Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem der Herr Bundesverkehrsminister und der Herr Verkehrsminister von Südwürttemberg-Hohenzollern als Vertreter des Bundesrates — selbstverständlich jeweils von ihrem Standpunkt aus — ausführlich auf die Vorlagen eingegangen sind, will ich mich bemühen, meine Redezeit von 25 Minuten nicht auszunützen. Das erfordert dann allerdings, um doch noch die wichtigsten Punkte herauszuarbeiten und zu zeigen, wie meine Fraktion der CDU/CSU zu einigen Dingen Stellung bezogen hat, den sogenannten Telegrammstil.
Ich darf noch eine Vorbemerkung machen. Ich glaube, wir können heute in diesem Hohen Hause nicht alle Punkte grundsätzlich festlegen - meine Fraktion tut das z. B. nicht —, weil die Sachverständigen der Fraktionen für Verkehrsfragen im Verkehrsausschuß sitzen und dort eine gründliche Beratung vornehmen werden. Bei der Problematik dieser Dinge wird man beide Entwürfe gegeneinander abwägen müssen. Es sind nämlich in beiden Entwürfen, sowohl in dem des Bundesrates als auch in dem des Bundesverkehrsministers, der Bundesregierung, Punkte enthalten, denen man absolut zustimmen kann. Erfreulicherweise enthalten die beiden Entwürfe viele Punkte, in denen sie im Grunde genommen keine großen Unterschiedlichkeiten aufweisen. Mit diesen Punkten werden der Verkehrsausschuß und zum Schluß auch das Plenum des Bundestages natürlich am leichtesten fertig werden.
Besonders freue ich mich und darf namens der Fraktion die Zustimmung und den Dank der CDU ausdrücken, daß beide Herren Minister dem Personal der Bundeseisenbahn, der Ländereisenbahn und der bizonalen Bahn für die ganz besonders hervorragenden Verkehrs-, Arbeits- und Dienstleistungen sowie für die Pflichttreue Dank gesagt haben. Ich glaube, dem kann sich das ganze Haus anschließen, denn ,es ist tatsächlich eine Feststellung ganz nüchterner Art. Die Bahn hat den größten Trümmerhaufen aufzuweisen gehabt. Kein Mensch, auch wir nicht, hätte angesichts des Trümmerhaufens aus dem Jahre 1945 geglaubt, daß man die Bahn so schnell und so gut wieder aufbauen könnte. Daß dafür auch die Länder ihren Dank verdienen, versteht sich am Rande. Ich selbst bin Süddeutscher und darf darauf hinweisen, daß es für einen Süddeutschen immer sehr nett ist, wenn er hört, daß die südwestdeutschen Eisenbahnen bei der Beurteilung der Verkehrsverhältnisse und der Verkehrsprobleme, auch in finanzieller Hinsicht, ebenso bezüglich der Behandlung der Menschen im Betrieb von maßgebenden Stellen ein besonderes Lob bekommen. Das aber nur nebenbei.
Die Problematik der beiden Gesetzentwürfe wird sich zeigen in den Fragen Präsidial- oder Kollegialsystem, also in der Leitung, also ob Generaldirektor, stellvertretender Generaldirektor, ihnen beigeordnet Direktoren der Abteilungen, oder das andere System, das man schließlich Kollegialsystem nennen kann. Hier hätten drei Generaldirektoren mit gleichen Rechten die Bundesbahn der Zukunft zu führen. Sie hätten also, sagen wir einmal, die größere Entscheidungsbefugnis und Vollmacht gegenüber dem Verwaltungsrat, auch gegenüber dem Verkehrsminister bezw. gegenüber der Bundesregierung. Ich persönlich habe die Zeit von 1924 bis 1933 an bestimmter Stelle miterlebt und erinnere mich lebhaft an die Tage, als der Herr Generaldirektor Dr. Dorpmüller in Berlin seines Amtes waltete, sein Stellvertreter Dr. Weyrauch war und als der Großindustrielle Herr von Siemens damals der Vorsitzende des Verwaltungsrats der Reichsbahngesellschaft gewesen ist. Eines aber ist in der Begründung des Verkehrsministers bei dieser Sache auch zu beachten. Damals war die Bundesbahn tatsächlich noch ein
Monopolbetrieb — Reichsbahn geheißen —; eine Konkurrenz, die wir heute zwischen Schiene und Straße kennen, gab es ja damals schon aus rein technischen Gründen fast überhaupt nicht. Ferner: Zerstörungen größerer Art waren damals nicht gegeben. Die Bahn war intakt von Ost nach West, von Nord nach Süd, sie hatte lediglich eine einmalige Blutabgabe des Lokomotiv- und Wagenparks; allerdings haben auch die Dawes- und später Youngplanbelastungen, die beachtlich waren, der Reichsbahn Fesseln auferlegt.
