Rede von
Dr.
Franz
Richter
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(WAV)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (WAV)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag auf Aufhebung der Immunität eines Abgeordneten gibt mir Veranlassung, Ihnen einmal das ins Gedächtnis zu rufen, was bei einem der ersten Fälle in diesem Hohen Haus von Herrn Professor Dr. Carlo Schmid über die Frage der Immunität und ihrer Aufhebung gesagt worden ist. Herr Professor Dr. Carlo Schmid sagte damals mit Recht, daß es gar nicht — es handelte sich um den Herrn Abgeordneten Loritz — um die Person dieses Abgeordneten, sondern daß es um das Verhältnis dieses Parlaments zu sich selbst gehe. Herr Professor Dr. Schmid sagte weiter:
Zu den fundamentalen Rechten: dem Recht, sich frei zu versammeln, dem Recht, Eingriffe der Exekutive — und stünde sie noch so hoch — in seinen Bestand zurückzuweisen, gehört, was man die Immunität der Abgeordneten nennt.
Er wies darauf hin, daß auch schon im alten Rom der gewählte Volksvertreter in jeder Weise den Schutz genossen hat, den er brauchte, um sein Amt als Vertreter des Volkes wirklich und ungestört ausüben zu können. Er nannte das die Prärogative des Parlaments und sagte:
Darum hat der Abgeordnete kein Verfügungsrecht über sie, sondern das Parlament entscheidet allein, ob es sich gefallen lassen will, daß dieser oder jener Abgeordnete auf Grund eines Gerichtsverfahrens aus seiner Mitte geholt wird.
Und es handelt sich bei der Immunität der Abgeordneten nicht um ein Mittel, fehlsame Abgeordnete zu schonen — sie werden ja dereinst zur Rechenschaft gezogen werden können —, sondern es handelt sich um etwas, was dazu dienen soll, die Versuchungen abzuwehren, in die Regierungen und Bürokratien verfallen könnten, die Staatsraison über den Willen des Volkes zur Selbstbestimmung —~ und dessentwegen ist ja das Parlament! — triumphieren zu lassen. So ist die Immunität der Abgeordneten der Nomos des Parlaments, und nach dem Worte Heraklits soll aas Volk um seinen Nomos kämpfen wie um seine Mauer.
Er wandte sich mit Recht dagegen, daß der Staat oder eine gewisse Kameraderie oder Clique über dem Parlament und damit über dem Volkswillen stehen sollten. Dadurch würde eine Verwirrung der Geister hervorgerufen, und gerade das gilt meiner Überzeugung nach — auch hier sollte man den Worten Professor Dr. Schmids entsprechend handeln — bei einer umstrittenen Persönlichkeit. Man sollte hier nämlich in dem Falle eines Mannes, von dem wir wissen, daß er von vielen abgelehnt, von vielen bekämpft wird, einmal zeigen, daß das Parlament zu seinen Prinzipien stehe.
Wenn wir anders verführen,
— sagte Professor Dr. Schmid —
liefen wir Gefahr, nicht die Prärogativen des Parlaments zu verteidigen, sondern Cliquen und ihre Kameraderie.
Die verspätete Borgia-Manier, die damals Herr Professor Schmid erwähnte, haben wir ja nun im Parlament zur Genüge kennen gelernt. Leider Gottes ist es tatsächlich so, daß der Zweck die Mittel heiligt und es nicht umgekehrt ist.
Heute muß es aber darum gehen, daß sich das Parlament tatsächlich so wichtig nimmt, wie es sein sollte.
Wir haben hier erlebt, daß wegen Kleinigkeiten,
wegen Belanglosigkeiten Abgeordnete ihre Immunität verlieren, von einem Prozeß zum anderen gejagt werden, und das nur zu dem einen Zweck, um sie an der Ausübung der Tätigkeit, für die sie vom Volk gewählt worden sind, zu hindern.