Ich habe weiter folgende Mitteilungen zu machen.
Die heutige Tagesordnung wird erweitert durch die gestern nicht erfolgte Beratung der Interpellation der Abgeordneten Dr. Arndt, Zinn, Freidhof und Fraktion der SPD betreffend Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung für das Kurhessische KupferSchiefer-Bergwerk in Sontra, Drucksache Nr. 1027, als ersten Punkt.
Dann habe ich mitzuteilen, daß mich der Herr Bundesverkehrsminister gebeten hat, den Punkt 6 der Tagesordnung, zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiete der Seeschiffahrt, gleich anschließend zu behandeln, weil er nachher sofort zu einer Besprechung mit dem Herrn amerikanischen Kommissar nach Frankfurt fahren muß. — Ich darf das Einverständnis des Hauses dazu annehmen.
Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen entgegen den sonstigen Gepflogenheiten, weil es Freitag ist, gleich den Sitzungsplan für die nächste Woche bekanntgeben. Die 76. Sitzung des Deutschen Bundestags findet am Mittwoch, dem 19. Juli, 14 Uhr 30, die 77. Sitzung am Freitag, dem 21. Juli, 9 Uhr 30, statt. Die Nachmittage am Dienstag, dem 18. Juli, und am Donnerstag, dem 20. Juli, sind für Fraktionssitzungen vorgesehen, so daß für die Vormittage Gelegenheit für Ausschußsitzungen gegeben ist, worauf ich die Damen und Herren, die Vorsitzende von Ausschüssen sind, besonders aufmerksam machen möchte.
Meine Damen und Herren! Ehe wir in die Tagesordnung eintreten, habe ich im Namen des Hohen Hauses mit Ausnahme der KPD-Fraktion folgende
Erklärung
abzugeben:
Die Scheinregierung der von russischen Truppen besetzten Zone Deutschlands
hat der Preisgabe der deutschen Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie das
Prager Abkommen vom 23. Juni 1950
folgen lassen, mit dem die völkerrechtswidrige und unmenschliche Austreibung der
Sudeten- und Karpatendeutschen
als „unabänderlich, gerecht und endgültig" anerkannt wird. Der Deutsche Bundestag erklärt
aus diesem Anlaß erneut, daß jene Scheinregierung weder politisch noch moralisch befugt ist,
Deutscher Bundestag — 75. und 76. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Juli 1950 2689
im Namen des deutschen Volkes zu sprechen und Abkommen zu schließen.
Das Prager Abkommen ist nicht vereinbar mit dem unveräußerlichen Anspruch des Menschen auf seine Heimat. Lier Deutsche Bundestag erhebt deshalb feierlich Einspruch
gegen die Preisgabe des Heimatrechtes der in die Obhut der deutschen Bundesrepublik gegebenen Deutschen aus der Tschechoslowakei und stellt die Nichtigkeit des Prager Abkommens fest.
Der Deutsche Bundestag begrüßt die Ablehnung des Prager Abkommens durch die Hohen Kommissare. Er richtet an die Gesamtheit der freien Völker den Appell, im Geiste der AtlantikCharta für eine Friedensordnung einzutreten, in der die natürlichen Rechte auch der Deutschen gewahrt sind.
Durch Ihr Erheben von den Plätzen haben Sie dieser Erklärung zugestimmt. Ich danke Ihnen.
— Ich erteile Ihnen nicht das Wort.
Wir treten nunmehr in die Tagesordnung ein.
— Nach § 83 der Geschäftsordnung liegt es im Ermessen des Präsidenten, das Wort zur Geschäftsordnung zu erteilen.
Ich erteile vielmehr zu Punkt 1 der Tagesordnung: Beratung der Interpellation der Abgeordneten Dr. Arndt, Zinn, Freidhof und Fraktion der SPD betreffend Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung für das Kurhessische Kupfer-Schiefer-Bergwerk in Sontra
Herrn Abgeordneten Dr. Arndt zur Begründung das Wort.
- Schweigen Sie von der Demokratie, von der Sie keine Ahnung haben!
Dr. Arndt , Interpellant: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Hauptproblem der Arbeitslosigkeit besteht in ihrer räumlichen Konzentration. Die Notstandsgebiete decken sich nicht mit den Ländergrenzen. Nordhessen, d. h. genauer der Regierungsbezirk Kassel, hatte im Februar 1950 mit 21,3 % eine höhere Arbeitslosenquote als Bayern oder Niedersachsen. Während Nordhessen nur 38 % der beschäftigten Arbeitnehmer Hessens beherbergt, hat es etwa 63 % aller hessischen Erwerbslosen. Bemerkenswert ist hierbei, daß diese Notlage erst in den letzten zwei Jahren seit der Währungsreform entstanden ist. Im Gegensatz zur sonstigen Lage in Westdeutschland ist auch der Rückgang der Beschäftigten besonders bemerkenswert. Die Ursachen sind strukturelle Faktoren: das Mißverhältnis zwischen der wirtschaftlichen Kapazität und der Menschenzahl.
Schon vor dem Kriege ist der Bevölkerungsstand Nordhessens über das Niveau einer friedensmäßigen Wirtschaftskapazität weit hinausgewachsen. Diese absolute Überbeschäftigung hat ihren Grund darin, daß die Beschäftigung in Nordhessen wegen seiner früheren Mittellage weit über den Reichsdurchschnitt hinaus forciert wurde und bereits seit 1936 Zehntausende von Menschen nach dort neu hingeholt worden sind. Das Städtchen Sontra zum Beispiel ist von 2400 Einwohnern im Jahre 1937 auf jetzt etwa 6300 Einwohner angewachsen.
