Rede von
Hermann
Nuding
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Meine Damen und Herren! Ich habe zur Begründung des Antrags Drucksache Nr. 873 folgendes zu sagen. Es gab einmal eine Zeit — sie liegt lange zurück —, in der in jeder Familie Freude herrschte, wenn der Junge oder das Mädel aus der Schule entlassen wurde und in eine Lehrstelle eintrat. Aber im Zeitalter der Adenauer-Regierung ist es so, daß viele Familien für ihre Kinder keine Unterkunft mehr in Lehrstellen finden und folglich sehr viele Jugendliche berufslos durchs Leben gehen müssen. Aber es ist noch schlimmer! In den letzten anderthalb Jahren ist ganz besonders kraß in Erscheinung getreten, daß sehr viele junge Menschen, die die Möglichkeit gehabt haben, eine Lehrstelle zu bekommen, nach Beendigung ihrer Lehrzeit nicht in Arbeit gebracht werden konnten. Es handelt sich um viele Tausende, ja ich möchte sagen um Zehntausende Jugendlicher, die dann, wenn sie ausgelernt haben, ohne einen Arbeitsplatz dastehen. Das ist natürlich eine außerordentlich traurige Situation. Diese wird noch dadurch verschärft, daß diese Jugendlichen, wenn sie ausgelernt haben, keinerlei Unterstützung bekommen. Sie haben also keine Arbeit und auch keine Unterstützung.
Aus diesem Grunde haben verschiedene Jugendorganisationen gewerkschaftlicher und anderer Art zu dieser Frage Stellung genommen und entsprechende Vorschläge bei dem Bundesministerium für Arbeit eingebracht. Man sollte ja auch dort wissen, wie schwierig die Lage der jugendlichen Arbeiterinnen und Arbeiter und insbesondere derjenigen ist.. die ausgelernt haben, die drei und oft mehr Jahre von den Eltern ernährt werden mußten und dann. wenn sie ihre Lehrzeit beendet haben. weiterhin ohne Einkommen dastehen und der öffentlichen Wohlfahrt zur Last fallen.
Das Bundesministerium für Arbeit weiß außerdem, daß sich die Lage dieser Menschen wie überhaupt unserer Jugend in der nächsten Zeit nicht bessern wird. Ich darf nur auf die Debatte von heute früh verweisen, um die Richtigkeit meiner Behauptung zu unterstreichen: Es ist deshalb ziemlich verantwortungslos, wenn die maßgebliche Stelle trotz der Anregungen von Jugendorganisationen in dieser Hinsicht nichts unternimmt.
Aus diesem Grunde haben wir den Antrag gestellt, der Ihnen mit Drucksache Nr. 873 vorliegt. Wir beantragen darin den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des § 74 des Gesetzes über die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung mit einem einzigen Paragraphen, damit wenigstens eine kleine Hilfe für die Jugendlichen, die ausgelernt haben und ohne Einkommen dastehen, geleistet wird. Durch unseren Antrag soll erreicht werden, daß die Lehrlinge der Arbeitslosenversicherung angeschlossen werden können, bevor sie ausgelernt haben. Der § 74 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung soll in der Weise geändert werden, daß Lehrlinge und Anlernlinge bereits sechs Monate vor Schluß ihrer Lehrzeit Anschluß an die Arbeitslosenversicherung finden können.
Wir glauben, daß es in dieser Frage keine Differenzen in diesem Hause geben sollte. Ich möchte aber zur Unterstreichung der Notwendigkeit der von uns beantragten gesetzlichen Regelung noch feststellen, daß z. B. in Rheinland-Pfalz bereits eine ähnliche Regelung für Jugendliche vorhanden ist. Dort heißt es:
Die Versicherungsfreiheit der Beschäftigung als Lehrling oder Anlernling erlischt sechs Monate vor dem Tag, an dem das Lehr- oder Anlernverhältnis durch Zeitablauf endet.
Wir glauben, daß unser Entwurf den Notwendigkeiten für die Jugendlichen, die ausgelernt haben, entspricht, um so mehr, als es leichter sein wird, ihnen Arbeit zu verschaffen, wenn sie dem Arbeitsamt unmittelbar angeschlossen sind. Wenn wir das nicht tun und wenn das Hohe Haus diesem Beschluß nicht zustimmt, dann werden die Eltern in zunehmendem Maße kein Interesse daran haben, ihre Kinder in die Lehre zu tun, und die jungen Menschen, die ausgelernt haben, werden nicht daran interessiert sein, sich in ihrem Beruf zu vervollkommnen. Dadurch werden sie, wie bereits im Jahre 1932, wieder Gedankengängen zugänglich sein, die außerordentlich gefährliche Auswirkungen haben können. Der Antrag sollte nach unserer Auffassung gar nicht erst einem Ausschuß überwiesen, sondern in seiner jetzigen Form angenommen werden; denn die Sache eilt, weil in diesem Herbst und ganz besonders im nächsten Frühjahr zahlreiche Lehrlinge ihre Lehrzeit beenden, ohne Aussicht auf eine neue Stellung zu haben. Sie können dann nicht mehr in den Genuß dieser außerordentlich bescheideneren Besserstellung kommen. Ich bitte deshalb das Hohe Haus, unserem Antrag zuzustimmen.