Meine sehr geehrten Damen und Herren! Über den Widersinn der Demontagemaßnahmen ist in diesem Hause schon des öfteren gesprochen worden. Sie sind politisch töricht, sie sind wirtschaftlich unvernünftig, sie sind fünf Jahre nach Beendigung des Krieges und im Hinblick auf die gesamtpolitische Situation psychologisch einfach untragbar. Man kann uns nicht zu gleicher Zeit flicken und unablässig neue Wunden schlagen. Es entbehrt jeder Vernunft -- das ist schon häufig gesagt worden —, Marshall-Kredite in ein Faß zu füllen, dem man durch die nachfolgende Demontage den Boden wieder ausschlägt.
Es wäre endlich die Zeit gekommen, die notwendigen Schlußfolgerungen aus der Tatsache zu ziehen, daß der einzige potentielle Gegenspieler der großen westlichen Demokratien nicht mehr Deutschland, sondern die Sowjetunion ist, und man sollte überalterte und längst gegenstandslos gewordene Bedenken endlich zurückstellen.
Gewiß, der Demontageprozeß ist nicht in seiner ursprünglich vorgesehenen Schwere und Schärfe abgerollt. Wenn man aber behauptet, es wäre ja alles gar nicht so schlimm gewesen, man habe ja dem Elefanten nur ein Kotelett abverlangt, so ist zu erwidern, daß man dabei doch gefährlich in der Herzgegend herumgesäbelt hat.
Aber davon wollen wir heute nicht weiter sprechen.
Unser Antrag Nr. 1353 zielt nach einer anderen Richtung. Er zielt auf die Tatsache, daß noch immer nicht reiner Tisch gemacht ist, daß die Politik der kleinen Nadelstiche weiter andauert, auch nach dem Petersberg-Abkommen, das keineswegs die von vielen erhoffte günstige Wende gebracht hat. Selbst Herr Dr. Silex gesteht das in der letzten Nummer der „Deutschen Kommentare" zu, indem er schreibt:
Der Schaden, der unter dem Petersberg-Abkommen des Jahres 1949 bis in die jüngste Zeit angerichtet wurde, ist nicht wieder gutzumachen, und noch immer soll ja einiges auf Reparationskonto zerstört werden.
Am Vorabend der New Yorker Außenministerkonferenz hat auf Anordnung des britischen Außenministers der stellvertretende britische Hohe Kommissar Steel uns davon unterrichtet, daß alle Entmilitarisierungsmaßnahmen in der britischen Zone eingestellt werden. Ich hoffe, daß durch diese Entscheidung ein Zustand sein Ende findet, der nicht nur immer größeres Kopfschütteln verursachte, sondern auch enorme Beträge der Verschleuderung preisgegeben hat. Ich hoffe, daß damit nicht nur die unsinnigen Demilitarisierungsmaßnahmen in Watenstedt-Salzgitter ihr Ende finden, obgleich am 12. September dort noch durch Raupenschlepper Werkshallen niedergerissen wurden und die Schweißhämmer weiterarbeiteten, sondern daß auch die Zerstörung des Kruppgeländes in Essen, wo wir neue Friedensfertigungen aufzuziehen seit Jahren bemüht sind, unter diesen Entmilitarisierungsstopp fällt.
Die Einstellung der Demilitarisierung hat dazu geführt, daß bei Krupp zwar einige Fabrikanlagen, Schienen und unterirdische Kabel in letzter Stunde erhalten blieben. Aber über die Reparationen ist bisher keinerlei Neuregelung getroffen. Auf dem Kruppgelände lagern indessen noch heute 30 000 Tonnen Reparationsgut, darunter viele Maschinen und Kräne, die bei der industriellen Neuaufschließung des Geländes von höchstem Wert sein könnten.