Es kommt aber noch dazu: Man muß bei der Frage, ob daß eine oder das andere System in der Leitung richtig ist, schließlich auch davon ausgehen, ob man ,die Menschen hat, die so überragend sind, daß sie einen solchen Posten ausfüllen könnten. Es wird von vielen Kollegen im Verkehrsausschuß, bestimmt aber auch in diesem Parlament gefragt werden: Wo ist der überragende Verkehrs- und Verwaltungsfachmann mit den charakterlichen und sozialen Eigenschaften, der diesem Unternehmen als Generaldirektor, als erster Mann an der Spitze, vorsteht? Haben wir den Mann, haben wir den passenden Stellvertreter? Wenn ja, dann ist die Frage selbstverständlich leichter zu beantworten.
Auf der andern Seite ist es auch nicht umstritten, daß der Bundesbahn der Zukunft natürlicherweise ganz besonders große Aufgaben gegeben sind; z. B. im Betrieb, im Verkehrs-, Werkstätten-, Bau-, Finanz-, Rechtswesen und nicht zu vergessen in der Sozial-, Arbeiter-, Beamten- und in der Wirtschaftspolitik. Ist es da nicht unter Umständen besser, daß sich drei Männer in diese Verantwortung teilen und einer der primus inter pares, also
der Erste unter Gleichen ist. Er müßte allerdings auch so halbwegs Generaldirektorcharakter an der ersten Stelle haben. Denn er dürfte nicht überstimmt werden. Würde er überstimmt, dann ist unter Umständen auch der Konflikt gegeben. Konfliktsmöglichkeiten liegen ja schon in den Problemen. Ich glaube, das bedarf ernster Prüfung. Wir werden im Verkehrsausschuß, auch in diesem Hohen Hause ja vergleichen und abwägen können. Dabei werden wir von vornherein auf zwei weitere Fragen stoßen: Befugnisse des Verwaltungsrates, Katalog der Dinge, die er zur Beschlußfassung hat, aber auch Regelung ,der Befugnisse des Herrn Bundesverkehrsministers und der Regierung.
Ich darf zuvor noch eine Bemerkung zur Leitung des Unternehmens machen. Wir haben auch in der Privatindustrie in vielen Unternehmen, die einige tausend oder zehntausend Menschen beschäftigen, Dreiteilung. In dieser Dreiteilung aber haben wir auch etwas Soziales, das wir sehen und das wir auch fordern müssen. Es ist in der Regel so, daß erstens ein kaufmännischer Direktor, zweitens ein technischer und drittens der sogenannte Sozialdirektor vorhanden sind. So hat es sich vor allem in Rheinland-Westfalen in der Schwer-, Montan- und Kohleindustrie eingebürgert. Im größten Betriebe in Deutschland und in der Welt — es gibt keinen größeren Betrieb als die Bundesbahn, weil sie in sich geschlossen dasteht — sollten diese an sich guten Gewohnheiten beispielgebend sein. Ich hielte es für durchaus richtig, vertretbar und sogar notwendig, wenn wir für die Bundesbahn zu einem Dreimänner-System kommen sollten, die Aufgaben aufzuteilen auf einen Betriebsfachmann, der sich mit dem Verkehrs-, Bau- und Werkstättenwesen zu befassen hätte, auf einen Finanzfachmann, der auch das Rechtswesen zu bearbeiten hätte, und auf einen Fachmann für Soziales, das Personalwesen sowie Wirtschaftsfragen und was dazu gehört.
Zum Verwaltungsrat. Bezüglich des Verwaltungsrates haben die beiden Gesetzentwürfe auch etwas Einheitliches, und zwar die Zahl von 29 Mitgliedern. Ferner die Zahl der 12 Ländervertreter. Das sind die darin enthaltenen einheitlichen Festlegungen, die durch die Frage, wer diese Verwaltungsratsmitglieder stellt, nicht wesentlich berührt werden. Das sind nur kleine Unterschiedlichkeiten.
