Rede von
Dr.
Victor-Emanuel
Preusker
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Vom Bundesarbeitsminister ist eben auf die bedeutsame Tatsache hingewiesen worden, daß die Zahl der Beschäftigten mit etwas über 13,7 Millionen um die Jahresmitte den höchsten Stand seit dem Zusammenbruch erreichen konnte. Das ist
zweifellos ein ganz außerordentlicher Erfolg. Wir sollten aber nüchtern genug sein, zu untersuchen, wem dieser Erfolg zuzuschreiben ist.
Ich glaube — wir müssen das sagen —, er ist in erster Linie der Initiative zu verdanken, die die Wirtschaft nach ihrer Befreiung aus den Fesseln der Zwangswirtschaft und unterstützt durch die Lieferungen des Marshallplans selbst enfaltet hat. Wenn es möglich war, gerade im Zuge der Liberalisierung den deutschen Export in diesem Jahre so zu steigern, daß im Mai, für den die letzten Zahlen vorliegen, erstmals im rein kommerziellen Außenhandel, d. h. also ohne die Hilfslieferungen des Marshallplans, wieder ein Aktivsaldo der deutschen Handelsbilanz erzielt werden konnte, so zeigt das, daß unsere Wirtschaft den richtigen Weg zur Sicherung dauerhafter Arbeitsplätze insbesondere auf dem entscheidenden Gebiet der Industrie und der Erzeugung lohnintensiver Fertigwaren gegangen ist.
Immerhin ist es ein Erfolg, wenn seit Mai/Juni 1948 seit dem Zeitpunkt der Währungsreform, in der Industrie des Bundesgebietes bis jetzt über 1,3 Millionen Menschen neue Arbeitsplätze gefunden haben, davon allein im letzten Jahr über 300 000 in einer stetig aufsteigenden Linie. Und das ist erreicht worden bei gleichzeitiger Hebung der Produktivität der Arbeitsstunde von 75% im vorigen Jahr auf jetzt rund 903/4 des Standes von 1936, womit die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Arbeit auf den Weltmärkten entscheidend gebessert wurde.
Aus einer solchen Rationalisierung der Arbeitsleistung ergibt sich in jeder statischen Volkswirtschaft eine Tendenz zur Freisetzung von Arbeitskräften. Wenn aber gleichzeitig die Zahl der Beschäftigten in der Industrie noch um über 300 000 zugenommen hat, so ist das einer der sichersten Beweise dafür, daß sich unsere Wirtschaft in der dringend notwendig strukturellen Ausweitung befindet, die deshalb so notwendig ist, weil ohne sie das Strukturproblem der Arbeitslosen, das aus der Heimatvertriebenenfrage, aus den Ostzonenflüchtlingen und aus den starken Geburtsjahrgängen resultiert, gar nicht gelöst werden kann.
Wir sind uns aber klar darüber, daß die Wirtschaft und auch die gestiegene Spartätigkeit der Bevölkerung allein das Problem nicht lösen können, und wir haben erwartet, daß von der Bundesregierung ein übriges getan wird, um die Dinge zu fördern. Ich glaube, wir sollten hier einmal sagen, daß diese Förderungsmaßnahmen — abgesehen vom Wohnungsbau, wo zwar auch eine gewisse Verzögerung infolge des so späten Entstehens der Bundesrepublik Deutschland vorgelegen hat — bisher noch nicht entscheidend zur Besserung der Verhältnisse haben beitragen können. Die Fehler, die hier gemacht wurden, dürfen sich nicht wiederholen. Denn man hat den eigenen Förderungskräften der Wirtschaft zu wenig vertraut. Man hat viel zu viel „Staat" in dieses Arbeitsbeschaffungsprogramm einbauen wollen, und dieses Zuviel „Staat" hat sich bis jetzt gerächt.
Wenn, um einmal das Schwerpunktprogramm herauszugreifen, am grünen Tisch Quoten auf die notleidenden Länder aufgeteilt werden und die notleidenden Länder dann wiederum am grünen Tisch Listen von Firmen zusammenstellen, die sie der Bundesregierung einreichen, und wenn sich dann bei den Überprüfungen herausstellt, daß einzelne Länder, obwohl es sich darum handelte, Kreditanträge zur Schaffung dauerhafter Ar-
Deutscher Bundestag — 75. und 76. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Juli 1950 2701
beitsplätze einzureichen, in der Weise vorgingen, daß sie bis zu 651/4 Notstandsarbeiten vorschlugen, dann wird eben nach dem Auslaufen dieser Arbeiten wieder dieselbe Zahl von Arbeitslosen freigesetzt werden müssen. So hat zum Beispiel Niedersachsen Aufforstungsarbeiten vorgeschlagen, die jahreszeitlich überhaupt nicht mehr durchzuführen sind. Weiter hat Bayern Investitionen auf Gebieten vorgeschlagen, auf denen in Westdeutschland bereits eine erhebliche Überkapazität besteht, so daß durch diese Investitionen noch weitere zusätzliche Überkapazitäten hätten geschaffen werden müssen.
All das zeigt, was das bürokratische Anpacken des Problems schon im ersten Stadium bedeutet hat. Selbstverständlich mußten erhebliche Zurückweisungen erfolgen. Im nächsten Akt ging und geht es darum, daß die Länder die Bürgschaft für die Vorhaben, die sie selbst vorgeschlagen haben, übernehmen sollten. Da ergab sich in vielen Fällen der seltsame Zustand, daß sie dazu nicht bereit waren oder aber, daß die gesetzlichen Voraussetzungen dafür fehlten. In Bayern muß jede einzelne Bürgschaftsübernahme erst durch den Landtag gehen. Wie lange es dauert, bis das endgültig geschehen ist, kann man sich ohne weiteres vorstellen.
Wenn dann wenigstens die Notstandsarbeiten von den Ländern mit der Beschleunigung vorangetrieben worden wären, wie man das hätte erwarten müssen! Ich erinnere mich noch deutlich an die Auseinandersetzung hier im Bundestag, als seinerzeit die Äußerungen des niedersächsischen Wirtschaftsministers Kubel zur Debatte standen, die er über die Arbeitslosenfrage und die Bundesregierung in Wilhelmshaven getan hatte. Wenn man dann aus den Unterlagen feststellt, daß dem Lande Niedersachsen für Notstands-Straßenbauarbeiten gerade in Wilhelmshaven am 24. Mär z 1950 ein Betrag von 350 000 DM zur Verfügung gestellt, daß die Stadt Wilhelmshaven selber aber von der niedersächsischen Regierung erst am 28. Mai davon überhaupt in Kenntnis gesetzt wurde,
dann frage ich mich wirklich, woraus man die Berechtigung ableitet, gegen die Bundesregierung Stellung zu nehmen.