Besonders betrüblich aber sind die Vorgänge in der Schwerkriegsbeschädigten-Werkstätte. Diese Werkstätte ist im Dezember 1945 in einem Nebengebäude der Firma Friedrich Krupp in Essen eingerichtet worden. Es arbeiteten dort nur Schwerbeschädigte, sonstige Körperbehinderte und Invaliden. Das Fertigungsprogramm umfaßte Haushaltswaren, Möbel, Schreibtischgarnituren, Spielwaren, alles nützliche und höchst harmlose Dinge. Der Maschinenpark bestand aus Werkzeug- und Holzverarbeitungsmaschinen von kleinen Abmessungen. Diese Maschinen wurden Frankreich zugesprochen. Ich bin damals, etwa vor Jahresfrist, als Wirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen in Verhandlungen eingetreten und habe erreicht, daß eine größere Anzahl von Werkzeugmaschinen, die ursprünglich auf der Krupp-Demontageliste standen, im Austausch gegen andere Güter, insbesondere Schrott, in Essen verblieb oder zum mindesten über einen längeren Zeitraum hinweg in den Krupp-Nachfolgebetrieben eingesetzt werden konnte. Ende Dezember sind dann diese Maschinen an die von uns eingerichtete Industrieförderungsgesellschaft G.m.b.H. verpachtet worden. Dann verhandelte der Herr Bundeskanzler mit dem High Commissioner und erreichte, daß 300 Werkzeugmaschinen für die Nachfolgebetriebe zur Verfügung standen. Der Herr Bundeskanzler verpflichtete sich aber schriftlich, nach Ablauf der vorgesehenen Frist diese Werkzeugmaschinen zurückzugeben, soweit nicht entsprechender Ersatz von den Empfangsländern abgenommen würde. Diese Frist lief nun am 1. August 1950 ab. Durch
. Verhandlungen mit den Empfangsländern konnten 53 Werkzeugmaschinen gerettet werden. Aber gerade die Austauschvorschläge der Schwerbeschädigtenwerkstätten sind von der französischen Mission abgelehnt worden,
weshalb der Landeskommissar unter Hinweis auf die schriftliche Zusicherung des Bundeskanzlers die Zurückgabe der Maschinen verlangte, die inzwischen auch erfolgen mußte. Man hatte, gestützt auf gewisse Verlautbarungen aus dem Bundeskanzleramt, in Essen fest damit gerechnet, daß die Rückgabe der Maschinen praktisch nicht effektuiert zu werden brauchte. Jetzt ist die Enttäuschung um so größer.
Das Ganze ist ein wenig erfreulicher und wenig humaner Handel. Er zeigt wieder einmal die Unvollkommenheit des Petersberg-Abkommens,
das zuviele Rand- und Zweifelsfragen offen ließ, das vor allem für die abgesetzten Betriebe kein klares Fabrikationsprogramm aushandelte, weshalb das Land Nordrhein-Westfalen bald einen Rattenschwanz von Schwierigkeiten am Halse hatte, einen Kleinkrieg, den wir deshalb nur sehr schwer führen konnten, weil man uns im entscheidenden Augenblick immer wieder versicherte: auf dem Petersberg ist das doch so vereinbart worden; wollen Sie bitte nunmehr auch den Buchstaben erfüllen.
Immer wieder ist in den letzten Wochen von den
Alliierten behauptet worden, daß die restlichen
Demontagen doch nur noch von geringem Wert
seien. Aber, verehrte Anwesende, wir sind ein armes
Volk, und infolgedessen spielt auch jeder Pfennig
eine Rolle, ganz abgesehen davon, daß bei der
gegenwärtigen politischen Situation in der Welt
die moralischen und psychologischen Auswirkungen aller Zerstörungsmaßnahmen höchst verderblich sind. Man redet soviel in Schwüren, pathetischen Deklamationen und Beteuerungen vom
einigen Europa. Mir will scheinen, das Rattern der
Demontagehammer und das Knarren der LKWs,
mit denen man das Reparationsgut abfährt, ist
eine schlechte europäische Auferstehungsmelodie.
Im gleichen Augenblick, wo man uns jetzt endlich eine größere Stahlquote konzedieren will, scheint es nach wie vor unmöglich, die bürokratische Maschinerie, die unter allen Umständen die ihr gesteckten Demontageziele erreichen will, zum Einhalten zu bringen. Denn es sind gegenwärtig noch weitere Demontagen im Gange, und deshalb spreche ich.
Ich erinnere an die Dortmunder Union, den Dortmund-Hörder-Hüttenverein, Werk Dortmund. Dort steht im Mittelpunkt der Abbau einer hydraulichen Schmiedepresse, nicht von 10 000 Tonnen, sondern nur von 7 500 Tonnen. Diese Schmiedepresse ist ein Kriegsverwundeter; der Querbalken ist durch Bomben zerrissen worden. Sie kann nicht mehr mit voller Wirksamkeit eingesetzt werden, wir brauchen sie aber zur Herstellung von Turbinenwellen und anderen stark beanspruchten Maschinenteilen. Ich habe dort interveniert, sozusagen als Geschäftsführer ohne Auftrag; ich wurde darum gebeten, obwohl ich nicht mehr Wirtschaftsminister bin. Erst nahm sich das Ganze günstig aus. Ich habe darauf hingewiesen, daß es gar keine Firma in England gibt, bei der die Presse Verwendung finden kann, und daß sie praktisch nur Schrottwert hat. Denn die einzige englische Firma, die für die Übernahme vorgesehen war, hat gerade in diesen Tagen abgelehnt, indem sie sagte: wir müssen dann eine große Halle mit allem Zubehör errichten, und dafür bekommen wir gegenwärtig nicht die Genehmigung. In Deutschland könnte die Presse in kurzer Zeit wieder betriebsfertig gemacht werden. Trotzdem bekam ich eine Ablehnung, die die Zweifel, daß die Presse doch zur Verschrottung kommt, freilich nicht aus dem Wege räumt. Mir schreibt nämlich der Land Commissioner — ich bitte, da einmal zuzuhören —:
Diese Presse ist England zugesprochen, und wir sind ganz entschieden gewiß, daß nicht die Absicht besteht, sie zu verschrotten.