Nordhessen ist im Gegensatz zur früheren Mittellage heute ein ausgesprochenes Grenzland, und die intensive Verbindung, die früher mit Mitteldeutschland bestand, ist praktisch abgeschnitten. Es ist notwendig, daß die Bundesregierung unverzüglich qualitative Maßstäbe zur konkreten und individuellen Feststellung der Notstandsgebiete aufstellt, die sich nicht mit den politischen Ländergrenzen decken. Weiter ist notwendig, daß solche Gebiete eine auf die örtliche Lage abgestellte Sonderförderung erfahren, weil die allgemeinen Wirkungen einer aktiven Konjunkturpolitik — wenn wir erst einmal eine hätten — keineswegs ausreichen, das Strukturproblem zu lösen.
Die zentrale Frage in Nordhessen ist neben Kassel das Elendsgebiet Sontra mit etwa 42 % Arbeitslosen. Die Bergbausiedlung Cornberg hält mit über 69 % Arbeitslosen überhaupt den Rekord — einen traurigen Rekord — im Westen Deutschlands.
Entscheidend ist der Wiederaufbau des Kupferbergwerks, das seine Entstehung der Initiative des Geheimrats Paselt im Reichswirtschaftsministerium verdankt.
— Meine Damen und Herren, es wäre zweckmäßiger, die Gespräche außerhalb des Saales zu führen, oder wollen Sie damit zum Ausdruck bringen, daß Sie die Arbeitslosigkeit in Nordhessen so wenig interessiert?
— Also ich wiederhole noch einmal: Entscheidend ist der Wiederaufbau des Kupferbergwerks. Es handelt sich dabei um das einzige Kupferbergwerk westlich des Eisernen Vorhangs in Europa. Es ist imstande, etwa 8 % des deutschen Kupferverbrauchs zu decken. 25 Millionen t Erz, d. h. 300 000 t reines Kupfer sind abbauwürdig. Der Kupfergehalt insbesondere aus dem Schacht Reichenberg kann nach einer Analyse von Professor Michel auf 20 kg Kupfer je t Erz gesteigert werden. Bis 1945 waren dort etwa 2500 Arbeiter beschäftigt, und etwa 35 Millionen RM sind aus Reichsmitteln investiert worden. 1945 haben die amerikanischen Besatzungstruppen in wenigen Minuten dieses Bergwerk planmäßig unter Wasser gesetzt
und damit Tausende von Menschen auf einen Schlag brotlos gemacht. Manchmal geht eben die re-education außerordentlich seltsame Wege.
Auch die Schachtöfen wurden an Herrn Tito „restituiert", obwohl sie ebensowenig aus Jugoslawien wie vom Monde gekommen waren.
Das Land Hessen, das mehr getan hat als jedes andere deutsche Land, um die Gewinnung der Bodenschätze zu entwickeln, hat mit Hilfe des Landtags die Mittel — im neuen Etat wieder etwa 2,5 Millionen DM — zur Verfügung gestellt, um das Bergwerk zu entsumpfen und neu betriebsfähig zu machen. Heute arbeiten dort wieder 575 Mann,
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und der erste Schachtofen ist soeben mit einer kleinen Feier in Betrieb gesetzt worden. Noch aber warten allein in der Arbeitsamtnebenstelle Sontra — sie umfaßt 23 Ortschaften — etwa 1800 Menschen auf Arbeit, von denen 900 ohne weiteres im Kupferbergwerk Sontra Arbeit finden könnten. Aber mit nur einem Schacht und nur einem Ofen ist das Werk nicht lebensfähig.
Auch die Sicherheit der Arbeiter unter Tage ist gefährdet, solange nur ein Schacht betriebsfähig ist. Um dieser Sicherheit der Menschen willen und aus arbeitsmarktbedingten sowie auch aus politischen Gründen, da sich die Anlage nur sechs Kilometer von der Zonengrenze befindet, wären unverzüglich ein zweiter Schacht und ein zweiter Ofen betriebsfertig zu machen. Das ist nur mit Bundeshilfe möglich.
Aber es handelt sich dabei um eine gesamtdeutsche Frage, so daß die Bundeshilfe mit Recht gefordert werden kann. Die Bundesregierung kann uns daher nicht, wie sie es auf die kleine Anfrage Nr. 69 durch Schreiben vom 18. Mai dieses Jahres getan hat, durch den Hinweis auf die hessischen Landesmaßnahmen abspeisen. Außerdem ist es nicht möglich, daß länger in der Schwebe bleibt, wer für Sontra verantwortlich ist und wem das Eigentum dort zusteht. Die Belegschaft ist heftigst beunruhigt und in ihrer Arbeitsmoral gefährdet, weil eine keinesfalls legitimierte Interessentengruppe aus der früheren Mansfelder Aktiengesellschaft in Eisleben erklärt hat, sie wolle Sontra wieder in die Hand bekommen. Die Bundesregierung wird sich, wenn auch nicht bei Gelegenheit gerade dieser Interpellation, in absehbarer Zeit zur Frage des Reichsvermögens und insbesondere der sogenannten Mansfeld-Verträge zu erklären haben. Wir erwarten von ihr die unbedingte Zusicherung, daß eine Reprivatisierung in keiner Form in Frage kommt.
Die Bundesregierung wird ferner im Rahmen eines ernsthaften und wirklichen Arbeitsbeschaffungsprogramms besondere Vorschläge zu machen und Mittel bereitzustellen haben, um das Strukturproblem im Notstandsgebiet Nordhessens zu lösen. Im Augenblick braucht das Elendsgebiet Sontra unverzüglich etwa 900 000 DM aus Bundesmitteln, um noch vor dem Winter mit den erforderlichen Arbeiten beginnen zu können.
Aus diesen Gründen rechtfertigt sich unsere Frage, was die Bundesregierung hier selbst zu tun gedenkt.