Rede von
Dr.
Hans-Joachim
von
Merkatz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Es handelt sich hierbei um das Ausführungsgesetz zu Art. 95 Abs. 3 und Art. 96 Abs. 2 des Grundgesetzes, deren Wortlaut als bekannt vorausgesetzt werden darf.
Nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers soll die als dritte Gewalt sachlich und persönlich nur dem Recht und dem Gesetz unterworfene, von den übrigen Gewalten unabhängige Rechtsprechung durch die Auswahl der obersten Bundesrichter von der übrigen Beamtenschaft in einem spezifisch politischen Sinne unterschieden, durch die Mitwirkung maßgeblicher politischer Faktoren bei ihrer Berufung mit den demokratischen Grundbedingungen des Verfassungslebens in Einklang gebracht, vor parteipolitischer oder standesmäßiger Einseitigkeit bewahrt und so in ihrer demokratischen Autorität und Legitimation gestärkt werden.
Bei der Beratung der Entwürfe sind namentlich von dem Mitberichterstatter, Herrn Abgeordneten Arndt, folgende Grundfragen herausgearbeitet und im Ausschuß geklärt worden.
Erstens war die Frage zu entscheiden, ob ein oder mehrere Richterwahlausschüsse gebildet werden sollen. Der Ausschuß entschied sich einstimmig für die Bildung nur eines ständigen Richterwahlausschusses, der für die Berufung der Richter an die oberen Bundesgerichte und an das Oberste Bundesgericht zuständig ist. Lediglich die Mitglieder kraft Amtes, nämlich die zuständigen Landesminister und der als Vorsitzender fungierende Bundesminister, sollen je nach der sachlichen Zuständigkeit der zu besetzenden Bundesgerichte wechseln, während die vom Bundestag, also von der Legislative, in den Ausschuß gewahlten Wahlmitglieder — im Entwurf „Mitglieder kraft Wahl" genannt — keinem Wechsel unterworfen sind und so ein gleichbleibendes
Element bilden sollen.
Es ist nun von einigen Mitgliedern dieses Hauses angeregt worden, nicht einen, sondern mehrere Richterwahlausschüsse zu bilden. Das Problem liegt darin, ob die gewählten Mitglieder dieselben oder je nach dem Gericht andere sein können. Der Rechts-
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ausschuß hat sich dieser Anregung aus verfassungsrechtlichen und auch aus rechtspolitischen Gründen versagen müssen und einstimmig — ich betone: einstimmig — an seinem ursprünglichen Beschluß festgehalten.
Der eine Richterwahlausschuß, bei dem nur der Wechsel des Vorsitzenden und der Mitglieder kraft Amtes vorgesehen ist, wird vom Grundgesetz vorgeschrieben. Das ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. 95 Abs. 3, der von einem Richterwahlausschuß spricht, der aus den Landesjustizministern und einer gleichen Anzahl von Mitgliedern besteht, die vom Bundestage gewählt werden. Diese Bestimmung bezieht sich auf das Oberste Bundesgericht. Sie findet aber gemäß Art. 96 Abs. 2 nicht nur entsprechende, sondern unmittelbare Anwendung auf die Wahl der Richter der oberen Bundesgerichte. Es wird also der eine Richterwahlausschuß vorausgesetzt, der nur mit der Maßgabe abgewandelt ist, daß an die Stelle der Landesjustizminister und des Bundesjustizministers die für das jeweilige Sachgebiet zuständigen Minister treten. Die vom Bundestag gewählten Mitglieder sollen jedoch die gleichen bleiben.
Diese wörtliche Auslegung wird durch die Entstehungsgeschichte dieser Formulierung bestätigt. Im Parlamentarischen Rat wollte man nur einen Richterwahlausschuß. Aus den jetzt gedruckt vorliegenden Verhandlungen des Hauptausschusses Seite 667 ergeben sich folgende Auslassungen:
Der Abgeordnete Strauß hat seinerzeit ausgeführt:
Die Beteiligung der Ressortminister mag nach dem Vorschlag des Fünferausschusses durchaus beibehalten werden, nur müssen die Dinge wieder einheitlich zusammenlaufen. Wir können nicht fünf verschiedene Ausschüsse und die verschiedensten Vorschläge verschiedener Ressortminister haben.
Der Abgeordnete Zinn hat ausgeführt:
Es soll nur ein Ausschuß, der aus den Justizministern besteht, zu entscheiden haben. Das Vorschlagsrecht haben dagegen die Fachminister.
