Rede von
Rudolf
Freidhof
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Die Antwort, die die Regierung auf die sozialdemokratische Interpellation gegeben hat, kann die sozialdemokratische Fraktion nicht befriedigen. Die Regierung hat zwar anerkannt, daß die Notlage in diesem Bezirk sehr groß ist und hat auf das zweite Arbeitsbeschaffungsprogramm hingewiesen. Das sind Zukunftshoffnungen, auf die wir uns nicht vertrösten lassen können. Die hessische Regierung hat seit Jahren ihr Mögliches getan, um diesem Notstandsgebiet Hilfe zuteil werden zu lassen. Jetzt liegt es an der Bundesregierung, auch ihrerseits das zu tun, was notwendig ist, um diesem Notstandsgebiet einige Hilfe zuteil werden zu lassen.
Wenn aber in der Regierungserklärung die Wirtschaftlichkeit in den Vordergrund gestellt worden ist, wenn auch mein Vorredner, der Herr Kollege Sabel, darauf hingewiesen hat, daß der Kupferpreis dabei eine Rolle spielt, dann möchte ich sagen, daß es sich hier nicht nur um ein wirtschaftliches und ein finanzielles Problem handelt, sondern hier handelt es sich um ein menschliches Problem, ein soziales Problem, ein politisches Problem.
Es ist ganz klar, daß in einem Raum in so enger Konzentration und konzentrierter Form eine so große Arbeitslosigkeit zu schweren wirtschaftlichen und sozialen Erschütterungen führen muß und dadurch die Atmosphäre, insbesondere die politische Atmosphäre, außerordentlich stark vergiftet wird, jene Vergiftung der Atmosphäre, die den politischen Rattenfängern und Hasardeuren die Möglichkeit gibt, ihre Agitation dort zu entfalten. Es besteht überhaupt, das darf ich hinzufügen, meine Damen und Herren, eine tiefe Verstimmung in der Bevölkerung im nordhessischen Raum, weil nach ihrer Auffassung die Bundesregierung bis jetzt nicht die notwendigen Schritte unternommen hat, um diesem Notstandsgebiet einigermaßen Hilfe zuteil werden zu lassen.
Es handelt sich hier um ein echtes Notstandsgebiet, dem nur durch die Solidarität des gesamten Bundesgebietes geholfen werden kann.
Ich darf in dem Zusammenhang darauf hinweisen — auch mein Parteifreund Dr. Arndt hat das bereits getan —, daß durch die Zonengrenzen usw. das Gebiet wirtschaftlich auseinandergerissen worden ist. Früher hat die Stadt Kassel die Möglichkeit geboten, einen überschüssigen Bevölkerungsanteil in diesem Gebiet aufzunehmen. Heute ist das unmöglich, da die Stadt Kassel selbst sehr schwer zerstört ist und ihre Wirtschaft schwer leidet, die Industrie schwer ringt und dort eine sehr große Arbeitslosigkeit vorhanden ist. Ich möchte in dem Zusammenhang darauf hinweisen, daß es sich nicht nur um das Sontra-Gebiet allein handelt, sondern daß es sich um das gesamte nordhessische Notstandsgebiet handelt, und daß die Bundesregierung verpflichtet ist, auch der Waggon- und Lokomotivindustrie in Kassel möglichst rasch Aufträge zu erteilen, um die Arbeitslosigkeit dort einigermaßen zu mildern.
Ich darf in dem Zusammenhang noch auf etwas anderes hinweisen. Im Januar oder Februar ist der Bundesjustizminister Dr. Dehler in Kassel gewesen, um dort ein Gebäude zu besichtigen, da der Bundesgerichtshof nach Kassel verlegt werden soll. Wir
haben in der Stadt Kassel seit Monaten eine Reihe von Wohnungen leerstehen, die wir bereithalten, um die Verwaltungsbeamten aufzunehmen. Das Verwaltungsgebäude, das zweitgrößte in Hessen, steht bereits seit Monaten fast leer, und die Regierung rührt sich nicht, um etwas zu tun, um dieser notleidenden Stadt zu helfen.
Die Antwort, die die Regierung gegeben hat, kann uns also in keiner Weise befriedigen. Wir werden weitere Schritte unternehmen, um die Regierung zu zwingen, hier Farbe zu bekennen, ob sie dem Notstandsgebiet helfen will oder nicht.
Der Herr Bundeskanzler Dr. Adenauer hat in seiner Regierungserklärung erklärt, daß diese Regierung eine Regierung der sozialen Gerechtigkeit ist. Hier kann sie den Beweis erbringen, ob sie diesen Namen zu Recht verdient. Nach unserer Auffassung hat sie diesen Beweis bis heute nicht erbracht.