Meine Damen und Herren! Ich habe mit einiger Verwunderung gehört, was der Herr Berichterstatter des Rechtsausschusses über die Interpretation der Verfassung vorgetragen hat. Diese Interpretation ist im Grundgesetz in keiner Weise begründet.
Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, einmal unbefangen zu lesen: „Über die Berufung der Richter des Obersten Bundesgerichts entscheidet der Bundesjustizminister gemeinsam mit einem Richterwahlausschuß." Der Herr Berichterstatter hat als Meinung des Rechtsausschusses vorgetragen, daß, da hier von einem Richterwahlausschuß die Rede sei, mehrere Richterwahlausschüsse nicht möglich seien.
Meine Damen und Herren, der Art. 95 handelt zunächst nur von einem Gericht, nämlich dem Obersten Bundesgericht. Was hätte denn der Gesetzgeber eigentlich schreiben sollen, wenn er etwas anderes gemeint hätte? Da nur von einem Bundesgericht die Rede ist, konnte er nur schreiben „gemeinsam mit einem Richterwahlausschuß". Es ist eine völlig fehlgehende Interpretation, die Worte „mit einem Richterwahlausschuß" so auszulegen, als ob auf dem Wort „einem" irgendwelcher Nachdruck läge. Eine solche Schlußfolgerung ist unhaltbar.
Ich bitte dann einmal, den Art. 96 Abs. 2 des Grundgesetzes ganz unbefangen durchzulesen. Da heißt es: „Auf die Richter der oberen Bundesgerichte" — also abgesehen vom Obersten Bundesgericht — „findet Art. 95 Abs. 3 ... Anwendung". Das kann nichts anderes heißen, als daß auch diese Richter im Zusammenwirken mit einem Richterwahlausschuß berufen werden sollen. Es folgt dann in Abs. 2 von Artikel 96 die weitere Bestimmung, daß in diesen Fällen der Wahlausschuß eine andere Zusammensetzung haben soll, daß nämlich der Vorsitz von dem zuständigen Minister geführt wird und die beamteten Mitglieder die zuständigen Länderminister sein sollen. Darüber, ob in diesen Fällen immer dieselben gewählten Mitglieder mitwirken sollen, sagt das Grundgesetz nichts. Es ist etwas Künstliches, wenn man das in das Grundgesetz hineininterpretieren will. Das Grundgesetz hat es also uns als Gesetzgeber völlig freigestellt, zu bestimmen, ob in den verschiedenen Richterwahlausschüssen die gewählten Mitglieder immer dieselben sein sollen oder nicht. Daß man hier von einem Richterwahlausschuß redet, ist mir unbegreiflich. Das ist doch nicht ein und derselbe Richterwahlausschuß, wenn der Vorsitzende und die eine Hälfte der Mitglieder immer andere Personen sind. Wir haben nach dem Grundgesetz völlige Freiheit, zu entscheiden, ob in den Ausschüssen immer dieselben gewählten Per-
Deutscher Bundestag — 75. und 76. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Juli 1950 2733
sonen tätig sein sollen oder nicht. Es handelt sich
also nur um die Frage, ob es praktisch ist, immer
dieselben elf gewählten Mitglieder hineinzusetzen.
Meine Damen und Herren! Sie haben im Rechtsausschuß meiner Meinung nach mit Recht auch den gewählten Mitgliedern ein Vorschlagsrecht eingeräumt. Sie wollen also nicht, daß diese gewählten Mitglieder nur Statisten sind, die mit dem Kopf zu nicken haben. Wenn sie aber nicht nur Statisten sein sollen, die zu den Vorschlägen des Bundesministers und der Länderminister mit dem Kopf nicken, dann bedürfen sie einer gewissen Sachkunde; sie müssen über die Arbeitsweise des in Frage kommenden Gerichts unterrichtet sein und auch eine gewisse Kenntnis der etwa in Betracht kommenden Personen haben. Ich bestreite, daß elf Mitglieder, die in allen Ausschüssen tätig sind, die erforderliche Sachkunde besitzen, um bei Vorschlägen für die verschiedensten Gerichte sachdienliche Gegenvorschläge machen zu können.
Ich halte es also, wenn die gewählten Mitglieder nicht nur Statisten sein, sondern ein wirkliches Vorschlagsrecht ausüben sollen, für notwendig, daß in den einzelnen Ausschüssen nicht nur die Vorsitzenden und die beamteten Mitglieder, sondern auch die gewählten Mitglieder wechseln. Ich würde also dringend darum bitten, den Antrag anzunehmen, den Herr Kollege Pelster soeben eingebracht und begründet hat.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir dann aber noch eine Bemerkung zu § 14. Der Herr Kollege Zinn meinte soeben, der § 14 sei überflüssig. Ich halte den § 14 für eine sehr gefährliche Bestimmung. Sie haben doch zum Ausdruck gebracht, daß der Bundespräsident ernennt. Soll das etwa heißen, daß er verpflichtet ist zu ernennen?
Wenn das der Sinn der Sache sein sollte, müßte ich schärfsten Protest einlegen;
denn ich lege die Bestimmung des Grundgesetzes dahin aus, daß der Bundespräsident insoweit, als er ein Ernennungsrecht für Richter und sonstige Beamte hat, völlig frei in seinen Entscheidungen ist und nicht etwa nur einen Formalakt vollzieht. Inwieweit er von dieser Freiheit der Entscheidung Gebrauch machen will und inwieweit er sich als verständiger Bundespräsident umKleinigkeiten nicht bekümmert, ist eine Frage des politischen Takts. Daß er de jure das freie Entscheidungsrecht bei seiner Ernennung hat, kann m. E. keinem Zweifel unterliegen. Es gibt nur eine einzige Ausnahme. Er muß — das geht aus dem Wortlaut des Grundgesetzes hervor — den vom Bundestag gewählten Kanzler ernennen. Darüber sagt das Grundgesetz: er hat zu ernennen. Bei der Ernennung der Minister wird gesagt, daß auf Vorschlag ernannt wird. Das ist klar zum Ausdruck gekommen, daß der Bundespräsident ein freies Vorschlagsrecht hat.
Anders kann der Art. 64 des Grundgesetzes nicht ausgelegt werden.
Ich hätte jedenfalls schwere Bedenken, den § 14 anzunehmen, und beantrage jetzt schon fürsorglich die Streichung von § 14 des Gesetzentwurfes.