So ergibt sich, daß sowohl der Wortlaut als auch die Entstehungsgeschichte der Art. 95 Abs. 3 und 96 Abs. 2 zwingend verfassungsrechtlich bestimmen, daß die vom Parlament gewählten Mitglieder des Richterwahlausschusses nicht variieren, daß nur die Vorsitzenden und die zuständigen Fachminister je nach dem Gericht, das zu besetzen ist, variieren sollen, daß es sich also, wie der Rechtsausschuß einstimmig entschieden hat, nur um die Konstruktion eines Richterwahlausschusses handeln kann.
Infolge dieser Stellungnahme, zu der der Rechtsausschuß auf Grund der Verfassung verpflichtet war, sind auch die anderen Anregungen, die nachgeschoben worden sind, einstimmig abgelehnt worden, da sie ihrem Wesen nach mit dieser prinzipiellen Grundentscheidung zusammenhängen.
Zum zweiten. Mitglieder kraft Amtes sind die Landesminister, zu deren Geschäftsbereich die diesem oberen Bundesgericht im Instanzenzug nachgeordneten Gerichte des Landes gehören. Da das Grundgesetz zur Zeit auf dem Gebiet von elf deutschen Ländern Anwendung findet, müssen die Mitglieder kraft Amtes durch eine gleiche Anzahl, also durch elf Mitglieder kraft Wahl gemäß den Artikeln 95 Abs. 3 und 96 Abs. 2 des Grundgesetzes ergänzt werden. Der Ausschuß hat sich gegen eine Vorratswahl solcher Mitglieder und damit gegen eine Auswahl ad hoc aus diesem größeren Kreise etwa durch
das Los gewandt, um Zufallsergebnisse einer wechselnden parteipolitischen Zusammensetzung möglichst zu vermeiden. Die Mitglieder kraft Wahl sind neu zu wählen, sobald sich die Zahl der Mitglieder kraft Amtes ändert.
Zum dritten hielt der Ausschuß im Gegensatz zum Entwurf der Regierungskoalition die Mitgliedschaft im Richterwahlausschuß mit der Mitgliedschaft in einer gesetzgebenden Körperschaft für vereinbar, zumal im Grundgesetz keine Inkompatibilität, keine Unvereinbarkeit in dieser Hinsicht vorgeschrieben ist. Diese Folgerung ergibt sich aus dem Grundgedanken der Einrichtung eines Richterwahlausschusses, der ja gerade darauf abzielt, einen politischen Einklang zwischen der Richterpersönlichkeit und der Verfassungswirklichkeit herzustellen. Politischer Einklang bedeutet nicht parteipolitische Einseitigkeit. Es soll vielmehr durch die Beteiligung politischer Faktoren verschiedener Richtung die — objektiv beurteilt — beste Persönlichkeit dem hohen Richteramt zugeführt werden.
Zum vierten. Im Gegensatz zum Entwurf der Regierungskoalition ist allen Mitgliedern des Richterwahlausschusses — also nicht nur den Mitgliedern kraft Amtes — ein Vorschlagsrecht eingeräumt worden. Auch das ergibt sich aus den soeben erwähnten Grundgedanken.
Fünftens entschied sich der Ausschuß dafür, daß die Mitglieder kraft Wahl und ihre Stellvertreter nach den Regeln der Verhältniswahl, und zwar nach dem Höchstzahlenverfahren nach d'Hondt gewählt werden sollen. Er lehnte den Gedanken der Billigung eines gemeinsamen Wahlvorschlags durch zwei Drittel der gesetzlichen Mitgliederzahl des Bundestags, wie er im Koalitionsentwurf enthalten war, ab, weil die Möglichkeit der Überstimmung eines Drittels des Bundestags, also vielleicht der größten Fraktion dieses Hauses, vermieden werden soll.
Sechstens bekannte sich der Ausschuß zum Prinzip der geheimen Abstimmung im Richterwahlausschuß, um so einer kontrollierbaren Fraktionsbindung oder sonstigen Bindungen in etwa vorzubeugen.
Von diesen Grundlinien abgesehen, erarbeitete der Ausschuß folgende Prinzipien:
Die Geschäftsführung für den Richterwahlausschuß wird dem Bundesminister der Justiz zugesprochen, der in jedem Falle den Richterwahlausschuß einzuberufen, aber nur für die oberen Bundesgerichte seines Geschäftsbereichs und das Oberste Bundesgericht den Vorsitz im Richterwahlausschuß zu führen hat, während für die übrigen oberen Bundesgerichte der Vorsitz dem sachlich zuständigen Bundesminister obliegt.