Ein Schönheitsfehler ist im Gesetzentwurf des Bundesrates, der auch sachlich nicht tragbar ist; denn neben den 12 Ländervertretern sind vorgesehen 6 Vertreter der Wirtschaft, 2 Vertreter der Landwirtschaft, 3 Vertreter der Verkehrswissenschaft, 3 Vertreter der Finanzwissenschaft und nur 5 Vertreter des Personals oder der Gewerkschaften. Wenn wir im Zeitalter des Ringens um die Mitbestimmung schon das Angebot der Unternehmerverbände selber haben, daß ein Drittel der Mitglieder der Aufsichts- oder Verwaltungsräte — oder wie man sie nennen mag — dem Personal zugehören sollen, dann finde ich hier eigentlich in der Entwicklung nicht den richtigen Sinn. Wir müssen doch mindestens in dem Betrieb, der dem Staat gehört — auch wenn er nicht reiner Staatsbetrieb ist, sondern eine neue kaufmännische Form erhalten soll, der aber immerhin Besitz des Staates ist —, dem Personal oder den Gewerkschaften nicht weniger Einfluß im wichtigsten Organ geben, als das die Privatindustrie schon tut. Wenn man von 29 Verwaltungsratsmitgliedern ausgeht, dann hat man schon eine so hohe Zahl, daß man, wenn man sie noch erhöhen würde, zu einem Gremium käme, das vielleicht die Arbeitsfähigkeit verlöre. Meiner Fraktion erscheint es deshalb richtig, den alten Gedanken, der zuerst im Bundesratsentwurf des Landes Nordrhein-Westfalen enthalten war, nämlich die Zahl von 18 Verwaltungsratsmitgliedern wieder aufzunehmen, mindestens ernsthaft zu prüfen und zu überlegen. Auch die dortige Dreiteilung: 6 vom Bundesrat, 6 vom Bundestag und 6 aus der Wirtschaft zu nehmen, erscheint jedenfalls der Nachprüfung wert. Ich gehe auch davon aus, daß man den Ländern, und zwar allen zwölf, eine Vertretung geben muß; denn sie haben, ich möchte sagen, durch die Betreuung der Bahnen ein historisches Recht. Auch sind die Gegebenheiten der Länder unterschiedlich. Sie sollten deshalb durchaus vertreten sein. Man könnte das Problem des Verwaltungsrats mit 18 Köpfen auch so lösen, daß innerhalb dieser 18-köpfigen Vertretung eben zwölf Vertreter aus den einzelnen Teilen Deutschlands sein müssen. Das ist schwieriger als bei dem jetzigen System, es ist aber nicht undurchführbar. Man könnte beides tun und könnte einen kleineren Verwaltungsrat bestellen, der arbeitsfähiger, beweglicher, schneller und aktiver wäre.
Die beiden Gesetzentwürfe enthalten in einem Punkt eine große Meinungsverschiedenheit, nämlich darin: wieviel Zuständigkeit soll der Bundesverkehrsminister haben? Hat er ein allgemeines Weisungsrecht oder eine Einzelanweisungsbefugnis? Und wieviel Beschlußrechte sollen dem Verwaltungsrat vorbehalten bleiben? Das ist die große Meinungsverschiedenheit, und da kann ich mir denken, daß wir Punkt für Punkt durchsehen und vergleichen müssen. Es ist sehr wohl denkbar, daß wir den Entwurf der Bundesregierung im Sinne größerer Befugnisse des Verwaltungsrats erweitern, ohne daß wir den der Regierung zustehenden Einfluß so schmälern, daß es untragbar ist. Denn der Verkehrsminister ist eben der Minister für
3472 Deutschei Bundestag — 93. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Oktober 1950
alle Verkehrszweige und hat die Verantwortung vor diesem Hohen Hause und der Regierung zu tragen. Wie der Verkehrsminister heißt, wer ihn stellt, ist dabei nicht das Entscheidende. Minister kommen und gehen, aber auch Verwaltungsratsmitglieder kommen und gehen unter Umständen.
Wir können also nur rein sachlich das herausstellen: die Regierung muß den ihr zustehenden Einfluß behalten; denn die Deutsche Bundesbahn darf kein Betrieb werden, der nur kaufmännisch geleitet und verwaltet wird. Amerika ist nicht Deutschland. Wenn die amerikanischen privaten Eisenbahngesellschaften nicht mehr durchkommen, dann prüfen sie, ob Nebenstrecken noch rentabel sind. Sind die Nebenstrecken nicht rentabel, dann legt man sie still und befährt sie einfach nicht. Die Bahnen in Deutschland sind historisch anders gewachsen. Unsere Bahnen sind doch praktisch für die Wirtschaft und zur Erschließung aller Gegenden erbaut worden. Sie befruchten die Wirtschaft, sie regen an; sie können einer Wirtschaft aber auch schaden. Stellen Sie sich bitte einmal vor, das deutsche Volk würde als Folge einer rein wirtschaftlich-kaufmännischen Denkform erleben müssen, daß eine Nebenbahn eingestellt würde, weil sie Zuschußbetrieb ist — und es gibt eine ganze Menge derartiger Strecken —, dann möchte ich einmal den Sturm sehen, der auch über die Abgeordneten dieses Hauses losginge, die so etwas ermöglichten.
