Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, daß die Herren von Thadden und Dr. Richter ihrem Freunde, dem Herrn Abgeordneten Goetzendorff, nicht nur einen schlechten Dienst erwiesen haben, sondern mehrere.
Ich möchte zunächst zu der Anzweiflung des Wertes des Anklägers — d. h. dessen, der die Anzeige erstattet hat — in bezug auf das bereits anhängige Verfahren gegen den Herrn Goetzendorff wegen Betruges zum Nachteil der Kasse des Bundestags aus den Akten des Oberstaatsanwalts in Passau, Bericht vom 5. Oktober 1950 an den Herrn bayerischen Justizminister, folgendes zitieren:
Die Angaben des Stadler
— das ist nämlich der Belastungszeuge —
in dem hier anhängigen Verfahren Goetzendorff wegen Betrugs zum Nachteil der Bundeskasse haben sich weitgehend als zutreffend herausgestellt.
Soviel zur Bewertung dieses Zeugen.
Aber wenn schon gewünscht wird, daß hier in aller Öffentlichkeit über die Sache gesprochen werde, dann möchte ich folgendes feststellen. Im Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität rangen bei der Behandlung dieser Vorlage an das Hohe Haus zwei Richtungen miteinander. Die eine Richtung vertrat die Auffassung, man solle die Sache so nüchtern wie möglich behandeln. Die andere vertrat aus Gründen der Selbstreinigung des Parlaments die Auffassung, daß man die Dinge im Detail berichten solle.
Ich stehe nicht an, Ihnen zu erklären — ich spreche jetzt nicht mehr nur als Berichterstatter, sondern als Mitglied des Hauses —, daß ich zu jenen gehöre, die folgende Auffassung vertreten. Dieser Bundestag setzt sich aus einer großen Zahl hochanständiger Frauen und Männer zusammen; er enthält aber auch Elemente, die von Rechts und Moral wegen nicht in den Bundestag gehören.
Gewisse Untersuchungsergebnisse und sonstige Vorgänge liefern den eklatanten Beweis dafür. Wenn der Bundestag eine Pflicht hat, dann ist es die der Selbstachtung und gegenüber solchen Elementen die Pflicht der Selbstreinigung.
Der Selbstreinigung in Fällen strafbarer Delikte stehen die Bestimmungen des Art. 46 des Grundgesetzes in bezug auf die Immunität der Abgeordneten zum Schutze der Aufrechterhaltung und Sicherung der Arbeitsfähigkeit des Hauses entgegen. Wenn also Anklagen erhoben werden, dann ist es die Pflicht des vorbereitenden Ausschusses, zu prüfen, ob es sich um Delikte handelt, die im Interesse des Hauses — das ist das Erstentscheidende — als auch des Abgeordneten — das ist das Zweitentscheidende — aufgeklärt werden müssen. Da auch nicht der leiseste Versuch zu einer Aufklärung gemacht werden darf, solange die Immunität eines Abgeordneten besteht, bleibt im gegebenen Falle keine andere Möglichkeit als die der Aufhebung der Immunität.
Herr Dr. Richter hat vorhin — er zitierte aus der Rede des Herrn Professors Dr. Schmid — den Satz ausgesprochen, es handle sich um das Verhältnis des Parlaments zu sich selbst. Jawohl, meine Damen und Herren, es handelt sich um das Verhältnis des Parlaments zu sich selbst, nämlich zu seinen einzelnen Teilen, zu seinen einzelnen Gliedern. Um dessentwillen hat das Parlament zwingende Veranlassung, dort den Reinigungsprozeß zu ermöglichen, wo eine falsch verstandene Immunität ihn zu hindern vermöchte.
Nun, meine Damen und Herren, ist es nicht so, wie Herr Dr. Richter meinte, daß der Zweck die Mittel heilige. Vielmehr muß der Wahrheit zum Sieg verholfen werden, und da zwingen Sie mich, aus den Akten den Teil — ich will auf andere Dinge noch nicht eingehen — heute zur Verlesung zu bringen, der von dem Betrug handelt, der Herrn Abgeordneten Goetzendorff zum Nachteil der Firma Ludwig Leopold in Bonn, Friedrichstraße 1, vorgeworfen wird. Ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten aus dem Bericht des Staatsanwalts vom 5. Oktober 1950 folgende Sätze:
Ende Dezember 1949 kaufte Goetzendorff
einen neuen Mercedes S 170 zum Preise von
ungefähr 10 000 DM.
