Rede von
Dr.
Carlo
Schmid
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Merkatz. Dr. von Merkatz : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den trefflichen Ausführungen, die hier gemacht worden sind, möchte ich namens meiner Fraktion nur noch weniges hinzufügen. Man muß sich darüber klar sein, daß diese Bundesrepublik, d. h. der Staat, an dem wir arbeiten, von dem Willen durchdrungen sein muß, nach einer unerhörten Katastrophe wieder zu uns selbst zu kommen, das Leben für Millionen wieder lebenswert oder wenigstens erträglich zu machen und auch auf moralischem Gebiet wieder zu der Würde, die der alten Geschichte unserer Nation angemessen ist, zurückzufinden. Wenn die Schiffe und Omnibusse aber hier am Bundeshaus vorbeifahren, hört man stets das Lied: „Wer soll das bezahlen, wer hat das bestellt?" So besteht ein außerordentlicher Widerspruch zwischen der Aufgabe, die wir als die Übriggebliebenen nach der Katastrophe wahrzunehmen haben, und dieser nihilistischen Auffassung; ein unerhörter Spannungszustand, der uns bedenklich stimmt. Meine Fraktion empfindet diesen Kontrast als sehr ernst. In dieser Willenlosigkeit und Lähmung drückt sich eine schwere Gefahr für Deutschland, ja für ganz Europa aus. Dieser Nihilismus bedeutet, daß man aus Müdigkeit und Skepsis nicht mehr zurückfinden will und kann, sei es aus Bosheit oder aus anderen Gründen, zu dem Eigentlichen, was uns trägt und was wir für die Zukunft sicherzustellen haben, nämlich unsere alte abendländische Freiheit und Verantwortung. Wir sehen in solchen Diffamierungen den Versuch, die wichtigsten Quellen unseres Daseins zu vergiften. Dies alles bedeutet zugleich eine Zerstörung der Demokratie, auch indem man den Politiker als Berufspolitiker diffamiert und an seinen Bezügen eine Kritik übt, die alle Neidkomplexe und alles Zersetzende aktiviert. Eine Demokratie beruht auf dem Vertrauen, das zwischen den Regierenden und den Regierten besteht, ein Vertrauen, das durch die öffentliche Meinung gebildet und geformt wird. Deshalb hat gerade in einer Demokratie wie in keinem anderen staatlichen System die Presse eine so grundlegende staatspolitische Aufgabe. Dieses Vertrauen bedeutet letzthin die Grundlage der Autorität der staatlichen, d. h. damit der gemeinsamen Existenz.
Namens meiner Fraktion darf ich an die Presse einen ernsten Appell richten, der letzthin diesen Inhalt haben soll: Was Sie nicht geneigt sind dieser Bundesrepublik an Autorität zuzubilligen, um so an der Wiedergewinnung unserer vollgültigen staatlichen Existenz mitzuarbeiten, das geben Sie, ob Sie das wollen oder nicht, an Karlshorst.