Das wollen beide Entwürfe nicht. Auch wir wollen es nicht. Damit die Dinge im Lot bleiben und damit auch die sozialen Möglichkeiten in der Frage der Tarifgestaltung bei den Wochenkarten, bei den verbilligten Tarifen für Schüler, für Angestellte, für Kranke, Arme, Flüchtlinge und für viele andere Gruppen erhalten bleiben, müssen wir doch
den Einfluß der Regierung haben, ohne daß den kaufmännischen Erfordernissen Abbruch getan wird.
Man wird dabei im Sinne der Gutachten durchaus daran denken können, Verwaltungsvereinfachung in größerem Ausmaß durchzuführen. Es ist nicht notwendig, daß man einen Betrieb, auch wenn er so groß wie die Bundesbahn ist, mit zuviel Bürokratie belastet. Es ist auch nicht notwendig, daß man zuviel Statistik treibt. Es ist notwendig, daß ein solcher Betrieb immer unter einem gewissen Druck steht, um die besten fachlichen und sachlichen Leistungen herauszuholen. Es sind Gelder nötig, um die Bundesbahn auszubauen, zu elektrifizieren, die Schnelligkeit zu erhöhen, für größte Betriebssicherheit, für Sauberkeit und andere Dinge zu sorgen.
Wir dürfen bei dieser Gelegenheit dankbar anerkennen, daß die Deutsche Bundesbahn das sicherste Beförderungmittel der Welt ist. Wenn man die Unfallzahlen im Autoverkehr, aber auch im Seeverkehr — vom Luftverkehr gar nicht zu reden — ansieht, muß man schon sagen: wer auf der Bahn fährt, fährt so sicher, wie nur irgendwie denkbar. Wenn irgendwie etwas passiert, dann ist das tatsächlich eine so seltene Ausnahme, daß sie kaum ins Gewicht fällt.
Ich will auf viele andere wichtige Fragen mit Rücksicht auf gewisse Ermüdungserscheinungen in diesem Hohen Hause nicht eingehen und zu der ausführlichen Begründungen der Herren Minister zu den beiden Gesetzentwürfen nur sagen, daß wir beiden Stellen nur dankbar sein können. Die Dinge sind jetzt im Werden. Die Bundesbahn muß auch bald auf den Füßen stehen. Das Bundesbahngesetz muß bald im Ausschuß bearbeitet und im Plenum verabschiedet werden. Seit Bestehen des Bundes ist immerhin eine Zeit von fünf Vierteljahren vergangen. Wir müssen jetzt klare Verhältnisse haben. In allen zu prüfenden Fragen werden sich die Fraktion der CDU/CSU und ihre Mitarbeiter davon leiten lassen, daß auch der Verkehr keine in sich geschlossene Sache ist, sondern nur ein Stück der deutschen Volkswirtschaft, und daß der Verkehr nicht sich selber, sondern dem deutschen Volke dient.
Ich habe zum Schluß noch einen Wunsch. Wenn man dem Eisenbahnpersonal, den Beamten, Angestellten und Arbeitern den Dank ausspricht und wenn ich mich namens meiner Fraktion dem Dank angeschlossen habe, so ist das ein schönes Bekenntnis. Wir würden wünschen, daß zu diesem schönen Bekenntnis von seiten der Bundesbahnverwaltung dadurch noch mehr Erkenntlichkeit gezeigt werden könnte, daß man den Forderungen, die jetzt von dem Personal auch bezüglich der Erhöhungen der Bezüge erhoben worden sind, möglichst bald Rechnung trägt. Wie ich höre, sind gewisse Vorarbeiten im Gange und gewisse Möglichkeiten zugesagt. Unsererseits soll alles geschehen, um fruchtbar mitzuarbeiten. Wir wollen hoffen, daß wir zusammen eine Lösung finden, die nicht nur uns in diesem Hause, sondern auch das ganze deutsche Volk befriedigt und eine wirtschaftliche Entwicklung im Verkehr herbeiführt, die nicht eine Schmutzkonkurrenz bewirkt, sondern einen edlen Leistungswettbewerb zwischen den Verkehrsträgern ermöglicht.