, gibt dafür ein besonderes Beispiel. Das zeigt sich, wenn wir einmal die Entwicklung bis zum 30. Januar 1933 verfolgen. In der Ära Hindenburg, Brüning und Papen kam es zu den Maßnahmen des Mißbrauchs und des Bruchs der Weimarer Verfassung, zu Maßnahmen, die insonderheit die Unterdrükkung der demokratischen Kräfte in der Weimarer Zeit zum Ziele hatten; es waren Maßnahmen, die durch Verbote der Presse der Arbeiterbewegung und der Organisationen der Arbeiterbewegung letzten Endes die Vorstufe für den 30. Januar 1933 gewesen sind.
Wenn auch 'die geschichtliche Entwicklung selbst keine absoluten Vergleiche zuläßt, glaube ich doch, daß man eines feststellen kann: In Westdeutschland sollen im Zusammenhang mit der vom Ausland gelenkten Politik und den Absichten, die mit Westdeutschland verfolgt werden, insbesondere im Zusammenhang mit dem Einsatz Westdeutschlands für den Krieg, der der Bonner Regierung zur Aufgabe gestellt ist, die Kräfte in Westdeutschland, die sich unter allen Umständen und vorbehaltlos für die Erhaltung des Friedens einsetzen,
die den Krieg und seine Vorbereitungen bekämpfen, aus der Öffentlichkeit ausgeschaltet werden.
Dabei ist es nicht uninteressant, daß genau so, wie in der Weimarer Zeit der Jahre 1930, 1931, 1932 die Weimarer Verfassung gebrochen. wurde, auch die jetzige Regierung in Bonn das mit ihrer Unterstützung geschaffene Grundgesetz außer acht läßt und die elementaren Grundrechte, die in diesem Grundgesetz verankert sind, einfach mißachtet, um diktatorische Maßnahmen gegen weite Teile der Bevölkerung zur Durchführung zu bringen.
Ich glaube, Ihnen selbst sind die Bestimmungen des Art. 3 des Grundgesetzes noch in Erinnerung, wonach niemand wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Art. 19 stellt gegenüber allen Versuchen einer Einschränkung der Grundrechte seitens der Bundesregierung in Abs. 2 fest:
In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.
Die Sicherung der Grundrechte wird noch einmal im Art. 33 Abs. 3 bestätigt, wo es heißt:
Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sowie die im öffentlichen Dienste erworbenen Rechte sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnisse oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen.
Gegen diese demokratischen Grundrechte wird durch den Beschluß des Kabinetts in gröblichster Weise verstoßen. Es ist nicht uninteressant, daß — ich glaube, ich kann es mir ersparen, die Organisationen aufzuzählen, die in dem Kabinettsbeschluß der Adenauer-Regierung erwähnt worden sind und gegen die er sich insbesondere richtet — Abertausende von Menschen, die in diesen Organisationen sind, gar nicht der Kommunistischen Partei angehören. Es sind Menschen, die im Kampf um den Frieden, im Kampf um die nationale Einheit unseres Vaterlandes stehen, Menschen, die verhindern wollen, daß das, was war, noch einmal wiederkehrt, Menschen, die darum besorgt sind, daß nicht erneut Bombennächte über Deutschland und unser Volk hereinbrechen.
Das hat dazu geführt, daß nicht nur bei uns, sondern in weiten Schichten der Bevölkerung ein starker Widerstand gegen diesen Erlaß des Kabinetts vorhanden ist.
Ich möchte feststellen, daß nicht nur in den Reihen der Sozialdemokratischen Partei und der Gewerkschaften, in ihren Stellungnahmen, Beschlüssen und Entschließungen wiederholt zum Ausdruck gekommen ist — und zwar sehr richtig erkennend —, daß die Maßnahmen, die die Bonner Millionärsregierung
gegen die Kommunisten und die mit ihnen zusammenhängenden oder befreundeten Bewegungen und Organisationen vornimmt, der erste Schritt sind, um dann genau so — wir haben ja die Parallele in der Vergangenheit — gegen die Sozialdemokraten selbst vorzugehen.
Im Kreistag Offenbach wurde zum Beispiel durch einen von der CDU, der SPD und der KPD angenommenen Antrag beschlossen, einen analogen Be-
schluß des hessischen Kabinetts für den Kreis Offenbach nicht zur Durchführung zu bringen. Im Kreise Friedberg wurde mit den Stimmen der Sozialdemokraten und Kommunisten ein ähnlicher Antrag eingebracht; im Kreise Hanau ist eine entsprechende Stellungnahme vorhanden. Betriebe, die Gewerkschaft „Öffentliche Verwaltung, Transport und Verkehr", verschiedene Organisationseinheiten haben sich im Bundesgebiet gegen diese Maßnahmen der Bundesregierung ausgesprochen. Der Vorsitzende der Gewerkschaft Post in Frankfurt hat zum Beispiel erklärt, er sei sich, ohne Kommunist zu sein, darüber im klaren: Erst seid ihr Kommunisten dran, und dann werden wir drankommen. So geht es weiter.
Es würde zu weit führen, hier alles aufzuzeigen. Ich möchte nur einen Ortsverein der Sozialdemokratischen Partei erwähnen, dessen sämtliche Mitglieder mit einer einzigen Ausnahme sich schriftlich gegen diese Maßnahmen von Bonn gewandt haben. Ich füge noch hinzu: erst in diesen Tagen, am 17. Oktober, hat die „Gesellschaft für Bürgerrechte" in Frankfurt am Main im Zusammenhang mit dem Beschluß der hesssichen Regierung erklärt: Dieser Regierungsbeschluß ist verfassungswidrig; er verläßt den Boden des Rechtsstaates, indem er mit rückwirkender Kraft allein die Zugehörigkeit zu einer von der Regierung beliebig zu benennenden Organisation als undemokratische Tätigkeit bezeichnet usw. Von dieser „Gesellschaft für Bürgerrechte" — und die Herren von der CDU wird es vielleicht interessieren, daß zu dem Vorstand unter anderem auch Ministerialdirektor Dr. Knappstein gehört, der ihnen wahrscheinlich nicht ganz unbekannt sein dürfte — und von weiten Kreisen der Juristen wird gegen diese Maßnahme
der Adenauer-Regierung Sturm gelaufen. Anwälte der verschiedensten Richtungen haben sich zur Verfügung gestellt, um die durch diese Diktaturmaßnahme des Adenauer-Kabinetts Betroffenen zu vertreten.
Unser Antrag bezweckt, die Maßnahmen, die willkürlich und diktatorisch gegen den fortschrittlichen Teil unserer Bevölkerung getroffen worden sind, aufzuheben. Ich glaube, daß sich draußen in der Bevölkerung, in den Betrieben, in den Gewerkschaften, überall, wo die Erinnerung an die Vergangenheit noch lebendig ist, sich alle Menschen in der gemeinsamen Verteidigung der demokratischen Rechte und Freiheiten zusammenfinden werden.