Während die Mitglieder kraft Wahl von ihren nach dem gleichen Verfahren gewählten Stellvertretern vertreten werden, hat der Ausschuß auf die Regelung Wert gelegt, daß die Vorsitzenden im Richterwahlausschuß und die Mitglieder kraft Amtes nur durch den in der Geschäftsordnung der Bundesregierung und der Landesregierungen vorgesehenen Minister, also durch parlamentarisch verantwortliche Regierungsmitglieder, vertreten werden können.
Die Entscheidung über die Berufung einer Persönlichkeit zum Richteramt kommt nur dadurch zustande, daß der zuständige Bundesminister dem Beschluß des Richterwahlausschusses zustimmt. Er hat kein Stimmrecht, wohl aber ein Vorschlagsrecht und ist in der Lage, von seinem Zustimmungsrecht erst Gebrauch zu machen, nachdem er darüber einen Kabinettsbeschluß herbeigeführt hat.
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Schließlich wurde Übereinstimmung darüber erzielt, daß jeder neugewählte Bundestag eine Neuwahl der Mitglieder kraft Wahl vorzunehmen hat. Damit weicht der Text, den der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zur Annahme vorschlägt, vom Vorschlag der Regierungskoalition ab, der eine Berufung auf sechs Jahre, also ein zeitliches Überdauern der Legislaturperiode, vorgesehen hatte.
Von diesen Prinzipien ausgehend, hat der Ausschuß die Einzelheiten des Gesetzesvorschlags präzisiert. Er ist hierbei vom Text des Koalitionsvorschlags ausgegangen, mit dem der SPD-Vorschlag weitgehend vereinigt worden ist.
Bei der Übernahme der Präambel aus dem Entwurf der SPD war sich der Ausschuß darüber einig, daß mit dieser Formulierung nur die Verfassungsgrundlage angegeben, nicht aber irgendeine Auslegungsrichtlinie aufgestellt werden sollte, die von der Rechtsprechung irgendwie verwertet werden könnte oder sollte.
Bei der Fassung des § 1 vertrat die Mehrheit des Ausschusses den Gedanken des Koalitionsentwurfs, den abstrakt gehaltenen Text des Grundgesetzes zu konkretisieren, um spätere juristische Deduktionen aus der unbestimmten Fassung des Grundgesetzes überflüssig zu machen und um klarzustellen, daß es sich um ein en Richterwahlausschuß und nicht um eine Vielheit von Richterwahlausschüssen handelt.
Über die Regelung der Vertretung der Mitglieder kraft Amtes und der Mitglieder kraft Wahl wurde bereits berichtet. Sie ist nach dem Prinzip gestaltet worden, daß es sich bei dem Beschluß des Richterwahlausschusses um eine politische Vertrauensentscheidung handeln soll, so daß an die politische Legitimation der im Richterwahlausschuß beschließenden Mitglieder besondere Anforderungen zu stellen sind. Insbesondere soll verhindert werden, daß im Richterwahlausschuß Ministerialbeamte tätig sind.
Mit besonderer Sorgfalt wurde erwogen, welche Anforderungen an die Qualifikation der Mitglieder kraft Wahl zu stellen sind. Das Erfordernis der Richterfähigkeit wurde von der ganz überwiegenden Mehrheit des Rechtsausschusses abgelehnt. Hierbei wurde klargestellt, daß die Formulierung in § 3 Abs. 1 des Entwurfs der SPD: „Die Mitglieder kraft Wahl sollen im Rechtsleben erfahren und müssen zum Bundestag wählbar sein" eine Ermessensentscheidung des Bundestages beinhalten sollte, die nicht der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht unterliegt. Dieser Rechtsgedanke wurde vom Ausschuß festgehalten, obwohl die SollForm in eine Muß-Form gemäß § 4 Abs. 1 der Ausschußvorlage umgewandelt worden ist.
Über die Bedeutung der Verhältniswahl bei Bestellung der Mitglieder kraft Wahl wurde bereits berichtet. Der Rechtsausschuß legt Wert darauf, das Wahlverfahren in § 5 seines Gesetzesvorschlags wörtlich zu beschreiben.
Eingehende Erörterungen wurden über den Begriff der Verschwiegenheit angestellt, der nach der Fassung des § 6 Abs. 2 im Sinne der allgemeinen Verschwiegenheitspflicht der Beamten ausgelegt werden soll. Danach ist nur die Weitergabe an Dritte verboten, die nicht legitimiert sind, in die Sache hineingezogen zu werden.