Der Wagen wurde von dem Fahrer des
Goetzendorff mit Namen Rudolf Stadler — wohnhaft da und da —
am 28. Dezember 1949 übernommen.
Offenbar um diesen Wagenkauf zu finanzieren, gab Goetzendorff etwa Mitte Dezember 1949 im Bonner Generalanzeiger eine Anzeige folgenden Inhalts auf: „Neuwertiger Mercedes V 170, Baujahr 1949, mit allen Schikanen ausgerüstet, gegen 7 600 DM bar abzugeben". Es gingen zwei Angebote ein, und Goetzendorff und Stadler besprachen sich dahin, den V 170 der Druckerei Leopold in Bonn vorzufahren. Bevor es hierzu kam, forderte Goetzendorff den Stadler auf, den Kilometerzähler von etwas über 44 000 km auf rund 19 000 km zurückzustellen.
Stadler tat, wie ihm aufgetragen, und fuhr dann den Wagen Leopold vor. Dieser unternahm zusammen mit Stadler eine Probefahrt und stellte in deren Verlauf an Stadler die Frage, wieviele Kilometer der Wagen gelaufen sei. Stadler erwiderte darauf: „Sie sehen es ja". Offensichtlich hatte auch Leopold bereits
auf dem Tachometer die Zahl von 19 000 km abgelesen. Im Bonner Bürgerverein wurde dann zwischen Leopold und Goetzendorff, wobei auch Stadler anwesend war, der Kauf perfekt gemacht. Am folgenden Tage wurde in der Wohnung des Goetzendorff in Godesberg von Leopold der Vertrag unterzeichnet, wobei, wie Stadler wissen will, die Klausel „wie gesehen und gefahren" verwandt wurde. Man hatte sich auf den Preis von 7 500 DM geeinigt. Stadler holte dann bei Leopold den Scheck über diesen Betrag ab und löste ihn bei der Sparkasse am Friedrichplatz in Bonn ein. Von Leopold erhielt Stadler offenbar für seine Mitwirkung bei diesem Geschäft 10 DM.
Als Stadler dem Goetzendorff den Betrag von 7 500 DM übergab, wurde das Geld von Goetzendorff und seiner Geliebten
— Sowieso —
in höchster Hast nachgezählt. Dann drückte Goetzendorff dem Stadler 150 DM in die Hand mit der Bemerkung: „Davon braucht Ihre Frau nichts zu wissen".
Hierüber war Stadler äußerst entrüstet. Zwischen ihm und Goetzendorff war nämlich schon vor Aufgabe der Anzeige in der Zeitung vereinbart worden, daß der 7 000 DM übersteigende Erlös dem Stadler gehören solle, wofür dieser es übernahm, den dem Käufer vorzuführenden Wagen besonders schön „aufzufrisieren".
Diese Darstellung beruht auf den Angaben des Stadler, der noch folgende bezeichnende Äußerung des Goetzendorff wiedergab. Schon beim Erwerb des V 170 habe Goetzendorff zu ihm gesagt, billiger kann man nicht fahren, man fährt 50 000 km und stellt den Kilometerzähler dann auf 20 000 km vor dem Verkauf zurück. Leopold ist im Besitz einer Schätzungsurkunde vom 21. Juni 1950, ausgestellt von der durch die Deutsche Automobil-Treuhand G.m.b.H. anerkannten Kraftfahrzeug-Schätzungsstelle in Bonn, wonach der Marktzeitwert des an Leopold verkauften Wagens mit 5 210 DM angegeben ist.
Um diese Differenz dreht es sich bei der Anschuldigung des Betrugs.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß ein Urteil in dem Sinne, wie es vorhin von den Freunden des Herrn Goetzendorff in bezug auf die korrekte und in jeder Hinsicht vertretbare Praxis des Hohen Hauses in Angelegenheiten der Behandlung von Immunitätsanträgen gefällt wurde, unberechtigt ist. Es hieße aber dem Hohen Hause ins Gesicht schlagen, wenn in einem solchen Falle — die Immunität ist in erster Linie dazu bestimmt, die Arbeitsfähigkeit des Hauses sicherzustellen — dem Abgeordneten Goetzendorff die Wohltat, der Schutz der Immunität auf Kosten des Ansehens des Deutschen Bundestages zuteil werden würde.