Das ist ein bißchen seltsam und gewunden ausgedrückt. Noch ist die Presse in Deutschland. Noch ist sie nicht nach Hamburg auf den Weg gebracht, und ich spreche, weil ich einen letzten Versuch machen möchte, diesem Wahnsinn in die Speiche zu fallen.
Ein anderes trauriges Kapitel von rücksichtsloser Demontagepolitik ist die Zerstörung der Elektroöfen auf der Henrichshütte in Hattingen. Das Werk selbst konnte gerettet werden, es ist von der Demontageliste abgesetzt. Jetzt aber zwickt man uns die Einzelteile ab. Wir brauchen in Hattingen Elektrostahl für Turbinenwellen, für Eisenbahnzwecke usw. Wir haben gebeten, uns wenigstens einen der beiden Elektroöfen freizugeben. Trotzdem ist es dahingekommen, daß derjenige Ofen, auf den sich das deutsche Interesse ausschließlich konzentrierte, abgebaut wurde und heute irgendwo in einem Schrottlager aufbewahrt wird. Von Wiederaufstellung in einem anderen Lande ist keine Rede. Wenn man fragt, bekommt man auch hier immer nur die typischen Ausweichantworten.
Es ist ein offenes Geheimnis, daß im Rahmen der Walzwerk-Demontagen gerade die modernsten Anlagen abgebaut worden sind. Einige 4-m-Grobblechstraßen hat man uns stehen lassen; die haben aber meist das ehrwürdige Alter von 40 bis 50 Jahren. Jetzt, in diesem Augenblick, wo uns jedes Stück Blech aus den Händen gerissen wird, tritt der Schaden nicht so deutlich hervor. Wie sollen wir aber unter normalen Umständen den Wettbewerb mit Ländern aushalten, die moderne Walzstraßen von ausreichender Breite besitzen? — Noch lagern zwei 5-m-Straßen im Ruhrgebiet, eine dritte ist zu 50 % komplett. Aber keines der schwergeschädigten Hüttenwerke darf sie einbauen. Wir müssen uns den Luxus leisten, mit veralteten Anlagen zu produzieren, dieweil modernste Anlagen auf Lagerplätzen verkommen. Eine Grobblechstraße reprasentiert jedoch immerhin einen Wert von 15 Millionen DM.
Nach meiner Ansicht sollte die Zeit der kleinen Erleichterungen, der bescheidenen Aufmunterungskalorien in homöopathischen Dosen nun wirklich zu Ende sein. Man sollte sich zu der großen befreienden Geste bereitfinden und nicht jede psychologische Wirkung immer dadurch verpatzen, daß man zuwenig tut oder zu spät handelt. Darunter verstehen wir — und deshalb unser Antrag Nr. 1353 —, daß die Bundesregierung mit erneuten Verhandlungen auf folgender Grundlage an die Hohen Kommissare herantritt:
erstens: Beendigung nicht nur der Entmilitarisierung, sondern auch der Demontagemaßnahmen, und zwar nicht zu irgendeinem vagen Termin, der dann später wieder hinausgeschoben werden kann, sondern wenn es nicht morgen geht, dann wenigstens übermorgen;
zweitens: zu gleicher Zeit und unter dem gleichen Datum Beendigung aller Transporte von Demontage- und Reparationsgut;
drittens: Aufhebung aller Vorschriften, die eine Wiederaufrichtung und Modernisierung des deutschen Produktionsapparats behindern, soweit es sich um Friedensfertigungszwecke handelt;
viertens: Ergänzung der Kontrollorgane, soweit sie nicht überhaupt beseitigt werden können, durch Vertreter solcher demokratischen Länder, die auch am Kauf deutscher Waren interessiert sind, damit nicht nur Konkurrenten unser Schicksal in den Händen haben.
Ich sehe, daß ich zum Schluß kommen muß. Wenn ich aber noch eine persönliche Anregung beisteuern darf, dann diese: Man möge doch endlich diejenigen alliierten Beamten und Angestellten ablösen, die seit 1945 unablässig, zum Teil über ihre Richtlinien hinaus, ihr Möglichstes zu tun versucht haben, den Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft zu behindern.
Wir sprachen im Kriege gern von den „Kriegsverlängerungsräten". Meine Damen und Herren, es gibt auch „Demontageverlängerungsräte", und die sind nicht weniger erfreulich!
Wenn wir die los werden könnten, — wir würden ihnen gerne das Ehrengeleit zu ihren Heimatzügen geben!