Keine weiteren Wortmeldungen? — Dann erteile ich das Schlußwort dem Herrn Abgeordneten Dr. Nölting.
— Es gibt ein Schlußwort bei Interpellationen; es tut mir leid, Herr Abgeordneter, aber es steht in der Geschäftsordnung, § 82!
Dr. Nölting , Interpellant: Meine Damen und Herren! Ich möchte mich nicht weiter mit dem Herrn Abgeordneten Pelster beschäftigen, dazu sind die Minuten zu kostbar.
Ich möchte dem Herrn Abgeordneten Pelster nur das eine sagen: er soll mir endlich den Beweis erbringen, wo und wann ich von 6 bis 7 Millionen Arbeitslosen gesprochen oder geschrieben haben soll, die sich automatisch nach Beseitigung der Zwangswirtschaft einstellen würden. Eine solche Behauptung ist eine Unwahrheit; ich habe eine derartige Prognose niemals gemacht.
2708 Deutscher Bundestag. — 75. und 76. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Juli 1950
Im übrigen, Herr Pelster, doch noch das eine: Sie rühmen die Gesundheit unserer Wirtschaft. Dazu eine einzige Zahl, die von dem Herrn Bundeswiederaufbauminister stammt. Im Mai 1949 hatten wir 126 800 beschäftigungslose Bauarbeiter, im Mai 1950 174 834. Wir haben offenbar über „Gesundheit" eines Wirtschaftskörpers verschiedene Vorstellungen.
Jetzt aber zu dem Herrn Bundesarbeitsminister. Herr Bundesarbeitsminister, ich habe es nicht als ganz fair empfunden, daß Sie den Versuch gemacht haben, meiner Rede den Dreh gegen die Flüchtlingsländer zu geben.
Ich habe in meiner Rede ausdrücklich gesagt — und das Stenogramm wird es ausweisen —, daß diese Flüchtlingsländer gewerblich aufgeschlossen werden müssen. Und sie müssen gewerblich aufgeschlossen werden, weil sie als reine Agrarländer den Saisonrückschlag, der sich sonst automatisch ergeben würde, gar nicht ertragen könnten.
Herr Bundesarbeitsminister, ich habe auch nicht von „Nebenindustrien" gesprochen, wie Sie es taten. Ich fürchte, da herrscht bei Ihnen einige Verwirrung. Ich darf deshalb einmal als Professor der Nationalökonomie kurz auf folgendes hinweisen:
Man unterscheidet in der Volkswirtschaft Grundstoffindustrien, Kapitalgüterindustrien und Leichtindustrien, die man auch Konsumgüterindustrien nennt, und ich habe — wiederum bitte ich, berücksichtigen Sie das Stenogramm ! — von Leichtindustrien gesprochen und nicht von Nebenindustrien.
Ich bin auch keineswegs gegen Notstandsarbeiten. Aber diese Arbeiten sind eben, wie es das Wort besagt, eine Notstandshilfe vorübergehender Art. Denn, meine Damen und Herren, ist der Weg angelegt, ist der Deich befestigt, ist die Brücke gebaut, dann treten wir doch wieder auf demselben Fleck; dann halten wir doch wieder genau da, wo wir schon einmal waren. Ich möchte aber die Flüchtlinge aus der Elendszone herausbringen und sagte deshalb: dauernde Abhilfe kann nur die Schaffung produktiver Dauerarbeitsplätze bringen.
Herr Bundesarbeitsminister, gerade Sie sollten sich eigentlich nicht auf England berufen, denn bei dem Begriffe England, dessen Wirtschaftspolitik Ihnen doch sonst meist nur Objekt von Schmähungen ist, taucht sofort die Planwirtschaft in der Vorstellung auf. Man hat in den depressed areas, von denen gesprochen wurde, allerdings die Arbeitslosigkeit von 28 %, die dort lange Jahre eine Dauertatsache war, heruntergebracht auf 3 %; aber nicht dadurch, daß man den Leuten eine Schippe in die Hand gab, sondern dadurch, daß man im Rahmen systematischer Planung dort Industrien ansetzte, die einen guten Wurzelgrund fanden. Sie sagten, man brauche im Rahmen der staatlichen Behörden keine Planung, planen könne am besten der Unternehmer. Auch wieder eine bedauerliche Verwirrung der Begriffe. Gewiß, der Unternehmer kann in seinem Betrieb besser planen als irgendein Bürokrat, und darin machen wir ihm weiß Gott keine Konkurrenz. Aber von der betriebswirtschaftlichen Planung, der höchsten Rationalität und Effektivität des Einzelbetriebes, ist zu unterscheiden die gesamtwirtschaftliche Planung. Daß davon der Unternehmer nichts versteht, beweisen schon allein die immer
wieder auftretenden Krisen, diese Explosionen und Selbstzündungen des Wirtschaftskörpers, die wir vermeiden möchten, indem wir der Wirtschaft einen vernünftigen Ordnungsrahmen geben. Dabei unterscheide ich mich auch gar nicht von meinem Parteifreund Professor Baade, wie er mir soeben noch lächelnd gesagt hat. Wenn wir diese Planung nicht brauchten, Herr Bundesarbeitsminister, weshalb unterhält dann ihr Kollege Erhard eigentlich eine Planungsabteilung?
Können Sie mir darauf nicht eine Antwort geben? Aber es ist ja ein merkwürdiger Zustand, daß die Planungsabteilung bei Herrn Erhard arbeitet, teilweise sogar vorzüglich arbeitet, der Chef aber im Lande herumreist und die Planung beschimpft.
Herr Bundesarbeitsminister, noch ein letztes Wort! Die soziale Idee gegenüber den Flüchtlingen haben Sie und die Bundesregierung gewiß nicht monopolisiert,
diese Patronage erkennen wir Ihnen keineswegs zu. Aber, Herr Bundesarbeitsminister, wir werden Sie und dieses Kabinett niemals freisprechen von der Schuld, daß es die Wirtschafts- und Arbeitspolitik der Bundesregierung war, die in erster Linie zu der Massenarbeitslosigkeit bei den Flüchtlingen geführt hat.